Irrwitziges Dichterleben: Peter Mathews Biografie über einen verkannten Revolutionär Warum weiß eigentlich niemand von Harro Harring?

Immer freitags hier ein Autorengespräch. Heute mit Peter Mathews zu seiner Biografie „Harro Harring –  Rebell der Freiheit“ (Europa Verlag)

Peter Mathews (65) war bis 2000 Werbeleiter und Taschenbuchverleger bei Rowohlt und dann beim Taschenbuch Verlag. Danach Literaturagent und ist seit über zehn Jahren freier Autor. Er hat mit Norbert Klugmann eine Reihe Krimikomödien (Beule und Co), Weihnachtskrimis und Romane geschrieben, zuletzt in der dtv-Reihe Hanser mit Benno Köpfer den Jugendroman Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten und mit Yitzhak Goldfine Die Wahrheit hinter der Wahrheit. Die Goldfine-Akten herausgebracht.  Jetzt erschien gerade seine historische Biografie Harro Harring – Rebell der Freiheit im Europa Verlag.  Zu seinem 60. Geburtstag hieß es dazu bereits:  „Peter brütet weiter Ideen aus. So viele, dass er inzwischen neben dem Schreiben kleine und große Kunstwerke macht. Seit einiger Zeit sitzt er an einem großen Roman über Harro Harring, einen vergessenen deutschen Freiheitskämpfer aus dem Vormärz. Freiheit des Denkens, könnte man jetzt sagen, ist vielleicht so etwas wie ein Leitmotiv in seinem Leben“ (…).

Anlass für uns, mit dem Autor über sein neues Buch zu reden:

BuchMarkt: Herr Mathews, Sie haben Krimikomödien geschrieben, zuletzt einen Jugendroman über einen IS-Kämpfer und über die Fälle eines Anwalts, warum jetzt eine historische Biografie über einen Unbekannten?

Peter Mathews: „Harring war damals weltberühmt, ein „Mann der Sage“. Warum weiß niemand davon? (c) Cyril Schirmbeck

Peter Mathews: HARRO HARRING – der Held meiner Biografie verfolgt mich schon seit über 20 Jahren. Damals war ich für meine Krimis auf der Suche nach ungewöhnlichen Personen und Ereignissen. Ich fand eine kleine Notiz in der Zeitung, in der über eine Veranstaltung in Bredstedt berichtet wurde. Vor 150 Jahren hatte dort ein gewisser Harro Harring zur Gründung eines freien Friesenstaates aufgerufen.  Das interessierte mich und ich begann zu recherchieren. Und damit war ich dann in den Kämpfen des 19. Jahrhunderts, denn Harring war überall dabei, wo es knallte und rauchte. Er ist der „Dichter Unbekannt“ des 19. Jahrhunderts und einer der maßgeblichen Rebellen des Vormärz. Seine Abenteuer, Werke, Taten, Erfolge und Niederlagen ergeben in der Summe eine Art „Meistererzählung“ der gescheiterten Revolution von 1848. Er war dabei meist zur falschen Zeit am falschen Ort und damit die ideale Romanfigur –  er war rebellisch, genialisch, romantisch, nervig, fleißig. Ich habe viel Phantasie, aber das Leben dieses Radikalen war viel besser als meine Krimi-Plots – und ich beschloss, sein Leben zu erforschen und zu erzählen. In einem Krimi habe ich einen Harring-Forscher untergebracht, aber nur als Randfigur.

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In der Folge erschien es mir so, als hätte nicht ich Harring, sondern er mich gefunden. Da war plötzlich ein Charakter, der keinen formenden Autor, sondern einen Chronisten suchte.  Es zeigte sich, dass der Mann vom Ibenshof in Wobbenbüll die Kämpfe und Ideen der erste Hälfte 19.Jahrhundert in seiner Person versammelte. Er war in Griechenland, Polen, der Schweiz, in Hambach, England, Norwegen, Brasilien, den Hotspots des Jahrhunderts und schrieb darüber, malte, dichtete.  Er war damals weltberühmt, ein „Mann der Sage“. Warum weiß niemand davon? Jedenfalls wird er (außer in Wikipedia) in keinem Lexikon, keiner historischen Abhandlung gewürdigt, niemand aus der universitären Historikerzunft erwähnte ihn. Immer wenn ich Experten nach Harring fragte, bekam ich zur Antwort: Harring?Wer?

Und, woran lag es?

