

Der Professor für Neuere Europäische Geschichte lehrt und arbeitet an der Universität von Toronto und am Institut für die Wissenschaft vom Menschen, Wien. U. a. belegt er in diesem Buch seine seine geistige Nähe zu einem der bedeutendsten Essays des 19. Jahrhunderts, Henry David Thoreaus Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Thoreaus Aufruf von 1849 hat erdweit viele Bürger und Bürgerrechtler inspiriert und ermutigt, z. B. Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Einer der Schlüsselsätze in Thoreaus Aufruf lautet: „(…) Einen wirklich freien und aufgeklärten Staat wird es erst dann geben, wenn der Staat das Individuum als höhere, unabhängige Macht anerkennt, von der sich seine gesamte eigene Macht und Autorität ableiten“. Diese Kernthese greift Snyder auf. Leider ohne sich darauf zu berufen.
Politik, die sich die Würde des Menschen und den hohen Wert des Individuums sowie dessen Freiheit auf die Fahnen schreibt, verlangt geradezu konstruktiv kritische Mitgestaltung durch eben dieses Individuum. Sie schließt zivilen Widerstand im Rahmen von Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht ein! Dieser Widerstand darf und muss jegliche Vorzeichen von Willkürherrschaft mit gewaltlosen Mitteln bekämpfen.
Wie ist Snyders Buch angelegt?
- Bereits der Rückentext wirkt wie ein Plakat im Miniformat, allerdings mit Maximal-Appellen: SCHAU NICHT NUR ZU WIR SIND NICHT KLÜGER ALS DIE MENSCHEN, DIE ERLEBT HABEN, WIE ÜBERALL IN EUROPA DIE DEMOKRATIE UNTERGING UND FASCHISMUS, NATIONALSOZIALISMUS UND KOMMUNISMUS KAMEN. ABER EINEN VORTEIL HABEN WIR. WIR KÖNNEN AUS IHREN ERFAHRUNGEN LERNEN.
- Snyder nennt seine Appelle „Lektionen“, die er fettgedruckt als persönliche Aufrufe formuliert, erläutert und anhand überwiegend aktueller Beispiele ausleuchtet.
- Einige Appelle im Telegrammstil: „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam“, „Hüte dich vor dem Einparteienstaat“, „Glaube an die Wahrheit“, „Lerne von Gleichgesinnten in anderen Ländern“, „Achte auf gefährliche Wörter“, „Bleib ruhig, wenn das Undenkbare eintritt“, „Sei patriotisch“, „Sei so mutig wie möglich“.
Ist der Text auf der inneren Umschlagslasche Werbung oder kündigt er an, was Snyders Buch wirklich leistet?
Bevor ich den Text vollständig zitiere, bejahe ich diese Frage und begründe damit meine Empfehlung: „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam“. So lautet die erste der zwanzig Lektionen für den Widerstand, mit denen Timothy Snyder die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika auf das vorbereitet, was gestern noch unvorstellbar zu sein schien: einen Präsidenten, der das Gesicht der Demokratie verstümmelt und eine rechtsradikale Tyrannei zu errichten versucht. Doch nicht nur in den USA sind Populismus und autoritäres Führertum auf dem Vormarsch. Auch in Europa rückt die Gefahr von rechts immer näher. Als ob es das 20. Jahrhundert und seine blutigen Lehren niemals gegeben hätte. Snyders historische Lektionen, die international Aufsehen erregt haben, sind ein Leitfaden für alle, die jetzt handeln wollen – und nicht erst, wenn es zu spät ist. Lektion 8: „Setze ein Zeichen“. Dieses Buch tut es. Tun Sie es auch“.
Übrigens hat auch die SZ Timothy Snyder einen Zweispalter in der Ausgabe vom 27. Nov. eingeräumt mit dem Artikel: Der falsche Weg zum Frieden. In seiner jetzigen Form birgt Trumps Plan die Gefahr, dass eine Welt entsteht, in der Invasion und Kriege zur Routine werden. Eine Analyse der sechs größten Probleme.
Ihnen wünsche ich ermutigende Lektüre und entspannte, anregende Weihnachtszeit!
Helmut Benze
P.S.: Falls Sie sich oder Freund:innen ein weiteres besonderes Buch gönnen wollen: Roger Willemsen: Liegen Sie bequem? Vom Lesen und von Büchern, S. Fischer Verlag, 2025.
Dieses brillante Buch werde ich im Januar 2026 empfehlen.
Die Bündelung früherer Schriften und Reden des leider 2016 gestorben Multitalents R. Willemsen nimmt Sie zu einer höchst anregenden und außergewöhnlichen Kreuzfahrt an Bord. Einige Beiträge habe ich mehrfach gelesen. Und auch vorgelesen. Das spricht für deren Tiefe und Reichhaltigkeit!