Das Sonntagsgespräch Viktoria von Schirach über den italienischen Buchmarkt

Nein zu »Mondazzoli« – italienische Verleger und Autoren wollen nicht vom Berlusconi-Verlag Mondadori geschluckt werden und gründen einen neuen Verlag. Italien-Kennerin Viktoria von Schirach zur Lage in Italien und was das für uns bedeutet.

La Nave di Teseo (Das Schiff des Theseus) heißt der soeben in Mailand gegründete Verlag. Was signalisiert das? Auf jeden Fall: Fahrt durch gefährliche Gewässer. Aber eben auch: Abfahrt, Aufbruch, Wagemut. Die erfahrenen Verlagsleute Elisabetta Sgarbi, Mario Andreose und Eugenio Lio haben ihre bisherigen Positionen bei Bompiani diese Woche gekündigt.

Viktoria von Schirach

In der griechischen Theseus-Sage stellt sich die (bis heute diskutierte philosophische) Frage, ob das Schiff dasselbe bleibt wie vorher, nachdem man die Planken des Schiffes ausgetauscht hat. Hauptsache, es segelt auf gutem Kurs weiter – das ist wohl das Motiv der Protagonisten des neuen Verlags.

Umberto Eco, Sandro Veronesi, Eduardo Nesi, Guido Maria Brera ]und andere bekannte italienische Autoren haben sich mit erheblichen Beträgen beteiligt. Unterstützt werden sie von Nicky und Jean-Claude Fasquelle, die früher Éditions Grasset in Paris geleitet haben.

BuchMarkt: Wie wird es in Italien empfunden, dass die angesehenen Verlagsnamen wie Rizzoli (gegründet 1927), Bompiani (1929) und Marsilio (1961) jetzt zum Berlusconi-Imperium gehören?

Viktoria von Schirach: Die Medien haben unterschiedlich reagiert. Es gab eine ideologische Reaktion und eine sachliche, bei der die Sorge um eine Konzentration auf dem Buchmarkt im Mittelpunkt stand. Der Verlag Adelphi, der bis Oktober zur Gruppe RCS gehörte, konnte sich aufgrund einer Klausel und vor allem mit Geld aus der Großindustrie selbständig machen. Bei Bompiani war das nicht möglich, auch wenn Elisabetta Sgarbi das bis zuletzt versucht hat.

Allerdings gehören Einaudi, Frassinelli, Piemme, um nur einige der Verlage zu nennen, schon seit mehreren Jahren zur Mondadori-Gruppe, ohne dass bekannt wurde, dass die Konzernleitung in irgendeiner Form Einfluss auf die Programme genommen hätte. Die Mondadori-Verlage decken ein breites Spektrum ab, von äußerst literarisch (Einaudi) bis populäre Unterhaltung (Sperling & Kupfer), von religiösem Sachbuch (die Bücher von Papst Franziskus erscheinen bei Piemme) bis zur großen Unterhaltung bei Mondadori mit seinen zahlreichen Imprints, wo Autoren wie E.L. James, John Grisham oder Ken Follett neben Giordano, Mazzantini oder Volo erscheinen, deren Bücher regelmäßig auf der Bestsellerliste stehen.

In den letzten zwanzig Jahren haben sich Mondadori und RCS regelmäßig abgewechselt bei den großen Literaturpreisen, es wirkte wie ein abgekartetes Spiel. Das kann jetzt nicht mehr so stattfinden, deshalb wird sich auch »Premiopolis«, das Geschäft mit den Literaturpreisen, ändern müssen.

BM: Die italienischen Kartellbehörden müssen zwar noch zustimmen, aber es wird nicht mit einer Ablehnung gerechnet. Damit bekommt der neue Buchverlagsriese einen Marktanteil von 40 Prozent. Was bedeutet das für den italienischen Buchmarkt?

VS: Der italienische Buchmarkt befindet sich in einem Schrumpfungsprozess, der nicht gesund ist. Die allgemeine Wirtschaftskrise hat zur Folge, dass immer weniger Bücher verlegt und vor allem verkauft werden, was wiederum zur Schließung vieler Buchhandlungen geführt hat. Dadurch sind die Bücher weniger präsent und das wiederum wirkt sich auf das ganze System aus: Agenten, Verlage, Vertrieb, alle leiden unter der Krise, die sich wie eine Lawine durch die Gesellschaft fräst. Der Deal zwischen der Literaturbeilage der Tageszeitung „Tuttolibri“ mit Amazon, bei dem die Rezensionen direkt auch auf der Webseite von Amazon landen, zeigt, dass auch das Feuilleton in der Krise steckt und sich mit neuen Wegen seine Existenz sichern muss – als Lieferant für Werbetexte.

