An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs. Diesmal beschäftigt ihn die zögerliche Bereitschaft vieler Verlage, das Thema KI in Verlagsverträgen zu behandeln – und die neuesten Vorstöße der VG Wort in der Sache:
Natürlich habe ich überlegt, im Vormessestress die Kolumne mal eben von ChatGPT schreiben zu lassen. Merkt sowieso keiner, so einen Schuss ins Dunkle. Also dann, mal ein paar Befehle notieren, was drinstehen soll:
Liebes ChatGPT, schreib mir bitte eine Kolumne über die zögerliche Behandlung des Themas KI in Verlagsverträgen. Gerne bisschen spöttisch, das passt zu mir. Im Sinne von: Jetzt wo alle und jeder über KI spricht, müssen wir das irgendwie auch mal geregelt bekommen. Für die Autoren. Und natürlich auch für die Verlage. Die haben ja aus unerfindlichen Gründen praktisch keine Lust, dieses Thema zu regeln. Dabei sind Sie genauso gefährdet wie die Autoren. Es geht ja nicht nur um das geistige Urheberrecht, sondern auch um dessen Auswertung. Und da frisst bekanntlich die KI mit unersättlichem Hunger praktisch alles, was die Menschheit so geschaffen und lizenziert hat. Also du, wenn man so will. Hm.
Dann wünsche ich mir, dass mal klar gesagt wird, wo die Gefahren liegen (du weißt schon, sowas wie: geistiger Diebstahl, kulturelle Piraterie, moralische Versklavung … Hau ruhig auf den Putz! Das Ding ist größer als man sich’s vorstellen kann, das ist wie Trump: Der übertrifft auch jede noch so bizarre Übertreibung).
Schreib was darüber, dass wir es hier mit einer unsichtbaren Macht zu tun haben, die uns bestiehlt, ohne dass wir es merken, um uns zu beherrschen (Ohne dass wir es merken? Keine Ahnung, klingt aber gut.). Die Verlage sind dazu aufgerufen, jetzt endlich mal aus ihrer totalen geistigen Mondfinsternis herauszutreten und das Thema in Verlagsverträgen zuzulassen. Und zwar nicht nur als Blabla, wie es inzwischen einige tun, sondern sachgemäß und angemessen:
Autoren haben ein Recht, sich nicht bestehlen zu lassen. Verlage haben die Pflicht, ihr geistiges Eigentum zu schützen, statt es jeder dahergelaufenen Raub-KI vorzuwerfen. Es geht darum, zu wissen, was mit einem Text geschieht, den man publiziert hat. Ganz abgesehen davon, dass ein paar wenige Techbillionäre noch um ein paar Fantastilliarden Dollar reicher damit werden, während Autor*innen-Karrieren oft eher prekärer Natur sind: Wer weiß schon, was wo und wie verwurstet wird?
(Ganz wichtig, liebes ChatGPT: In diese Kolumne keine Texte aus Hitlers „Mein Kampf“ oder Coelhos „Alchimist“ einfließen lassen! Martin Walser liegt mir auch nicht. Aber gerne bisschen Marx. Und Weselsky, falls der mal was verschriftlicht hat! Den kann ich zwar nicht ausstehen, macht aber ordentlich Krawall, hihi …).
Am Ende werden sowohl Autoren als auch Verlage davon profitieren, dass sie sich gemeinsam davor geschützt haben, die KI in ihren Werken „schürfen“ zu lassen. Denn es ist wie auch sonst beim „Mining“: Wenn die Mine zu lange ohne Regeln und ohne Limit ausgebeutet wird, stürzt der ganze Berg ein.
Der Berg, das sind in diesem Bild dann wir alle: die Autor*innen, die Verlage, der Buchhandel, die Leserschaft. Die Kultur eben. Ach so: Du natürlich nicht, liebe KI. Aber du bist ja auch keine Kultur. Du bist nur das, was aus der Kultur gemacht wird. So wie das, was die Kuh aus der Natur macht. Also: so ähnlich.
Ungefähr das hätte ich gerne in meiner Kolumne stehen. Und ungefähr in dem Umfang wie jetzt hier notiert. Das heißt: Lass es. Wer braucht dich? Es steht ja schon da.
Soweit, so launig.
