Lukas Rietzschel über seinen Roman "Raumfahrer" (dtv) „Wer beide Bücher liest, bekommt ein Gefühl für die Vielschichtigkeit ostdeutscher Erinnerungskultur“

Sein Debütroman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ war  2018 schon ein Bestseller, der auch seinen Weg ins Theater fand. Nun legt Lukas Rietzschel mit „Raumfahrer“  (im Juli bei dtv) nach. Er sagt: „Die Geschichten funktionieren völlig unabhängig voneinander. Ich glaube aber, dass, wer beide Bücher liest, ein Gefühl für die Vielschichtigkeit ostdeutscher Erinnerungskultur bekommt.“ Das war Anlass für unser heutiges Autorengespräch:

Lukas Rietzschel: „Klar war für mich, dass ich die Themen Erinnerung, Aufarbeitung der NS- und DDR-Zeit im ersten Roman nicht abschließend für mich behandelt habe. Wie Familien mit sogenannten belasteten Biografien umgehen, das interessiert mich, wie sie am Schweigen und Verschweigen leiden. Ich habe auch nach „Raumfahrer“ noch mehr Fragen als Antworten. Ich denke, das ist ein guter Ausgangspunkt, um weiter zu schreiben.“ (c) Christine Fenzl

 

BuchMarkt: Worum geht es in Ihrem neuen Buch Raumfahrer?

Lukas Rietzschel: Es geht, ganz abstrakt gesagt, um zwei Familiengeschichten, die ich, mehr oder weniger, von der Nachkriegszeit bis in die Nachwende hinein erzähle. Es geht um Verletzungen, die über Generationen hinweg nicht verheilen, um Erinnerung, um die Frage nach Zugehörigkeit und um das Danach.

Jan, der Protagonist, und sein Vater wohnen in der Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand, im Schatten der alten Plattenbauten, im Neonlicht der Laderampe des Dänischen Bettenlagers. Das Krankenhaus schließt, wo Schule und Sportplatz waren, ist jetzt ein Supermarkt. Zu den Ruinen der DDR gesellt sich der Leerstand der Gegenwart.

Eines Tages taucht ein Mann auf, der Jan mit der Frage nach seinen Eltern konfrontiert und damit Mauern aufbricht: Welche Beziehungen hatte Jans Mutter zu DDR-Zeiten? Wer war sie überhaupt? Und was hat das mit einem verschwundenen Gemälde von Georg Baselitz zu tun? Jan entdeckt die Geschichten zweier Familien, die scheinbar nichts miteinander gemein haben und doch verknüpft sind. Er trifft auf Menschen, die nirgends so recht dazugehören, die das Alte verloren haben und zum Neuen keinen Zugang finden, die in einem luftleeren Raum zwischen Gegenwart und Vergangenheit schweben. Die Raumfahrer sind. Daher der Titel.

Klingt nach einem sehr sensiblen Thema … Ihr Buch Mit der Faust in die Welt schlagen war bereits ein Hit. Ist das neue Buch ähnlich aufgebaut und auch inhaltlich vergleichbar?

Es spielt zumindest in der gleichen Region, in der Lausitz, ja, und behandelt mit der Nachwendezeit wenigstens zum Teil eine Epoche, die ich auch in „Mit der Faust in die Welt schlagen“ schon begonnen habe zu beleuchten. Was sich ebenfalls in „Raumfahrer“ finden lässt, ist die Sprachlosigkeit, die in den Familien und zwischen den Generationen wie unüberwindbar scheint. Neu ist, für mich, die erzählerische Verknüpfung von Nachkriegs- und Nachwendezeit; das habe ich über eine parallele Erzählweise probiert. Es gibt eine Liebesgeschichte, das ist neu, es ist spannender aufgebaut, mitunter fast krimiartig. Außerdem habe ich versucht, die Kunst von Georg Baselitz, einem der erfolgreichsten deutschen Gegenwartskünstler, die im Roman eine Rolle spielt, in Worte zu fassen. Das war mitunter gar nicht so einfach.