BM: Elisabetta Sgarbi hat gesagt, es sei nicht »wie immer«, sie sei nicht aus Gründen politischer Gegnerschaft bei Nave di Teseo an Bord gegangen, sondern weil der italienische Buchmarkt aufzuhören droht, ein freier Markt zu sein. Er leidet bereits jetzt unter dem Fehlen von Buchhandlungen. Wenn es noch weniger Verlage gibt, fehlen die Ideen, die Meinungen, die Stile, die Lektorats- und Schreibkulturen. Spricht da eine Idealistin?

VS: Elisabetta Sgarbi versucht seit vielen Jahren, neue Formate zu entwickeln. Sie ist selbst als Dokumentarfilmerin in Erscheinung getreten, deren Filme über Künstler auf DVD in Kombination mit den Büchern erschienen; sie hat ein wichtiges Festival, die Milanesiana, gegründet, sie hat sogar eine einzigartige Fernseh-Show („Masterpiece“) nach dem Strickmuster von Masterchef oder X-Factor gesponsert, bei der es darum ging, welcher Autor sein Buch ins Finale bringt. Sie hat die Sieger dann veröffentlicht. Alles Versuche, das Medium Buch zu beleben und in alle Richtungen zu experimentieren. Dabei ist sie auch extreme Wege gegangen: sie hat z. B. eindeutig falsche Mussolini-Tagebücher veröffentlicht, ohne eine kritische Einführung. Sie ist für alles offen und hat oft den richtigen Instinkt, etwa im Fall von Joel Dicker „Die Wahrheit über den Fall Henri Quebert“, oder dem „Hundertjährigen“ von Jonas Jonasson. Sie ist auch die Verlegerin von Houellebecque, Piketty oder Alexijewitsch, und das lange, bevor sie große Namen wurden.

BM: Die Gründer haben Marina Berlusconi vorgeworfen, sie habe das Problem nicht verstanden. Die antwortete kühl: »Ich verstehe nicht, was ich nicht verstanden haben soll.«

VS: Marina Berlusconi hat mit einem sehr direkten offenen Brief geantwortet, dass sie reine Unternehmerin ist und bisher niemals Einfluss auf verlegerische Entscheidungen genommen hat.

BM: Wichtige internationale Autoren wie Hanif Kureishi und Tahar Ben Jalloun wollen ihre Bücher bei dem neuen Verlag erscheinen lassen. Wie wichtig sind die internationalen Bestseller-Autoren für den italienischen Buchmarkt – und welche Bedeutung haben die einheimischen Schriftsteller?

VS: In den letzten drei Jahren sind die Übersetzungen rückläufig, von 25 auf 17 Prozent. Das liegt auch an den hohen Vorschüssen und Übersetzungskosten. Wie in Deutschland wird die Präsenz des Autors immer wichtiger für die Vermarktung; das führt zumindest in Italien dazu, dass sich international wichtige Autoren nicht mehr so gut verkaufen wie früher. Es gibt natürlich Ausnahmen; so hat z. B. Sascha Arango in Italien mehr Exemplare verkauft als in Deutschland, oder die Szymborska über 100.000 Gedichtbände. Der Anteil der internationalen Autoren ist allerdings zurückgegangen zugunsten der nationalen Größen, auch hier gibt es einen Trend zu Comedians. Fabio Volo, ein ehemaliger Radiomoderator, hat schon über 10 Millionen Bücher verkauft; auch sein neues Buch über seine neue Rolle als Vater führt die Bestsellerliste an. Hier ist Mondadori führend mit TV-Stars wie Luciana Littizzetto und brillanten Unterhaltern wie Luca Bianchini.

BM: Warum hat sich für die Buchsparte RCS Libri kein ausländischer Käufer gefunden? Ist der italienische Buchmarkt nicht attraktiv für internationale Mediengruppen wie Random House, Holtzbrinck, Bonnier oder Hachette?

VS: Die bürokratischen und gewerkschaftlichen Bedingungen sind abschreckend für ausländische Investoren. Im Fall eines hochverschuldeten Konzerns wie RCS motiviert das vermutlich nicht.

