
Lage in vielen Ländern, die Gewissheiten zerstörenden Ereignisse und Entwicklungen sind oft besser zu bewältigen dank Büchern, die Einordnung und Gewichtung bieten. Eines dieser Werke ist Alexander Demandts Sternstunden der Geschichte (Die ersten drei Auflagen 2000 und 2001, die limitierte Sonderauflage im Taschenbuchformat 2008.)
Vorab: Das relativ weit zurückliegende Erscheinungsdatum
dieser Arbeit des Professors für Alte Geschichte mindern den Wert dieses Schlüsselwerks zum Verständnis von Geschichte und ihrer Rolle in jüngster Zeit nicht!
Demandts „Sternstunden“ schenken eine für die Menschheit überlebenswichtige Lektion: Wenn Politiker und wir nur wollen, können wir aus der Geschichte lernen, um möglichst vielen Menschen eine lebenswerte Zukunft zu gewährleisten.
Was sind „Sternstunden“ und welche Rolle spielen sie?

Demandt unterscheidet zwischen „Sternstunden“ und „Schicksalstunden“, die oft höchst negative Folgen für Individuen, Nationen oder gar die gesamte Menschheit haben. So z. B. die Auslösung des Zweiten Weltkrieges durch Hitlerdeutschland oder der Abwurf amerikanischer Atombomben auf Japan.
Stefan Zweig, Autor der wohl weltweit bekanntesten Sammlung von Sternstunden der Menschheit deutet den Begriff umfassender als „explosiven Augenblick“, zuweilen als „Geistesblitz“, der einem Geschehen eine dramatische, oft auch tragische Prägung verleiht. Zum Beispiel „Die Weltminute von Waterloo, 1815, als Napoleon die Entscheidungsschlacht um die Vorherrschaft in Europa verlor, oder das erste Telefonkabel über den Atlantikgrund, 1885.
Begeisterte Empfehlung mit minimaler Relativierung:
Wiederholt bin ich gefragt worden, ob meine Empfehlungen stets „uneingeschränkt“ sein. Verlagen, deren Bücher meine Kriterien von „besonders“ im Sinne von herausragend und nachhaltig nicht erfüllen, biete ich eine vertrauliche Begründung für meine Ablehnung an. Werke, die vor meinem Urteil als ehemaligem Lektor allenfalls mal vernachlässigbare Schönheitsfehler aufweisen, kann ich uneingeschränkt rühmen. Demandts Bücher weisen ihn als hochkarätigen Autor aus, so „Deutschlands Grenzen in der Geschichte“, „Mit Fremden leben“, „ Das Ende der Weltreiche“.
Demandts Auswahl der Sternstunden belegt seine profunde Kompetenz, die sich überdies durch hohe Erzählkunst auszeichnet. Beispiele: „Alexanders Rückkehr nach Babylon“, 323 vor Christus. „Die Geburt Jesu in Bethlehem“, 25. Dezember?, „Die Magna Charta Libertatum“, 1215, „Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ 1948), „Der Fall der Berliner Mauer“, 1989.
Demgegenüber sind sehr seltene Fehleinschätzungen oder Fehlformulierungen zu vernachlässigen: Im ersten Absatz „Magna Charta Libertatum“ ist zu lesen „(…) Zum anderen haben Männer keinen Grund, besonders stolz auf das zu sein, was bisher an Geschichte geleistet worden ist. Wenn Frauen sich vorerst zurückgehalten haben, so vermutlich deswegen, weil sie etwas Besseres zu tun hatten, als die Geschäfte des Weltgeistes zu betreiben (…).“ Das ist unzutreffend. Männer haben Frauen zu allen Zeiten dienende Unterordnung zugemutet und haben somit einen der übelsten Grundbausteine der Weltgeschichte benutzt: Das vermeintliche Recht dessen, der die Macht hat und oft rohe Gewalt ausübt.
Eine Auswahl von Stärken des Buches:
- Demandt ermöglicht Laien die Einschätzung aktueller Ereignisse. So etwa „Die Unabhängigkeiterklärung der Vereinigten Staaten“. Der Text würdigt die Erklärung als Schlüsseldokument demokratischer Verfassungsgebung und Staatengründung sowie als Zeugnis entschiedener Ablehnung des Königtums und jeglicher Autokratie.
- Populistischen Parteien spricht der Autor die Legitimation ab, „demokratische“ Politik durch „die Herrschaft des Mobs“ zu rechtfertigen. Seine Belege aus der Geschichte leuchten ein.
- Die Lektüre wird auch deshalb zum beiläufigbildenden Erlebnis, weil Fachkontroversen übergangen werden.
- Erzählkunst und uneitle Haltung des Historikers Demandt werden oft durch überzeugende Erklärungen belegt. So wird z. B. im Artikel über „Die Geburt Jesu…“ die Aufgabe des Historikers so definiert: Das durch Legenden und Mystifizierungen Leben verklärte Leben und Wirken wird wie von Bild-Restauratoren gewürdigt, und lediglich die „Übermalung freigelegt“.
Sie können sich diesem Schlüsselwerk anvertrauen.
Viel Freude und Lektüregewinn!
Helmut Benze