Heinold fragte im April nach: Cassirer

Der Stammvater der Familie hieß Moses ben Loebel Cassirer, wurde 1771 im schlesischen Bujakow südlich von Kattowitz geboren und starb 1852 in Gleiwitz. Dessen Sohn Marcus Cassirer wurde 1809 ebenfalls in Bujakow geboren und starb 1879 in Breslau. Fast alle Kinder von Marcus siedelten sich in Berlin bzw. dem damals noch selbstständigen Charlottenburg an.

Seine Enkel Paul Cassirer (Breslau 1871 – Berlin 1926) und Bruno Cassirer (Breslau 1872 – Oxford 1942) sind die beiden Vettern, die sich 1898 zusammentaten und in Berlin eine Kunst- und Verlagsanstalt gründeten. Da Bruno die Schwester von Paul, Else, heiratete, waren die Vettern auch Schwäger.

Aufgrund persönlicher Differenzen trennen sie sich bereits 1901 wieder und zeigten im Börsenblatt vom 30. August an, dass „Herr Bruno Cassirer den gesamten Buchverlag übernimmt“ und „Herr Paul Cassirer die Kunstanstalt unverändert weiterführt und den Kunstverlag behält.“ Von da an gab es in Berlin zwei Cassirer Verlage.

Paul Cassirer, der Ältere von beiden, wurde nach Ablauf einer achtjährigen Schutzfrist verlegerisch umfassend tätig, gründete 1908 unter dem Namen Pan-Presse eine eigene Druckanstalt und belebte 1910 mit Alfred Kerr als späterem alleinigen Herausgeber die Zeitschrift Pan neu, die von 1895 bis 1900 schon einmal unter der Herausgeberschaft von Otto Julius Bierbaum und Julius Meier-Graefe erschienen war. Zwischen 1919 und 1920 brachte Paul Cassirer mit René Schickele die ebenfalls legendäre Zeitschrift Die Weißen Blätter heraus. Mit seinem Kunstsalon, den er mit Bruno Cassirer gegründet hatte, setzte er die impressionistische Malerei in Deutschland durch, sowohl französische wie deutsche Meister. In dieser Galerie wurden von 1895 bis 1933 über 200 Ausstellungen mit über 20 000 Kunstwerken veranstaltet.

Paul Cassirer heiratete 1910 in zweiter Ehe Ottilie Godeffroy, unter dem Namen Tilla Durieux eine der berühmtesten Schauspielerinnen ihrer Zeit. Ihretwegen endete sein Leben tragisch: Weil sie sich von ihm scheiden lassen wollte, erschoß er sich 1926 während der Verhandlungen darüber im Nebenzimmer des Anwalts. Die Durieux starb erst 1971 und wurde in Berlin neben ihrem einstigen Ehemann Paul Cassirer beigesetzt.

Paul Cassirers Geschäftspartner Walter Feilchenfeld und Grete Ring führten das Unternehmen bis zu ihrer Emigration in den 30er Jahren weiter, mussten es dann aber auflösen.

Bruno Cassirer geriet mit seinem Verlag in Konkurrenz zu seinem Vetter, andererseits ergänzten sich die beiden Programme speziell im Kunstbereich und viele Künstler waren weiterhin in beiden Verlagen tätig. Literarischer Lektor war Christian Morgenstern, von dem vier Bücher zu Lebzeiten und fünf aus dem Nachlass im Verlag erschienen. Ab 1928 bis zu seiner Emigration war der nachmalige erste Friedenspreisträger Max Tau Lektor bei Bruno Cassirer, der 1936 sein letztes Buch in Deutschland veröffentlichte. 1939 eröffnete er offiziell seine neue Firma Bruno Cassirer Publishers Ltd in London-Bloomsbury und siedelte wegen der Kriegsereignisse nach Oxford über, wo er bald starb und sein Schwiegersohn Günther Hell (George Hill) die Verlagstradition fortführte. Das Unternehmen besteht bis heute.

Pauls und Brunos Vetter Ernst Cassirer (Breslau 1874 – New York 1945) wurde durch sein Hauptwerk Die Philosophie der symbolischen Formen bekannt. Er gehörte zur neukantianischen Marburger Schule, formulierte aber eine eigenständige Kulturphilosophie und setzte sich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit dem Phänomen des Nationalsozialismus auseinander. Seit 1919 in Hamburg Professor, einige Jahre Rektor der Universität und von Einfluß auf das geistig-kulturelle Leben der Freien und Hansestadt, mußte er 1933 emigrieren, zunächst nach Oxford, dann nach Schweden und schließlich 1941 in die USA.

Kusine Edith Johanna Cassirer (Danzig 1885 – Meiringen/Schweiz 1982) heiratete den Reformpädagogen Paul Geheeb. Zusammen mit ihm baute sie unter tatkräftigter ideeller und vor allem finanzieller Unterstützung ihres Vaters, des Industriellen Max Cassierer, zunächst in Deutschland, ab 1934 in der Schweiz die Odenwaldschule auf.

Mit diesen Namen ist noch längst nicht erschöpfend dargestellt, welche Rolle die Angehörigen der Familie Cassirer im Geistes-, Kultur- und Wirtschaftsleben seit den Gründerjahren bis zum Beginn des unseligen Dritten Reiches in Deutschland und weit darüber hinaus gespielt haben. Wer neugierig geworden ist, dem sei Sigrid Bauschingers Biographie einer Familie empfohlen, die unter dem Obertitel Die Cassirers – Unternehmer, Kunsthändler, Philosophen soeben bei C.H.Beck erschienen ist.

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