Sabine Kahl, Inhaberin der Schmargendorfer Buchhandlung in Berlin, schreibt uns das in die Agenda:
Seit Monaten ist unsere Ladentür dauerhaft geöffnet und alle Fenster stehen auf Kipp, damit wir einen permanenten Luft-Austausch haben. Das klappt ganz gut und meine fünf Kolleginnen und ich tragen, obwohl wir es nicht müssen, über weite Strecken des Tages im Laden einen Mundschutz, um auch unseren Kunden gegenüber eine Form von Solidarität zu zeigen. Natürlich dürfen auch nur acht Kunden gleichzeitig in den Laden kommen und langsam aber sicher reduziert sich die Zahl derer, die die Einschränkungen so gar nicht verstehen wollen und ihrem Ärger laut Luft machen. Da hat sicher die eindringliche Berichterstattung der letzten Wochen sehr geholfen.
Aber seit vielen Wochen treibt mich die Sorge um, wie ich mit meinen Kolleginnen auf den 175 m² Fläche die kalte Jahreszeit überstehen soll. Täglich ist über die steigenden Infektionszahlen zu lesen und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse machen klar, dass der Mund-Nasen-Schutz unbedingt getragen werden muss, dass aber darüber hinaus die Aerosole, die ein evtl. infizierter Kunde auch unter seinem Mund-Nasen-Schutz in die Luft bläst, sich viele Stunden lang als infektiös erhalten.
Was also tun? Erst einmal musste ich mir klarmachen, wie groß das Luft-Volumen ist, das im Laden steht, es sind rund 650 m³. Und dann heißt es: Wie oft muss eigentlich das Luft-Volumen ausgetauscht werden? Alle Experten empfehlen einen Austausch 1 x pro Stunde. So soll es ja auch in den Schulen und Kitas gehandhabt werden, über die derzeit landauf und landab gesprochen wird. Prinzipiell finde ich das auch absolut einleuchtend, denn wenn wirklich ein infizierter Kunde seine Aerosole bei uns ausgeatmet hat, dann sollten diese kleinen Übeltäter schnellstens wieder verschwinden. Also 1 Mal in jeder Stunde für 10 Minuten alle Fenster und die Tür aufreißen? Damit ist dann eine Kollegin stündlich mindestens 10 Minuten lang beschäftigt, wir haben hoch liegende, alte Fenster, das geht nicht ganz so einfach. Ach ja, natürlich sollten alle Kolleginnen von morgens bis abends Thermo-Wäsche tragen und während des Stoß-Lüftens noch zusätzlich eine Stepp-Jacke, damit sie nicht nach 2 Tagen dieser Vorgehensweise mit einer fetten Erkältung zuhause bleiben müssen. Und die Heizung sollte ich am besten gar nicht erst einschalten, sonst ruinieren mich am Ende die Heizkosten. Unsere Kunden kommen ja in Hut und Mantel in den Laden, vielleicht werden sie die Kälte gar nicht bemerken…?
Bei meinen ersten Recherchen dachte ich noch, attraktive kleinere und bezahlbare Geräte, die die Luftreinigung mit UVC-Strahlen ermöglichen, würden uns helfen können. Leider ist deren Kapazität aber so gering, dass ich etwa 10 dieser Geräte aufstellen müsste, um den oben genannten Anforderungen zu genügen. Den Platz dazu habe ich gar nicht, im Weihnachtsgeschäft ist jede Fläche mit Ware vollgestellt. Bei weiterer Recherche finden sich dann Geräte, deren Kapazität ausreichend ist – leider liegen die Anschaffungskosten hier jeweils weit über € 4.000,- und auch davon würde ich wohl 2 Geräte benötigen. Das kann ich mir nur leisten, wenn ich dieses Jahr vielleicht den Buchhandlungspreis bekomme, aber das ist sehr unwahrscheinlich, nachdem ich im letzten Jahr so laut über die Preisvergabe gemeckert habe.