Ist es schwieriger ein zweites Buch zu schreiben, wenn das erste bereits so gut ankam?

Im Gegensatz zum Schreiben des ersten Buches, habe ich einen gewissen Druck gespürt, ja. Als ich mein Debüt schrieb, hatte ich noch keinen Verlag, geschweige denn irgendeine LeserInnenschaft. Ich habe aber festgestellt, dass die Frage danach, wie der neue Roman ankommen könnte und ob die Geschichte jemanden interessiert, nur am Anfang des Schreibprozesses eine Rolle spielte. Zu einem Zeitpunkt also, als ich selbst noch in der Findungsphase war. Je sicherer ich bei der Ausgestaltung der Geschichte wurde, desto leiser wurden die Stimmen, die mich an ein Publikum oder eine mögliche schlechte Rezension erinnerten.

 Wieso wollten Sie in Raumfahrer erneut über ein so heikles Thema (Vergangenheitsbewältigung, Geheimnisse, Erinnerungen) schreiben?

Klar war für mich, dass ich die Themen Erinnerung, Aufarbeitung der NS- und DDR-Zeit im ersten Roman nicht abschließend für mich behandelt habe. Wie Familien mit sogenannten belasteten Biografien umgehen, das interessiert mich, wie sie am Schweigen und Verschweigen leiden. Ich habe auch nach „Raumfahrer“ noch mehr Fragen als Antworten. Ich denke, das ist ein guter Ausgangspunkt, um weiter zu schreiben.

Und welche Reaktionen erhoffen Sie sich darauf?

Kritische, wohlwollende, gleichgültige; alles willkommen. Ich habe mein Bestes gegeben und bin gespannt, wie das nun aufgenommen wird.

 Welche Leserschaft möchten Sie damit ansprechen?

Im Idealfall all jene, die gerne Mit der Faust in die Welt schlagen gelesen haben. Die sich also für die Aufarbeitung der DDR, die Umbrüche der Wende- und Nachwendejahre, die Entwicklung des Ostens, für gesellschaftliche Transformation, für biografische Brüche und ganz einfach für zeitgenössische Literatur und eine neue, junge Generation an ostdeutschen Kunstschaffenden interessieren. Man muss das Debüt aber nicht gelesen haben, um in die Welt von „Raumfahrer“ einzusteigen. Die Geschichten funktionieren völlig unabhängig voneinander. Ich glaube aber, dass, wer beide liest, ein Gefühl für die Vielschichtigkeit ostdeutscher Erinnerungskultur bekommt.

Mit welchem Argument kann der Buchhandel das Buch gut verkaufen?

Ich glaube, dass auf diese Art, in dieser Form, noch nicht über den Osten geschrieben wurde.

 Diese 3 Wörter beschreiben das Buch am besten:

Familiengeheimnisse, Sprachlosigkeit, Vergangenheitsbewältigung

Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie dennoch gerne beantwortet?

Ich würde gern noch erklären, wieso der Name Baselitz hier in unserem Interview und im Buch immer wieder auftaucht, warum ich mich mit seinen Gemälden beschäftige und die Familie Kern (so heißt Baselitz mit bürgerlichem Namen) im Roman eine Rolle spielt.

Hier können Sie dies nun tun:

Baselitz ist, wie ich, in Kamenz aufgewachsen, bevor er in den Westen ausgewandert ist. Seine Bildwelten haben daher einen ganz konkreten Bezug zu meinem bekannten, geografischen Umfeld, zu der Region also, die ich in meinen Büchern beschreibe. Viel wichtiger für die Arbeit am Roman war jedoch, dass mir Günter Kern, der Bruder von Baselitz, der im Osten geblieben und eine der Hauptfiguren im Buch ist, Stasi-Unterlagen, Akten und Briefe zur Verfügung gestellt hat. Was ich da mitunter gefunden habe, ist ungeheuerlich.

 

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