Geheimnisse eines Agenten Teil 21 Thomas Montasser: Liebesgrüße aus München

An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs. Diesmal beschäftigen ihn – aus gegebenem Anlass – Haltungsthemen und der Umgang mit Kritik:

Achtung! Dieser Text könnte religiöse Gefühle verletzen, unangemessene Sprache verwenden oder … ach, suchen Sie es sich einfach aus. Die Gefahr, Menschen zu nahe zu treten, ist natürlich immer dann groß, wenn man sich öffentlich äußert. Wenn man ein loses Mund- oder in meinem Fall Schreibwerk hat, ist sie doppelt groß und fliegt einem womöglich um die Ohren!

So geschehen mit meiner letzten Kolumne, mit der ich offenbar eine Tretmine unter dem Spielfeld besonders aufmerksamer Zeitgenoss*innen vergraben habe, um dann sogleich selbst draufzusteigen. Es ging – in gewohnt übertriebener, will heißen: satirischer Weise darum, dass die Medien literarische Werke leider kaum noch inhaltlich wahrnehmen, weil sie viel lieber über die Verfasser*innen berichten. Gibt es zu denen eine Story, die interessiert, dann interessiert auch das Werk. Gibt es sie nicht, wird es in der Regel ignoriert. Deshalb fand ich es an der Zeit, mal eine Lanze für all die Unbeachteten da draußen zu brechen, die großartige Bücher schreiben, aber halt selbst einfach nicht so großartig sind, sondern eher langweilige Durchschnittsmenschen.

Der Agent, locker-flockig wie eh und je, würzt diesen Befund mit einer „Muster-Vita“, in der eine Transfrau vorkommt, weil das nun einmal eine interessante Besonderheit eines Menschen ist, im Zweifel eine, auf die auch in den Medien gerne geschaut und verwiesen wird. Was passiert? Genau darauf wird „in den Medien“ eingestiegen, und zwar in den Sozialen Medien. Quod erat demonstrandum. Also jede Menge Zuspruch? Im Gegenteil! Der Agent staunt: Der Beweis seiner Feststellung nämlich mündet direkt in einen ausgewachsenen Shitstorm. Statt anzuerkennen, dass er beklagt, wie diskriminierend diese Haltung ist, nämlich alles auf Fragen der Identität zu reduzieren, wird ihm Trans- und Frauenfeindlichkeit und auch sonst praktisch jede Form von Bösartigkeit und Gemeinheit vorgeworfen. Statt zu würdigen, dass er sich für die unbeachteten, ungewürdigten Autor*innen einsetzt, deren Werk in den Medien nicht wahrgenommen wird, wird feststellt, der trete von oben nach unten. Oben? Unten? Steht die Hausfrau aus Bielefeld über dem Feuilleton der „Zeit“? Darf nicht auch die Autorin mit Transidentität erwarten, dass man ihren Roman vor allem inhaltlich würdigt, statt immer nur über ihre Erfahrungen mit der Geschlechtsanpassung zu berichten?

Okay, ich versuche es mal ganz unpolemisch: Liebe Kritiker*innen, ich akzeptiere, dass man meine überzogenen Scherze als geschmacklos oder unpassend betrachten kann. Aber ich lasse mich deshalb nicht mal eben von einem Shitstorm auf die andere Seite der Gesellschaft pusten. Fürs Protokoll: Ich bin ein in jeder Hinsicht toleranter Feminist. Immer gewesen. Alle meine Veröffentlichungen beweisen das. Und ich gedenke es zu bleiben, auch wenn ich deshalb nicht zum Jakobinertum wechsle. Dass wir heute – auch über Fragen der Identität – diskutieren können, wie wir es tun, ist Generationen von engagierten, toleranten Menschen zu verdanken, die vor uns waren. Nicht jeder, der heute „Ü50“ und „cis“ ist, ist automatisch böse. Nicht jeder, der mal einen schlechten Scherz macht, ist ein Nazi. Es ist gut, wenn wir einander aufmerksam machen auf Haltungsprobleme. „Lieber Thomas Montasser, diesmal haben Sie’s mit Ihrer spöttischen Art echt übertrieben. Da können sich Menschen verletzt fühlen. Darauf sollten Sie achten. Gerade, wenn Ihnen diese Menschen auch am Herzen liegen!“ Wäre ein netter und kluger Kommentar gewesen. „Sie haben recht“, hätte ich dann hoffentlich geantwortet. „Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam machen. Beim nächsten Mal beiße ich aufmerksamer und vor allem unmissverständlicher.“

Denn, hey, wir stehen auf derselben Seite! Wir wünschen uns dieselbe Gesellschaft. Naja, wenn’s nach mir geht, allerdings ein bisschen nachsichtiger in alle Richtungen. Denn ob wir Ü- oder U-50 sind, als Mann oder als Frau oder anders geboren wurden, ob wir cis oder trans sind, schwarz oder weiß, das haben wir uns alle nicht ausgesucht. Keiner hat das Recht, sich über Andere zu stellen, keiner ist mehr wert als andere. Und alle haben das gleiche Recht auf Würde und Würdigung. Dafür kann und muss der Literaturmarkt das wichtigste Forum sein. Bunt wie sie ist, die Welt der Literatur, sollten wir versuchen, nicht ständig alles nur schwarz-weiß zu sehen.

Deshalb an dieser Stelle von mir an alle, die es lesen wollen: Liebesgrüße aus München!

P.S. Studienräte (m) im Ruhestand sind nach meiner Erfahrung trotzdem nicht auf dem Buchmarkt vermittelbar. Sie mögen sich bitte alle bei der Agentur Schlück bewerben. Die sehen das anders.

Kommentare (4)
  1. Lieber Herr Montasser,

    ich fand Ihre satirisch überzeichneten Anmerkungen so angebracht wie treffend. Insofern verstehe ich die von Ihnen angesprochenen Reaktionen nicht, aber sie überraschen mich auch nicht. Nach meinen Beobachtungen, und mit denen stehe ich nicht allein, tun sich viele Deutsche nicht erst seit Tucholsky mit Satire schwer. Erst recht in diesen Zeiten politischer Korrektheit. Das ist vor allem deshalb schade, weil gerade Überzeichnungen den Kern dessen treffen können, was man vermitteln will. Hoffnung macht mir, dass Deutschland noch nicht so weit ist wie Thailand, wo ich seit 2008 lebe. Dort reicht schon eine ironische Bemerkung, dass mein thailändischer Gesprächspartner in sich hineinhorcht, ob der Spruch vielleicht Gesichtsverlust für ihn bedeutet. Soviel und nebenbei zum Thema kulturelle Tretminen in Fernost. Es wird der Tag kommen, an dem ich mich darauf eingestellt habe.
    Bernd Linnhoff
    Chiang Mai
    Thailand

  2. Danke, Herr Montasser, für die ehrlichen, direkten Worte, die viele andere in ihren Positionen nicht aussprechen können aus Angst vor Konsequenzen. Ich hatte mich über die Kritik gewundert und es bedauert, dass das Augenmerk sich dabei auf etwas anderes gerichtet hat als den zentralen Punkt „In der Branche geht Verpackung über Inhalt, und es wird immer schlimmer“. Der überwiegende Teil der Autor*innen sollte dem zustimmen, und ich wundere mich, dass es einen Shitstorm gab.

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