BM: Die Prognose für den italienischen Buchmarkt stimmt einen nicht gerade optimistisch:
Umsatz in Mrd. Euro 2010 2012 2014 2016 2018
Buch 3.3 3.1 3.0 2.7 2.4
E-Book 0.05 0.1 0.1 0.2 0.4
Gesamt 3.3 3.2 3.1 2.9 2.8
Nicht nur kein Wachstum, sondern Schrumpfung bis 2018 auf 85 Prozent des Niveaus von 2010. Die Rettung des Marktes kommt offensichtlich auch nicht durch das E-Book – während in den englischsprachigen Buchmärkten für 2018 dem digitalen Buch bereits ein größerer Marktanteil als dem gedruckten Buch prognostiziert wird. Was ist in Italien anders?

VS: Die eher kleine Gemeinschaft der Vielleser ist sehr konservativ. Viele haben Vorbehalte gegen E-Books oder Audiobooks; das Buch gilt als Bildungs- und Prestigeobjekt, das man auch vorzeigen will. Früher waren die Bücherwände in intellektuellen Wohnungen immer weiß, das waren die Rücken der Einaudi-Bände. Durch die wunderschönen Reihen von Sellerio, Feltrinelli, Neri Pozza oder Adelphi sind die Bücherregale bunter geworden, aber die Gestaltung der Bücher hat in Italien immer noch einen hohen Stellenwert und macht den ästhetischen Genuss eines Buchs zu einem wichtigen Auslöser für den Kaufimpuls.

Noch eine Besonderheit des Umgangs der Italiener mit Büchern: Sie strömen zu den unzähligen Festivals, die mittlerweile in jedem noch so kleinen Dorf stattfinden, und nehmen an den Festivals für Geist, Wirtschaft, Ökonomie, Journalismus, Mittelalter, Science Fiction und allen erdenklichen Themen teil, bei denen Autoren über ihre Bücher sprechen. Gekauft werden diese Bücher dann aber weniger – man erlebt die Autoren lieber live und hört zu, wie sie über ihre Themen sprechen. Es ist mehr eine Eventkultur als ein Vertiefen der Inhalte.

BM: Das Hörbuch war ja bis vor zehn Jahren in Italien nahezu unbekannt. Sie haben da Pionierarbeit geleistet. Wie sehen Sie die Marktbedeutung und die weiteren Chancen des Hörbuchs?

VS: Der Trend ist sehr positiv. Wir sind in den fünf letzten Jahren um 100 Prozent gewachsen. In diesem Fall arbeitet die technologische Entwicklung für uns: Während es noch vor ein paar Jahren schwierig war, konzentriert ein Hörbuch zu hören (selbst im Auto fahren meist mehrere Personen mit, die sich auch noch lautstark unterhalten oder telefonieren), hat die Möglichkeit, mit Kopfhörern auf dem Handy Hörbücher zu hören, neue Horizonte eröffnet, gerade für Pendler oder beim Sport. Ein Hörbuch erlaubt es einem, sich zu isolieren, in einer imaginären Kapsel zu reisen, und das wird immer mehr ein Argument für Inhalte wie Podcasts oder eben Hörbücher. Audible will in den nächsten Jahren den italienischen Hörbuchmarkt erschließen und plant Marketingoffensiven, die sicherlich den Markt positiv verändern werden.

BM: Die übrigbleibenden Verlage von einigem Gewicht sind Feltrinelli, Giunti und die Verlage der Gruppe GEMS: Longanesi, Garzanti, Guanda, Chiarelettere etc.. Ist die dramatische Konzentration nicht zugleich eine Chance für die unabhängigen Verlage?