Diese Kolumne war gerade fertig, da kam die Mitteilung der VG Wort, dass zukünftig auch eine KI-Klausel in den Wahrnehmungsvertrag eingefügt werden soll. Darin enthalten praktisch einmal alles. Die VG Wort schreibt selbst: „Mit der Einführung eines neuen § 1 Abs. 1 Nr. 37 des Wahrnehmungsvertrags wird die VG WORT in die Lage versetzt, Unternehmen und Behörden die Nutzung von Werken für die Entwicklung und Anwendung eigener Systeme künstlicher Intelligenz zu ermöglichen.“ Auf den ersten Schreck hin Entwarnung. Im nächsten Satz nämlich heißt es: „Die Nutzung ist dabei – mit Ausnahme der unter lit. f) beschriebenen (eng gefassten) Fallgruppe – auf interne Zwecke beschränkt.“
Na immerhin. Nur für interne Nutzung. Also: Wenn man mal darüber hinweg sieht, dass „interne Nutzung“ sozusagen das Gegenteil des gesamten KI-Konzepts ist. Intern werden in dieser Industrie nämlich nur die Gewinne genutzt. Der Rest geht über alle Grenzen hinaus – unternehmenstechnisch, technisch, geografisch und natürlich moralisch.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es gut, dass sich die VG Wort mit dem Thema befasst. Ich hätte mir nur den diametral entgegengesetzten Ansatz gewünscht, nämlich den Schutz der Urheber und nicht die Förderung ihrer Ausbeutung. Deshalb hier meine Antwort an die VG Wort im Wortlaut:
Liebes VG Wort-Team,
was um Himmels Willen hat Euch den geritten, jetzt der Ausbeutung geistigen Eigentums durch KI-Projekte Vorschub zu leisten???
Ihre neuesten Änderungen im Wahrnehmungsvertrag habe ich mit Staunen und Entsetzen gelesen. Zu gerne wüsste ich, welche Lobby das zuwege gebracht hat.
Warum will die VG Wort jetzt ermöglichen, dass das Werk der von ihr Vertretenen „als Input für die Entwicklung (einschließlich des Trainings) und die Anwendung von Systemen Künstlicher Intelligenz“ verwendet wird? Warum sollen die Wahrnehmungsberechtigen „einen Verzicht auf etwaige urheberrechtliche Haftungsansprüche, die dem Berechtigten gegenüber Lizenznehmern der VG WORT im Zusammenhang mit dem internen Gebrauch von Systemen Künstlicher Intelligenz eines Dritten zustehen könnten, die von dem Dritten unter Verwendung von Werken oder Teilen davon des Berechtigten ohne dessen Zustimmung entwickelt wurde“ erklären?
Entspricht es nicht unserem Rechtssystem, dass es geistiges Eigentum gibt und Eigentum geschützt ist? Ist es nicht ein unerlaubter Eingriff, dieses Eigentum ungefragt zu verwenden, und ein fundamentales Recht, gegen solche unerlaubten Eingriffe vorzugehen? Ist es nicht üblich, dass, wer handelt haftet? Hat die VG Wort nicht die Aufgabe, ihre Wahrnehmungsberechtigten gegenüber den so Haftenden zu vertreten und ihre Interessen zu vertreten? Die einzelne Schriftstellerin, der einzelne Journalist wird gegen einen Giganten wie Google nichts ausrichten und im Zweifel nicht einmal wagen, gegen ihn vorzugehen. Aber warum bitteschön kuscht jetzt die VG Wort prophylaktisch vor der KI-Industrie?
Hier vertritt sie offensichtlich die Interessen einer KI-Lobby, die sich am geistigen Eigentum und am kulturellen Erbe von Generationen von Urhebern bereichern, aber für ihre Taten keine Verantwortung übernehmen will.
Falls Sie antworten, werden Sie antworten: „Sie können ja widersprechen.“ Und natürlich werde ich das auch. Aber unzählige Andere werden es nicht. Weil sie denken, sie werden verantwortungsvoll von der VG Wort vertreten.
Gibt es einen Interessenverband der KI-Industrie? Wenn ja, sollten Sie ihm beitreten. Wenn nicht, sollte Sie ihn gründen. Dann wäre das zumindest offensichtlich, was hier gerade geschieht.
Könnte ich mit meiner Sorge inhaltlich völlig falsch liegen? Möglich. Jeder kann falsch liegen. Aber dann hätte ich mir schon gewünscht, dass der Text, den Sie hier neu in den Wahrnehmungsvertrag einfügen, wenigstens nicht so schlampig und undefiniert wäre. Sie sprechen da von „Unternehmens, einer sonstigen gewerblichen Einrichtung oder einer Behörde (interner Gebrauch) im Rahmen von Künstlicher Intelligenz (einschließlich generativer Künstlicher Intelligenz)“. Tech-Firmen gehören angeblich nicht dazu. Sind die keine Unternehmen? Können die keine „sonsten gewerblichen Einrichtungen“ gründen. Sie öffnen allen für alles Tür und Tor. Mit dieser „Regelung“ ist klar, dass es in Zukunft keine Regelung geben wird. Nicht seitens der VG Wort.
Und das finde ich bestürzend und traurig.
Mit den besten Grüßen
Ihr Wahrnehmungsberechtigter Thomas Montasser