

- Balmes hat nicht nur eine brillante Biographie, sondern ein Vielbuch über Schlüsselthemen der Weltkenntnis vorgelegt. Teilweise klingt das Werk wie eine Autobiographie des längsten deutschen Flusses und der verkehrsreichsten Wasserstraße Europas. Denn es gelingt diesem am Rhein geborenen Lektor, Übersetzer und Autor, den Rhein als Wesen erlebbar zu machen, mit eigener Stimme, eigenem Klang und persönlicher Aura. Damit stiftet Balmes immer wieder mitreißende Begegnungen zwischen Leserin, Leser und vom Menschen noch nicht total ausgebeuteten Naturwunder.
- Deshalb darf diese Biographie mit den Maßstäben eines Goethes gemessen werden: „(…) Hauptaufgabe der Biographie ist es, das geschilderte
Wesen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es es begünstigt, wie sich seine Welt- und Menschensicht daraus gebildet hat und wieder nach außen abspiegelt(…).“ - Diesen Anspruch erfüllt Balmes, weil er über intime Nähe und gut balancierte Distanz verfügt.
- Balmes hat sich den Schicksalsstrom Deutschlands und Europas vertraut gemacht. Sein immenses Wissen hat er sich durch lange Wanderungen und riskante Kanuexpeditionen erworben bzw. erpaddelt. An seinen profunden Kenntnissen u. a. aus Geschichte, Biologie, Archäologie, Paläontologie, Bergbau und Hüttentechnik, Verkehrspolitik, Tourismus, Kunst- und Kulturgeschichte lässt uns der gewinnende Mentor großzügig teilhaben.
Wie ist das Werk gegliedert?
- Eine Biographie über ein viele, viele Millionen Jahre währendes Fluss-Leben folgt am besten sowohl der Chronologie als auch der Topographie. Als uneingeschränkt vertrauenswerter Lotse geleitet uns Balmes durch den mäandernden Lebenslauf des Rheins. Das erste von 12 Kapiteln bietet Reflexion und Reportage über den „Fluss der Zeit“ sowie über die Grube Messel,das unschätzbar kostbare Panoramafenster in die Erd- und Lebensgeschichte vor etwa 50 Millionen Jahren (!).
- Es folgen die Geburt des Rheins in den Alpen, „Das große Fließen“ ab dem Rheinfall bei Schaffhausen. Wir erlesen uns die Faszination, die der Rhein auf einen seiner – neben Goethe – beharrlichsten Liebhaber und Inszenatoren, den Maler William Turner ausübte. Wir erleben die „verlorene Wildnis“ am Oberrhein. Wir begleiten Balmer durch „Das wilde Gefähr“, das Rheinische Schiefergebirge, erliegen dem landschaftlichen und mythologischen Zauber der Loreley, nähern uns über den Mittelrhein den „Schwimmenden Nestern“ des Niederrheins, durchqueren „Doggerland“ und staunen über Rotterdam, einen der größten Häfen der Erde, bewundern die Landgewinnung der Niederländer, bewältigen das Labyrinth des Rheindeltas und legen vielleicht zu einer Kreuzfahrt über die Nordsee ab.
- Oder wir sind dank der Darstellungskunst des Autors, seiner exzellenten Rheinkarten und der Zeichnungen von Alma Lucia Balmes so gefesselt vom Lebenslauf des Rheins, dass wir zu anderen Büchern über diesen Strom greifen. (Eines davon werde ich im Oktober empfehlen. Karl-Heinz Göttert: DER RHEIN. Eine literarische Reise.)
- Die hoch zu preisende Anschaulichkeit des Textes wird potenziert durch zwei Bildabschnitte mit insgesamt 24 zum Teil überwiegend farbigen Abbildungen, einem Anmerkungsteil mit sehr nützlichen Erklärungen sowie bestens sortierten Literaturhinweisen.
- Alles in Allem eine höchst anregende, beiläufig bildende, Seite für Seite mitreißende Lesekreuzfahrt durch Geschichte und Gegenwart eines europäischen Schicksalsstromes.
Viel Lese- und Reisevergnügen!
Helmut Benze