Else Laudan über die Arbeit an und mit feministischen Krimis „Mit Krimis die Große Erzählung verändern?“

Else Laudan

Im Rahmen der von den BücherFrauen ausgerufenen Feministischen Buchwoche #FemBuWo23 habe ich in Hamburg einen bunten Abend gemacht und von der Arbeit an und mit feministischen Krimis erzählt: wie es vor 35 Jahren anfing, was sich verändern ließ und wo wir heute stehen.

„Mit Krimis die Große Erzählung verändern“ – klingt vermessen? Fakt ist ja: Bei Ariadne hat die Praxis gezeigt, dass es geht. In der ersten Blütezeit erreichten unsere Krimis Frauen aller Generationen zwischen 15 und 90, sie alle kamen zu Lesungen, schrieben Leserinnenbriefe, lasen jahrelang alles. Dann, im neuen Jahrtausend, schien unser Krimipublikum lange Zeit weitgehend Ü50 zu sein. Jetzt sehe ich bei Veranstaltungen endlich wieder mehr Leser*innen zwischen 20 und 30. Anders als die feministisch und queer vernetzten Leser*innen der 90er suchen die Jüngeren die Aufbruchs-Impulse noch nicht im Genre, der Krimi kommt ihnen gestrig vor, allzu brav und gemütlich. Aber live kann ich sie von unserem Programm überzeugen: ihnen gefällt der radikale Ansatz, die Vielfalt, aber auch das Dunkle und Realistische und die Spannung. Bei Lesungen staunen sie, wenn ich zeige, was es alles schon mal gab, wollen viel mehr darüber wissen. Also erzähle ich.

Krimi als politische Leselust-Form

Bis vor 40 Jahren trugen Frauen im Krimi nur Stricknadeln oder Dekolletees, dann drängten Feministinnen ins Genre, änderten es radikal. Das waren die 1980er, es gab überall Frauenbuchläden, es gab sogar internationale Feministische Buchmessen (1984 in London, 86 Oslos, 88 Montreal, 90 Barcelona, 92 Amsterdam, 94 Melbourne). Politisches Lesen nicht auf Theorie zu begrenzen, sondern auch Unterhaltungsliteratur emanzipatorisch aufzufassen, das war ein Mega-Hit, Zigtausende Frauen lasen Ariadne-Krimis, redeten darüber, kamen zu Veranstaltungen. Da war das Ariadne-Programm ein kultureller Brennpunkt mit dem Charisma des politischen Aufbruchs.

Ab Mitte der 90er zogen die großen Konzernverlage nach, brachten auch „Frauenkrimis“ mit Kommissarinnen und Reporterinnen und Amateurdetektivinnen. Da war das Thema im Mainstream angekommen. Und das bewies: Krimis eignen sich super zur Sichtbarmachung von Menschen, die in der Großen Erzählung vorher unsichtbar waren. So lassen sich im Mainstream wenig oder gar nicht respektierte Figuren und Lebensweisen ins Blickfeld rücken. Das ist eine Möglichkeit, Einfluss auf die Große Erzählung zu nehmen.

Markterfolg und die Nachteile

Das Problem mit Mainstream-Erfolg und Warenform ist, dass Profit schnell wichtiger wird als gute Programmarbeit. Tolle Autorinnen werden zu „Milchkühen“. Ein gutes Beispiel ist die große Pionierin Sara Paretsky. Ihre Detektivinnenromane um die hartgesottene Wirtschaftsermittlerin V.I. Warshawski wurden weltweit Verkaufsschlager, Hollywood verfilmte sie, auf Deutsch kamen sie bei einem großen Publikumsverlag heraus. Nach 20 Jahren beschloss ein anderer Konzernverlag, der Konkurrenz diese „Milchkuh“ auszuspannen, machte ein hohes Gebot und „übernahm“ die Autorin, brachte den Roman Hardball heraus (darin geht es um Baseball, kein Idealthema für hierzulande), befand den Umsatz als enttäuschend und ließ die Autorin fallen. So verschwand ab 2011 die berühmteste feministische Krimiautorin der Welt vom deutschen Markt. Nach 6 Jahren fiel mir auf, dass sie im englischsprachigen Raum weiterhin erschien, und ich holte sie zu Ariadne, wo seitdem schon 4 neue Romane herausgekommen sind (übrigens in besserer Übersetzung als früher, zuletzt Schiebung). Jeder davon zeigt eindrucksvoll, wie brandaktuell Paretsky schreibt.

