"Er war rastlos und hatte doch stets die Ruhe weg" Wolfgang Hartmann ist gestorben

Am Weihnachtsabend 2018 ist Wolfgang Hartmann nach langer Krankheit mit 76 Jahren in Nürnberg gestorben. Er hätte wahrscheinlich gesagt: Irgendwann drückt jeder seine letzte Zigarette aus. Man ist versucht, von einem Vertriebs-Urgestein zu reden, aber das klänge zu statisch. Wenn ein Bild auf ihn passen könnte, wäre es die Dampflok. Diese Maschinen haben ihn fasziniert, denn er rauchte selbst ununterbrochen: ein ebenso scharfer Denker wie Autofahrer; sein Gehirn und seine Reifen rauchten, nicht zu vergessen seine Brissagos und Roth-Händle. Er war rastlos und hatte doch stets die Ruhe weg.

Seine gefühlte Heimatstadt Frankfurt am Main hat markante Köpfe ganz unterschiedlicher Richtungen hervorgebracht: Bürger und Rebellen – Wolfgang Hartmann war eine rätselhafte Mischung aus beiden. Er konnte sehr konventionell sein, und zugleich war es ihm schnuppe, weil er radikal eigenständig dachte. Er schätzte ausgewählte Rockmusik wie Pink Floyd und Mike Oldfield – und sein Herz ging auf, wenn Alfred Brendel Schubert spielte.

Obwohl ihm seine familiäre Herkunft ein naturwissenschaftliches Studium nahegelegt hat, entschied er sich für eine Verlagsbuchhändlerlehre, bei S. Fischer. Er war sehr belesen, verfügte über eine beachtliche Bibliothek (Joseph Conrad, Laurence Sterne und Konsorten). Zugleich liebte er seinen Elektronikkeller, in dem er tüftelte, lötete und dabei dem Weltempfänger lauschte. Er hatte buchstäblich eine Antenne für die Sichtweisen von anderen, und konnte sich so sein eigenes Bild der Welt zusammenstellen, schon lange bevor es das Internet gab. Er verfolgte das Weltgeschehen bis zuletzt, vor allem die westliche Überheblichkeit, mit zunehmender Skepsis. Im Ruhestand wurde er zum Wahl-Mongolen, unter ihnen fand er Freunde.

Er hat in der Nach-68-er-Zeit im Vertrieb beim Luchterhand Literaturverlag gearbeitet, als der noch unabhängig war und der Verlag von deutschen Autoren wie Günter Grass, Max von der Grün und Peter Härtling, aber auch von internationalen wie Michail Bulgakow, Pablo Neruda und Alexander Solschenyzin. Der beachtliche Aufstieg des Ravensburger Buchverlags seit den 70-er Jahren zu einem der größten Kinderbuchverlage hat viel mit Hartmanns Präsenz als Vertriebsleiter bei den Kunden in allen Vertriebskanälen zu tun. Diese Verbindungen konnte er auch einbringen, nachdem der legendäre Ragnar Tessloff seinen marktführenden Kindersachbuchverlag an die Nürnberger Mediengruppe Müller verkauft hatte und Hartmann dort 1985 – 1995 Vertriebsleiter war.

Er hat es verstanden, in seinen Verlagen ein professionelles Wir-Gefühl zu erzeugen, statt im verbreiteten Lagerdenken „Hier Vertrieb – da Lektorat“ zu verharren. Im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern suchte er stets das Gespräch, oft auf schier endlosen Spaziergängen. Nun hat er seinen letzten Gang angetreten. An einen Himmel hat er wohl nicht geglaubt, aber wer einmal mit ihm in voller Lautstärke „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin gehört hat, konnte spüren: Transzendentales war ihm nicht fremd.

Ulrich Störiko-Blume

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