Buchhandel Christoph Honig: Bewerbungsgespräche einmal anders führen

Christoph Honig ist Buchhandelsberater. Er erläutert, warum es sich lohnt, in Bewerbungsgesprächen auch mal nach vorne nach statt nach zurück zu fragen.

Bewerbungsgespräche folgen meist dem gleichen Schema: Lebenslauf durchgehen, Referenzen prüfen, Standardfragen stellen. Doch diese Rückwärts-Perspektive verrät wenig über das, was wirklich zählt – das Potenzial und die Motivation der Kandidat:innen. Die Zukunftsmethode dreht den Spieß um und schafft überraschende Einblicke.

Was ist die Zukunftsmethode?

Statt den bisherigen Werdegang zu analysieren, laden Sie BewerberInnen ein, ihren zukünftigen Lebenslauf zu entwickeln. Diese Perspektivverschiebung verwandelt das Gespräch von einem Verhör über die Vergangenheit in einen inspirierenden Dialog über Möglichkeiten.

So setzen Sie die Methode um

Phase 1: Die Zeitreise einleiten (5 Minuten)
„Lassen Sie uns ein Gedankenexperiment machen. Stellen Sie sich vor, wir treffen uns im Jahr 2030 wieder. Sie blicken auf fünf erfolgreiche Jahre in unserem Unternehmen zurück. Erzählen Sie mir: Was haben Sie erreicht?“

Geben Sie der Person Zeit zum Nachdenken. Die Frage ist ungewohnt – das ist gewollt.

Phase 2: In die Tiefe gehen (15-20 Minuten)
Sobald erste Ideen kommen, steigen Sie mit gezielten Fragen ein:

  • „Sie erwähnten eine Führungsposition – welche Schritte haben Sie unternommen, um dorthin zu kommen?“
  • „Welches Projekt hat Sie in dieser Zeit am meisten geprägt? Warum?“
  • „Welche Fähigkeiten mussten Sie entwickeln?“
  • „Gab es Rückschläge? Wie sind Sie damit umgegangen?“
  • „Mit wem haben Sie zusammengearbeitet? Wie sah Ihr Team aus?“

Phase 3: Realitätscheck (5 Minuten)
„Was davon können Sie schon heute? Was müssen Sie noch lernen?“ 

Ein Beispiel

Sie: „Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr 2030. Was hat sich für Sie beruflich verändert?“

Kandidatin: „Ich leite vermutlich ein Team von 8-10 Personen im Bereich digitales Marketing.“

Sie: „Spannend! Wie sind Sie dorthin gekommen?“

Kandidatin: (denkt nach) „Ich denke, ich habe zunächst kleinere Projekte eigenverantwortlich übernommen und dabei bewiesen, dass ich strategisch denken kann. Parallel hätte ich wahrscheinlich eine Weiterbildung in Teamführung gemacht…“

Sie: „Und welches Projekt war das prägendste?“

Kandidatin: „Vermutlich die Neuausrichtung unserer Social-Media-Strategie. Das hätte bedeutet, dass ich alle Stakeholder ins Boot holen und auch mal Widerstände überwinden musste…“

Sie erfahren: Die Person denkt strategisch, plant realistische Entwicklungsschritte und hat klare Vorstellungen.

Was leistet diese Methode?

Für Sie als ArbeitgeberIn:

  • Echte Motivation erkennen: Sie sehen, was Menschen wirklich antreibt – nicht nur, was gut klingt
  • Kulturfit prüfen: Passen die Zukunftsvisionen zu Ihren Unternehmenswerten?
  • Realismus einschätzen: Sind die Vorstellungen ambitioniert oder utopisch?
  • Selbstreflexion beobachten: Wie durchdacht sind die Entwicklungspläne?

Für die Bewerber:innen:

  • Sie fühlen sich ernst genommen und wertgeschätzt
  • Sie schärfen ihre eigenen Ziele im Gespräch
  • Sie prüfen selbst, ob das Unternehmen zu ihren Plänen passt
  • Sie zeigen Potenzial statt nur Vergangenheit

Häufige Einwände und wie Sie als Arbeitgeber:in damit umgehen

„Die Bewerber:in ist überfordert“
Geben Sie Zeit. Bieten Sie eine kürzere Zeitspanne an: „Okay, dann schauen wir mal zwei Jahre voraus.“ Manche Menschen brauchen Struktur – helfen Sie mit konkreteren Fragen.

„Die Zukunftsvision ist komplett unrealistisch“
Sie haben gerade etwas Wichtiges gelernt! Haken Sie nach: „Was bräuchten Sie, um das zu erreichen?“ So erkennen Sie, ob die Person realistische Entwicklungsschritte kennt oder in Wunschdenken verfällt.

„Was ist mit Senior-Kandidat:innen, die schon ‚angekommen‘ sind?“
Auch erfahrene Fachkräfte haben Ziele! Fragen Sie nach Expertise-Vertiefung, Mentoring-Rollen oder spezifischen Projekten, die sie reizen würden.

„Funktioniert das bei Quereinsteiger:innen?“
Quereinsteiger haben oft unkonventionelle, aber wertvolle Perspektiven. Die Methode zeigt, wie sie ihre bisherigen Erfahrungen einbringen wollen.

Diese Methode funktioniert am besten bei:

  • Positionen mit Entwicklungspotenzial
  • Nachwuchsführungskräfte
  • Kreative und strategische Rollen
  • Kulturfit-sensible Positionen

und ist weniger geeignet für:

  • Sehr spezifische Fachpositionen ohne Entwicklungsspielraum
  • Kurzfristige Projektverträge
  • Kandidat:iinnen mit extremer Nervosität (erst Vertrauen aufbauen)

Zeitplan für das Gespräch

  • Klassischer Teil: 30 Minuten (Kennenlernen, Vergangenheit, Fachliches)
  • Zukunftsmethode: 25 Minuten
  • Fragen der Kandidat:innen: 15 Minuten
  • Abschluss: 5 Minuten

Gesamt: ca. 75 Minuten

Probieren Sie die Methode beim nächsten Bewerbungsgespräch aus. Starten Sie mit einer Position, bei der Sie offen für Experimente sind.

Tipp: Informieren Sie Kandidat:innen vorab, dass Sie kreative Gesprächsformate verwenden.

Fazit: Die Zukunftsmethode ist mehr als ein Gesprächstrick. Sie ist eine Haltung, die Potenzial über Papierform stellt und echten Dialog über standardisierte Abfragen. Und genau das braucht modernes Recruiting.

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