VS: Ich bin mir sicher, dass einige Autoren und Agenten das als Chance für die unabhängigen Verlage nutzen werden. In den letzten Jahren stammten viele Bestseller aus den mittleren Verlagen: Camilleri erscheint hauptsächlich bei Sellerio, Elena Ferrante bei E/O, Michele Serra bei Feltrinelli. Der Familienbetrieb GEMS (Gruppo Editoriale Mauri Spagnol, nach den beiden Familien benannt) bildet die mittlerweile zweitgrößte Verlagsgruppe, ist aber eine rein privates Unternehmen, dem der größte Vertrieb Italiens gehört. Auch das ist ein Problem in Italien: Es gibt keine Vertriebsstrukturen, die nicht auf irgendeine Weise mit den Verlagen verbunden sind, und das schafft Bevorzugungen und Begünstigungen im Buchhandel. Wirklich unabhängige Verlage wie Neri Pozza, E/O, Minimum Fax (ca. 4 000 weitere) haben es schwer, ihre Bücher zu positionieren, wenn die Vertriebsketten und die Buchhandlungen einigen wenigen Verlagen gehören. Doch der Konzentrationsprozess betrifft auch andere Bereiche: Im letzten Jahr haben auch die drei größten Agenturen fusioniert: die altehrwürdige, von Erich Linder gegründete A.L.I. und die Agentur Bernabò sind in der Agentur Vigevani aufgegangen, die jetzt „The Italian Literary Agency“ heißt. Außerdem haben Feltrinelli und GEMS ihren Vertrieb zusammengelegt (bis dahin die größten Player auf diesem Sektor). Der Buchhandel wird rationalisiert, wodurch aber auch der Einfluss der Verlagsgruppen immer größer wird.

BM: Der italienische Premierminister Matteo Renzi hat am 25. November eine erstaunliche Initiative bekanntgegeben: Mit staatlichen Mitteln in Höhe von einer Milliarde Euro bekommt jeder Italiener, der im nächsten 18 Jahre alt wird, einen Gutschein im Wert von 500 Euro, den er in Bücher, Konzert-, Theater, Museums- und Kinokarten umwandeln kann. Das Motto ist erstaunlich »Sie säen Terror – wir antworten mit Kultur«. Wird das der anspruchsvolleren Kultur in Italien, also auch den Büchern zugutekommen?

VS: Hoffen wir es; mir erscheint es als eine gut gemeinte Geste, aber vielleicht wäre das Geld besser in dem Ausbau kultureller Strukturen aufgehoben: Bibliotheken, Theater, Kulturvereine. Die meisten Schulen haben keine eigenen Bibliotheken, in vielen Theatern und Konzertsälen gibt es keine Reduzierung für Schüler und Studenten, vielleicht sollte man da ansetzen. Aber prinzipiell finde ich alles gut, was die Kultur fördert, auch solche provokanten Aktionen.

BM: Am 4. Dezember findet in Rom die Buchmesse der unabhängigen Verlage statt »Piú libri piú liberi« (Mehr Bücher – mehr Freiheit). Wird die Neugründung dort das Thema Nr. 1 sein?

VS: Soviel bekannt ist, will der Verlag erst im Mai in Turin sein erstes Programm präsentieren. Aber ein Signal könnte die Neugründung schon sein – eine Ermutigung für die vielen kleinen Verlage, die dort jedes Jahr ein super Programm vorlegen, jede Menge Talente entdecken und sich mit all ihrer Energie engagieren.

BM: Könnte diese Buchmesse auch ein Modell für Deutschland sein oder kann man von ihr etwas lernen?

VS: Ich bin immer wieder überrascht, wie viel sich entfalten kann, wenn man den Windschatten der großen Verlagsgruppen verlässt. Diese Ozeandampfer nehmen den anderen Verlagen oft die Sicht, deshalb fände ich eine solche Messe der mittleren und kleinen Verlage, wie es sie in Italien gibt, auch bei uns sinnvoll. Für kleinere Verlage ist es oft zu teuer, an Messen teilzunehmen; dabei hätten sie auch durchaus ihr Publikum. Die römische Messe wird seit 14 Jahren mit wachsendem Erfolg veranstaltet – es ist eine Art Bücherschau, bei der auch verkauft werden darf; das macht sie für Verlage und Publikum interessant.

Viktoria von Schirach, Italianistin, Übersetzerin und Lektorin, lebt in Rom und München. Sie arbeitet als Scout für einige Verlage der Gruppe Random House, gibt die Reihe »Gialli tedeschi« bei Emons edizioni heraus und hat vor neun Jahren den italienischen Hörbuchverlag »Emons audiolibri« mitgegründet.

Von links nach rechts sitzend:
Furio Colombo, Edoardo Nesi, Mario Andreose, Umberto Eco, Sandro Veronesi.
Dahinter stehend:
Annamaria Lorusso, Guido Maria Brera, Eugenio Lio, Elisabetta Sgarbi, Sergio Claudio Perrone, Nuccio Ordine (mit Logo), Pietrangelo Buttafuoco.

Die Fragen stellte Ulrich Störiko-Blume

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