Krimi als Form, die Welt in den Kopf zu lassen

Derzeit wünschen sich gerade jüngere Leser*innen diverse, welthaltige Lektüre. Für solche Ansprüche an gute progressive Literatur ist Sara Paretsky eine echte Bank: Unterhaltsam und packend erzählt sie souverän von realen strukturellen Verbrechen, liefert penibel recherchierte politische Infos, sie ist divers und radikal im besten Sinn. In Schiebung kämpft Warshawski gegen sexistische und rassistische Dünkel, gegen kriminelle Ausbeutung von Armen und Migrantischen und Frauen – topaktuelle Themen. Nur haben wir bei Ariadne nicht die Marketing-Power großer Verlage, wir müssen ohne Werbung auskommen – es ist daher Schwerstarbeit, unsere Bücher sichtbar zu machen. Wir brauchen die Sympathie von Buchhandel und Feuilleton, um auch neue Generationen zu erreichen, die sich an dem Konzept erfreuen können: gute Krimis als peppige Geschichtsstunde, Krimis als Radikalisierungs- und Diversitäts-Tool. Perspektive und Sympathien gehören hier Frauen, Nichtweißen, Menschen am Rand. Ariadne-Autorinnen sind Expertinnen darin, aktuelle Konflikte in mitreißenden Krimis aufzubereiten – oder die Geschichte neu zu erzählen, so wie Malla Nunn oder, ganz neu, Mary Paulson-Ellis.

Solomon Farthing: peppige Geschichtsstunde und ein Männlichkeit dekonstruierender Held

Die Schottin Mary Paulson-Ellis folgt der Spur harmloser Objekte in die Vergangenheit. In Das Erbe von Solomon Farthing rasen wir mit einem schwulen Erbenjäger durch Britannien und entdecken, wie das Gift aus Zwängen und Ritualen klassischer Männerrollen historisch durch die Generationen fortwirkt – ein hochmoderner Rätselroman, dramatisch und witzig, sprachlich grandios, bildstark und überraschend. Zur #FemBuWo hab ich erstmals aus Solomon Farthing vorgelesen – war das eine Wonne! Opulentes Erzählen mit Sprachwitz kommt super an. Ein richtig guter Krimi öffnet Fenster zur Welt, erfüllt alle Ansprüche exzellenter Literatur und reißt total mit. Mein Ariadne-Programm, seit 1988 intersektional feministisch, erweist sich – zumindest live – als voll auf der Höhe der Zeit.

Erzählt habe ich natürlich auch von Hürden und Tricks beim diskursbewussten, achtsamen Übersetzen – ich lektoriere sehr penibel und übersetze viel selber. Das Interesse daran ist gerade bei Jüngeren groß – decolonize Lesegenuss! –, und es ist ein spannendes Feld, in dem wir alle noch viel lernen können. Aber dazu ein andermal mehr.

Else Laudan

Link zur Feministischen Buchwoche #FemBuWo23

Die Bücher:

Sara Paretsky, Schiebung
Ariadne 1264. Übersetzt von Else Laudan
ISBN 978-3-86754-264-7

Mary Paulson-Ellis, Das Erbe von Solomon Farthing
Ariadne 1269. Übersetzt von Kathrin Bielfeldt
ISBN 978-3-86754-269-2

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