Am Freitag ging die zweitägige Jahrestagung der Interessengruppe Hörbuch im Haus des Buches in Frankfurt am Main zu Ende. Rund 70 Mitglieder und Gäste trafen sich, um sich auszutauschen und neueste Entwicklungen zu analysieren. Begrüßt wurden sie von den IG Hörbuch-Sprechern Heike Völker-Sieber (Der Hörverlag), Johannes Ackner (Buchfunk) und Kilian Kissling (Argon).
Optimismus signalisierte u.a. eine im Vorfeld der diesjährigen Leipziger Buchmesse herausgegebene Pressemitteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die einen Anstieg der Kaufintensität von Hörbuchkonsumenten im Jahr 2016 verkündete. Laut einer Analyse des GfK Consumer Panels stieg die Zahl der durchschnittlich pro Hörbuchkäufer erworbenen Titel auf CD oder digital von 4,6 auf 5,0 Hörbücher, der Umsatz wuchs um 1,1 Prozent. Insgesamt wurden 2016 16,3 Millionen Hörbücher am Publikumsmarkt abgesetzt. Etwa ein Viertel der Absätze und ein Fünftel der Käufer-Ausgaben erfolgten über Downloads.
USA: Digital-Anteil steigt weiter an
Wie anders die Situation in den USA aussieht, berichtete Michele Cobb von der Audio Publishers Association (APA). Der eigenständige Verband gründete sich 1986 und kümmert sich um Lobbyarbeit, Marktforschung und Rechtsberatung. Zwar konnte auch Michele Cobb von wachsenden Umsätzen berichten, allerdings hat sich das Hörbuch-Geschäft in den USA sehr viel stärker ins Digitale verlagert.
Mit dem Hörbuch-Verkauf wurden laut einer von der APA beauftragten Studie im Jahr 2011 1 Milliarde Dollar erwirtschaftet, bis 2015 stieg der Umsatz auf 1,77 Mrd. In derselben Zeit stieg die Anzahl der Titel von 7,237 auf 35.574. Dass die Remissionsquote in diesen fünf Jahren von10,8 Prozent auf 5,7 Prozent sank, liegt vor allem daran, dass Digitales in der Regel keine Retouren kennt. Denn wurden 2011 noch 37,8 Prozent der Audiobücher als CDs verkauft (digital: 58 Prozent), waren es 2015 nur noch 15,6 Prozent (und 83,1 Prozent digital). Mit dem Angebot stieg die Nachfrage: „Als die Kunden merkten, dass sie alles als Audiobücher haben konnten, versuchten sie es“, lautet eine Annahme von Michelle Cobb.
Einstiegsdroge Podcast
Weitere Referate schlossen sich an, u.a. stellte Argon-Lektorin Sabine Reichelt mit vielen Hörbeispielen das weite Feld der Podcasts vor. Auch wenn sich hier für Verlage und Buchhandlungen bislang nicht unmittelbar Geld verdienen lässt: „Podcasts sind die Einstiegsdroge ins Medium Audiobuch“, ist sich Sabine Reichelt sicher. Beliebt sind in Deutschland vor allem Nachrichtenformate (The Daily der New York Times, Stimmenfang auf Spiegel online) und das Thema Selbstoptimierung – in den USA sind es Storytelling-Formate (S Town) und True Crime. In jedem Fall lasse sich in diesem Bereich noch ein hohes Potenzial an Hörern entdecken, die für das Hörbuch gewonnen werden könnten, so Sabine Reichelt.
Ehrung für die hr2-Hörbuchbestenliste
Der erste Tag klang mit einem Abendessen im Cucina delle Grazie aus. Dort ehrte Johannes Ackner Redakteurin Dorothee Meyer-Kahrweg und Hans Sarkowicz, Leiter des Bereichs Kultur und Wissenschaft beim Hessischen Rundfunk, die vor 20 Jahren die hr2-Hörbuchbestenliste aus der Taufe gehoben haben: „Auf jeden Fall haben die Macherinnen und Macher der hr2-Hörbuchbestenliste über die Jahre einen festen Platz auf dem Hörbuch-Markt erarbeitet. Sie bietet in einem inzwischen unüberschaubaren Hörbuch-Angebot den Hörerinnen und Hörern Orientierung, hilft aber auch den Buchhändlerinnen und Buchhändlern dabei, sich im Dschungel der Neuerscheinungen zurecht zu finden.“
Johannes Ackner betonte die Bedeutung der hr2-Hörbuchbestenliste insbesondere für kleinere Verlage: „Ich erinnere mich an eine Diskussion vor einigen Jahren, als es darum ging, die Spiegel-Bestsellerliste auf Hörbücher auszuweiten. Das war für den Hörbuchmarkt an sich auf jeden Fall sinnvoll – nur: Wir und viele andere kleinere Verlage tauchen extrem selten auf der Liste auf – wenn überhaupt. Umso wichtiger ist es für uns, eine Liste zu haben, bei der einzig die Qualität der Hörbücher zählt und nicht, wie oft sich diese verkaufen lassen.“
Hörbuch trifft Unabhängiges Sortiment
Am Freitag brachte Sandra Schüssel die Teilnehmer der Tagung auf den neuesten Stand in Sachen VLB TIX. Inzwischen sind dort 6.053 Hörbuch-Novitäten bzw. 45.786 Hörbücher inklusive Backlist eingepflegt sowie 17.000 Hörproben abrufbar. 54 Prozent der Top 100-Hörbuchverlage sind im VLB TIX vertreten.
Unter den rund 70 Teilnehmern der IG Hörbuch-Tagung waren zwei Sortimenter: Irene Nehen, Inhaberin der Buchhandlung Otto Melchers in Bremen, und Uwe Sigismund, Inhaber des Bendorfer Buchladens in Bendorf sowie der Filiale Höhr-Buch in Höhr-Grenzhausen. Beide sind im Sprecherkreis der IG Unabhängiges Sortiment und beantworteten die Fragen von Kilian Kissling nach der Bedeutung des Hörbuchs in ihren Buchhandlungen. Wobei zuerst zu konstatieren war, dass auch sie, wie der Einzelhandel allgemein, in den ersten Monaten 2017 einen Rückgang der Kundenfrequenz in ihren Läden spüren.
Uwe Sigismund wies auf die Preisproblematik beim Hörbuch hin: „Warum soll ich mir ein Hörbuch für 24,95 Euro hinlegen, wenn der Kunde es bei Audible für 9,95 Euro bekommt?“ Unlängst habe eine Frau den zweiten Teil einer Fantasy-Serie bei ihm bestellen wollen, nachdem sie den ersten für 2,99 Euro bei Rossmann gekauft hatte. Als er ihr erklärte, dass der zweite Teil 16,99 Euro koste, habe sie eine Ausleihe in der Bibliothek bevorzugt. Da stelle er sich die Frage, ob er seine Kunden nicht mit seinen Preisen erschrecke.
Kilian Kissling stellte die Gegenfrage: „Wäre diese Frau in Ihren Laden gekommen, wenn sie nicht den Titel für 2,99 Euro entdeckt hätte?“ Und machte gleichzeitig einen konstruktiven Vorschlag: Nämlich Bestände bei einer Lagerbereinigung bei einer Aktion über die Mitgliedschaft mit der IG Unabhängiges Sortiment abzuverkaufen.
Kompetenz Hörbuch
Beide Sortimenter betonten, dass sie auch in Zukunft Hörbücher anbieten möchten. „Wenn ich es nicht da habe, kann ich es nicht verkaufen“, so Uwe Sigismund. Zumal 40 Prozent der Hörbücher als Geschenk gekauft werden. „Den Eindruck, dass wir mehr Geschenkpapier verbrauchen, habe ich schon“, kommentierte Uwe Sigismund.
Irene Nehen verwies aufs Weihnachtsgeschäft, in dem gerne Hörbuchkassetten gekauft werden sowie auf die bevorstehenden Autofahrten in den Sommerurlaub, für die CDs gesucht werden, mit denen die ganze Familie gut unterhalten wird. Mit Hörbüchern zeige sie Kompetenz, deshalb wolle sie die drei Regalsegmente in ihrer 70qm-Buchhandlung auch weiterhin bestücken. Und dafür sprechen auch die hohen Qualitätsstandards von Hörbuch-Produktionen im deutschsprachigen Markt, die man in den USA so wohl seltener findet.