Der Verleger Wolfgang Franßen legt bei Europa im März mit „Mado“ seinen ersten Roman vor. Warum wagt sich ein Verleger auf ein neues Terrain? Das war Anlass für unser freitägliches Autorengespräch mit dem Gründer des Polar Verlages:
Zuerst wie immer unsere Standardfrage: Worum geht es in Mado?
Wolfgang Franßen: Es geht um die Sehnsucht nach Freiheit. Sich nicht vorschreiben zu lassen, wie man zu leben hat. Aufzubegehren, sich nicht abzufinden. Mado ist eine junge Frau, die ihre Familie verlassen hat, um in Paris frei zu sein. Sie hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und tanzt die Nächte durch. Gleich zu Anfang muss sie feststellen, dass sie sich in eine neue Abhängigkeit begeben hat. Auch wenn das bedeutet, dass der einzige Ausweg darin besteht, wieder für eine Zeit bei ihrer Familie unterzutauchen. Einer Familie, die völlig zerrüttet ist und in Einzelteile zerfallen.
Starker Tobak, die Großmutter hat gesessen, die Mutter führt eine bessere Bauernkneipe, die Schwester ist verliebt und angepasst. Mado hingegen rebelliert.
Ja, aber Tolstois berühmten Satz „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, habe ich nie geteilt.
Sondern?
Ich glaube, dass das Unglück sich gleicht und dass das Glück so rar gesät ist, dass es niemals gleich ist. Mado widersetzt sich in dem Roman einer Familie, die vorgibt, zu wissen, wo die Nische für ihr persönliches Glück liegt und entlarvt sie als Schimäre. Ihre Wut, ihr Zorn, ihre Verzweiflung tragen die Geschichte. Die auch eine Geschichte über die Liebe ist, aber das überlassen wir mal dem Leser. Die Liebe in diesem Roman hat jedenfalls nichts mit Sonnenuntergängen zu tun.
Wem würden Sie als Buchhändler das mit welchen Argument am besten verkaufen?
Ich habe mal die Geschichte von einem amerikanischen Agenten gehört, der auf der Straße von einem Autor angesprochen wurde, der ihn dazu überreden wollte, sein Manuskript zu lesen. Der Agent gab ihm seine Visitenkarten, damit er den Inhalt seines Romans auf der Rückseite notieren sollte. Das mag arrogant klingen, brachte es aber auf den Punkt. Der Autor schrieb nur ein einziges Wort darauf: Sehnsucht. Woraufhin der Agent das Manuskript gelesen hat, was ihn so überzeugte, dass er den Autor unter Vertrag genommen und einen Verlag für ihn gefunden hat. Wenn mir ein Buchhändler also seine Visitenkarte hinhalten würde, stände von mir auf der Rückseite nur ein Wort: Hoffnung. Den Rest übernimmt Mado selbst. Sie kann den Buchhandel überzeugen, wenn er den Roman liest.
Was hat Sie überhaupt bewogen, einen Roman zu schreiben?
Mein Leben lang beschäftige ich mich mit Geschichten. Als Theaterregisseur habe ich sie auf der Bühne in Szene gesetzt, als Verleger nach Autoren Ausschau gehalten, die ein Risiko eingehen. Als Leser sinke ich auf die Knie, wenn ich eine wahnsinnig gute Geschichte gelesen habe. Nachdem mir die Idee zu Mado kam, konnte ich nicht anders, als selbst mit dem Schreiben anzufangen. Sie gab einfach keine Ruhe mehr.
Sind Sie als Verleger nicht ausgelastet?
Ich bin ja vor einiger Zeit aufs Land gezogen, da gewinnt man unglaublich viel Zeit, weil die Möglichkeiten, sich abzulenken, begrenzt sind. Außerdem bin ich so was von diszipliniert. Geschrieben wird ausschließlich außerhalb meiner Zeit als Verleger. Das bedeutet allerdings, dass ich sehr früh aufstehen muss. James Anderson, ein Autor aus unserem Verlag, war selbst Verleger und hat in einem Interview, das er Hanspeter Eggenberger gegeben hat, auf die Frage, wie das so als Verleger und Autor ist, gleichermaßen als Fazit gesagt: Warum nicht?
Ich meine ich zu erinnern, dass er gleichzeitig mit der Mär aufgeräumt hat, man habe als Verleger irgendeinen Vorteil bei der Kritik oder den Lesern..
.. ich glaube auch, eher ist wohl das Gegenteil der Fall.
Das wollte ich Sie ja gerade fragen, nach dem Motto: Jetzt schreibt der auch noch.