Vor einigen Wochen hatte ich in einem Info-Dienst unserer Branche gelesen, dass eine Buchhändlerin mit einem Unternehmen, das auf Luftreinigungsfilter spezialisiert ist, eine sehr zufriedenstellende Zusammenarbeit begonnen hat, die auch von den Kunden sehr geschätzt wird. Dort baut man die Luftreinigungsgeräte in die Kassettendecke direkt über dem jeweiligen Arbeitsplatz ein. Angerufen und um ein Angebot gebeten und rasch erfahren, dass ein solches Gerät auch runde € 2.200,- kosten würde. Damit wäre dann aber nur der Bereich (z.B.) über der Kasse abgedeckt, nicht aber die beiden Arbeitsplatze im Laden und schon gar nicht die weitere Fläche, auf der unsere Kunden sich ja auch nach Herzenslust bewegen sollen. Mit dem Anbieter bin ich weiter im Gespräch, man will sich den Laden ansehen und einen Vorschlag unterbreiten, wie optimal geholfen werden könnte und wie weit man mir preislich entgegenkommen kann. Dafür mache ich dann ggfs. gerne Werbung.
Derweil lese ich immer wieder vom Neustart Kultur und der großzügigen Förderung, die man ohne viele Mühe erlangen kann. Blöd nur, dass ich relativ neue Computer habe, meine Warenwirtschaft erfolgreich läuft, meine homepage professionell gewartet wird, mein Shop ebenso und ich mit meinen Kunden wöchentlich einen gepflegten Austausch über einen newsletter betreibe und natürlich auch jederzeit via WhatsApp erreichbar bin. (Leise frage ich mich, wer denn all diese Dinge im Jahr 2020 noch nicht hat – ob dem mit einer Förderung jetzt wirklich noch zu helfen ist? Aber was rede ich da …) Ich möchte aber auch keine IPads oder Video-Kameras anschaffen, denn unsere eher älteren Kunden bedienen wir gerne noch von Angesicht zu Angesicht und die Laufwege zu den beiden Arbeitsstationen für Bibliographie und Bestellung sind kurz. Und einen Betriebsberater habe ich auch schon.
Zur Sicherheit ein Anruf bei unserem Landesverband. Überaus liebenswürdig wird mir nach Recherche versichert, dass das Förderprogramm Neustart Kultur tatsächlich nur für die digitale Entwicklung des Buchhandels vorgesehen ist. Erfreulicherweise findet man bei der Zentrale in Frankfurt aber den Hinweis auf eine geplante Förderung in NRW, von der Gastronomie und Handel bei der Anschaffung von Luftreinigungsgeräten profitieren sollen. Immerhin ein Anfang, hilft mir nur leider in Berlin jetzt nicht. https://galuft.de/nrw-plant-foerderung-von-luftreinigern-mit-einem-zweistelligen-millionenbetrag/
Ich frage mich, wie es denn die vielen Geschäfte (und nicht nur Buchhandlungen) machen werden, denen doch auch der Winter bevorsteht? Dabei denke ich weniger an Läden, die z.B. in einem Einkaufs-Center liegen und via zentraler Klima-Anlage belüftet werden, für diejenigen hoffe ich, dass der Betreiber sich Gedanken macht. Nein, es geht um die unzähligen kleinen und mittleren Geschäfte in Deutschland, die vielfach durch den lockdown schon bitter gelitten haben: Wir alle sind einem erhöhten Infektionsrisiko mit Corona ausgesetzt, wenn wir und unsere Mitarbeiter (viele) Stunden in der Luft aushalten müssen, die vielleicht nur 1 einziger Kunde – unwissentlich – verseucht hat. Gibt es irgendwo praktikable Hilfe für uns in dieser konkreten Frage?
Ich applaudiere allen, die im medizinischen Sektor arbeiten, die den ÖPNV in Bewegung halten oder unseren täglichen Müll entsorgen u.v.m. und bin dankbar für die medizinische Forschung und alle Ergebnisse, die es gibt und geben wird. Aber ich habe ordentlich Angst vor den nächsten Monaten und hoffe, daß meine Kolleginnen und ich gesund und wohlbehalten ins Frühjahr kommen.
Sabine Kahl