Alle waren, wie ich dann feststellte, auf Metternich oder Marx reingefallen. Auf den österreichischen Staatsminister, der Harring und andere Demagogen über Jahre konsequent verfolgten und die Lektüre seiner Bücher und die Erwähnung seines Namens verbieten ließ.  Und auf Marx, der alle mit beißendem Spott verfolgte, die – wie Harring – nicht seiner Meinung waren. Verfolgt, verspottet, verboten, vergessen wurden viele – Heine und Börne sind später diesem Schicksal entkommen. Harring nicht. Das wollte ich ändern.

Und warum hat das so lange gedauert?

Zum einen war die Recherche aufwändig. Keines seiner 140 Bücher ist mehr lieferbar, er hat unzählige Briefe in heute unleserlicher Handschrift geschrieben. Was in Archiven zugänglich war, ist nicht unbedingt leicht zugängliche Kost. Ich war auf seinen Spuren u.a. in New York, auf Jersey und Föhr oder Kiel. Eine staubige Angelegenheit. Inzwischen hat sich die Faktenlage etwas geändert, es tauchen im Internet vermehrt Reprints auf und die Harring-Gesellschaft stellt ihre Forschungen online. Und  dann hatte ich noch andere Verpflichtungen-hatte spannende Jobs bei Rowohlt und dem Berlin Verlag,

aber Harro war ein nerviger Bekannter, der immer wieder unangemeldet am Tisch saß. Er ließ mich nicht los.

Und als ich das Buch fast fertig hatte, wollte es Niemand. Die einen sagten „Gut geschrieben, aber Harring? Den kennt doch keiner.“ Die anderen „Harring, na gut. Aber sind Sie Historiker?“.

Und dann sprachen Sie mit Christian Strasser…

Und dann sprach ich mit Christian Strasser! In seinem Europa Verlag erschienen die hoffnungslosen Fälle des Strafverteidigers Yitzhak Goldfine, die ich zu Geschichten gemacht habe. Es gibt sie noch, die mutigen Verleger. Und so ist alles gut. Das Buch ist da und einen Krimi über Harring gibt es auch. Tilman Spreckelsen hat in seinem Theodor-Storm-Krimi Nordseeschwur Harro Harring eine Rolle als Friesengeist gegeben. Damit ist das auch erledigt. Aber mich hat noch was anderes durchhalten lassen.

Was denn?

Harring war nicht nur ein friesischer Volksheld und eine Sache für Heimatforscher und die Regionalia-Ecke in der Breklumer Bücherstube, sondern gehört auf die europäische Bühne. Er ist ein Europäer  und Weltbürger.

Die aktuellen Diskussionen über Europa, den Terrorismus oder den Überwachungsstaat oder den Rechts-und Linksradikalismus werden ahistorisch geführt. Das 19. Jahrhundert hat all diese Diskussionen schon einmal geführt. Aber wir ignorieren dieses Erbe. Mir kommt die heutige Debatte vor wie ein Wiedergänger der Diskussionen um die politische Romantik. Niemand kommt auch nur auf den Gedanken, sich in der aktuellen Debatte mit der „Verwandlung der Welt“ wie der Historiker Jürgen Osterhammel es nennt, auseinanderzusetzen.  Die Politiker und Kommentatoren tun so, als würden sie gerade das Rad neu erfinden, dabei machen sie die gleichen Fehler wie vor 200 Jahren. Ideologien bestimmten die Politik. Metternich hat Harring als Demagogen verfolgt, Marx hat ihn verspottet –  beide wollten ihn vernichten. Aus politischen Gründen. Es scheint gelungen. Radikale wie Harring wurden außer Landes und der Debatte getrieben, verboten, vergessen. Dabei war er von heute aus gesehen mit Mazzini und anderen Streitern des „Jungen Europa“ Vorkämpfer des heutigen modernen Europas ohne Grenzen. Liberal und radikal – das gibt es nicht mehr. Wir sollten den modernen Europäer, dem radikalen Weltbürger Harring ein Denkmal setzen, oder ihm zumindest im Regal für literarische Biografien einen Platz zwischen Goethe und Heine geben.

Lesungen zum Buch: Am 18.9. in der Landesbibliothek Kiel und am 2.10. im Literaturhaus Fasanenstr. in Berlin

In der vergangenen Woche sprachen wir mit Guntram Vesper über sein neues Buch „Nördlich der Liebe und Südlich des Hasses“ (Schöffling&Co)

 

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