Da fällt die Antwort kurz aus: Warum nicht?
In der Europa – Vorschau wird ihr Roman als „unkorrekt“ bezeichnet. Was ist darunter zu verstehen?
Ich glaube, dass es zu viele gutgemeinte Geschichten gibt, die das Richtige wollen, aber zumeist den Zeigefinger heben. Die Bösen werden vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Missstandes abgestraft und am Ende können wir uns alle beruhigt ins Bett legen. Zu oft lese ich in Romanen die korrekte Einstellung einer Blase, die nur um sich selbst kreist. Das langweilt mich nicht nur, es macht mich wütend, weil sie einen großen Teil der Gesellschaft außer Acht lässt, bei der bestimmte Botschaften überhaupt nicht ankommen. In dem Sinne hoffe ich, dass Mado unkorrekt ist. Dass der Roman sich nicht nach allen Seiten absichert. Angreifbar bleibt. Mado ist die Geschichte einer Familie. Eine Geschichte über die Zwangsläufigkeit von Verlust, Selbsttäuschungen und Aufgabe. Wenn darin Gewalt vorkommt, dann fokussiert sie alles auf den Wahnsinn, der zwangsläufig anwächst, wenn eine gewisse Grenze überschritten ist. Wenn es für einen selbst die falsche Richtung genommen hat. So wie bei einer Herdplatte, die man anschaltet, kommen Momente der Gewalt im Roman vor. Sie ziehen die Welt von Mado eng zusammen. Alles läuft unweigerlich auf das Ende zu. Das dann anders ausfällt als erwartet.
Wir glaubwürdig sind Sie als Mann, der über eine junge Frau schreibt?
Tja, das wird mir viel Skepsis einbringen. Zumal manche Autoren in meinem Alter ja nicht selten zu sexuellen Phantasien neigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Feminismus die einzige Revolution im letzten Jahrhundert war, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändert hat und noch weiter verändern wird. Voller Aufbegehren, Widerspruch, mit dem Mut zur Veränderung. Vor allem bei der jüngeren Generation Frauen spüre ich die Rebellion. Sie brauchen die Männer nicht mehr. Sie bestehen auf einem eigenen Leben. Trotz aller Verunsicherung in unberechenbaren Zeiten. Sie sehen, ich bin da ganz optimistisch. Ich bin gespannt auf die Diskussionen mit den Leserinnen, ob sie die Hoffnung in dem Punkt teilen. Vielleicht werden sie mich auch in der Luft zerreißen. Das wird spannend. Das ist Mado.
Sie glauben, dass Literatur etwas bewirken kann?
Nichts, oder? Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie ohnmächtig vom Rand aus zusieht. Im Ernst, im besten Fall bringt sie uns ins Straucheln, entführt uns, verwirrt uns, entrüstet uns.
Aber vielleicht macht sie uns klüger?
Auch da bin ich skeptisch. In den 1950er, 1960er Jahren gab es in eine Gruppe britischer Schriftsteller um John Osborne und sein Theaterstück „Blick zurück im Zorn“, die die Presse als „Angry young men“ bezeichnete. Autoren wie Harold Pinter, Kingsley Amis oder auch Arnold Wesker. Autoren, die die soziale Entfremdung in den Mittelpunkt ihres Schreibens stellten. Mit ihnen teile ich sicher die Wut., auch wenn ich weiß, dass Literatur in keinem Fall die Welt verändert.
Sie bewirkt gar nichts?
Sie wirft uns höchstens uns auf uns zurück. Ok, nicht alles ist gut, nicht alles wird so ablaufen, wie wir uns das vorstellen. Na dann scheitern wir halt, aber wir haben es versucht. Mado hat mich daran erinnert, dass jeder eine Geschichte in sich trägt und dass es verdammt noch mal ein Drama ist, sie leben zu wollen. Weil es viel zu viele Menschen gibt, die sich selbst begraben. Als Autoren haben wir Geschichten zu erzählen, die uns zum Wagnis, zum Risiko ermuntern. Sich nicht von Familien, Freunden, Vorgesetzten einsacken zu lassen, um deren Träume zu erfüllen. Ich habe viel zu viele Autorinnen und Autoren kennengelernt, die nur Geld mit ihren Büchern verdienen wollen. So fade sind dann auch die Stoffe. Marketingkrüppel. Ein Autor braucht eine innere Tollwut, etwas, was ihn umtreibt. Dieser blutleere Mainstream widert mich an. Ich mag Leser, die sie sich nicht zuschneiden lassen wollen. Sie dürfen dann auch auf mich einklopfen, wenn ich sie langweile.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz