Kaffeehaussitzers Netzrückblick Fundstücke aus den Literaturblogs – Oktober 2022

Uwe Kalkowski

Der Oktober war Buchmessemonat und ich muss jetzt noch beseelt lächeln, wenn ich an die paar Tage in Frankfurt zurückdenke – so viele Menschen nach so langer Zeit wiederzusehen war einfach wunderbar. Doch auch außerhalb des Themas Buchmesse war der Bummel durch die Literaturblogs wieder einmal sehr ertragreich, was mich gleich zu den ersten beiden Blogbeiträgen kommen lässt, die ich hier vorstellen möchte.

Im Blog Lesestunden beobachtet Tobias Zeising seit langem die deutschsprachige Buchblog-Szene.  Den aktuellen Stand der Dinge hat er sich genauer angeschaut und schreibt darüber unter dem Titel »Die Buchblogosphäre – ein Statusupdate«. Im Blog Buch-Haltung macht sich Marius Müller angesichts seines tausendsten Beitrags Gedanken über die bzw. über seine Zukunft des Bloggens über Literatur. Beide stellen das eigene Bloggen zumindest momentan nicht in Frage, kommen aber zu dem Schluss, dass die goldene Zeit der Literaturblogs schon seit einigen Jahren vorbei ist. Ich habe beide Texte mit großem Interesse gelesen und ich stimme damit überein, dass jene Jahre, als Literaturblogger von den Verlagen neu entdeckt wurden und entsprechend Aufmerksamkeit und Einladungen erhielten, hinter uns liegen; die große Zeit war etwa zwischen 2015 und 2018. Das hat zum Teil damit zu tun, dass ein bedeutender Teil der Kommunikation über Bücher nach Instagram abgewandert ist und zur Zeit gerade nach TikTok weiterzieht – und damit in die Informationshäppchenkultur. Gleichzeitig allerdings – und das merke ich Monat für Monat beim Zusammenstellen dieser Kolumne – ist die Literaturblogszene quicklebendig und es enstehen permanent wunderbare Texte. Sicher, einige tolle Bloggerinnen und Blogger haben aufgehört und ich vermisse ihre Beiträge sehr. Andere wiederum sind dazugekommen und bereichern die Vielzahl der Stimmen, die kompetent und lebendig über Literatur schreiben.

Spanien war das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Wer einen Einstieg in dessen lebendige Literaturszene sucht, dem sei der Text »Literarischer Stadtplan für Barcelona« der Bloggerin Isabella Caldart empfohlen. Veröffentlicht wurde er auf 54Books. Eine ausführliche Übersicht über die Neuerscheinungen übersetzter spanischer Literatur in diesem Herbst gibt es im Blog LiteraturReich.

Noch einmal Spanien: Im Blog Bücheratlas wird die beeindruckende Anthologie »Spanische und hispanoamerikanische Lyrik«, vorgestellt die mit vier Bänden und 2642 Seiten ihresgleichen sucht.

Der Siegertitel des diesjährigen Deutschen Buchpreises, »Blutbuch« von Kim de L`Horizon, wurde an vielen Stellen besprochen. Eine Rezension, die mir sehr gut gefallen hat, gibt es im Blog Bookster HRO.

Die libanesisch-amerikanische Autorin und Künstlerin Etel Adnan habe ich erst nach ihrem Tod 2021 für mich entdeckt. Daher freute es mich sehr, im Blog literaturleuchtet eine Besprechung ihres letzten Buches »Die Stille verschieben« zu lesen.

Zwei Mal genreübergreifende Literatur, zwei Mal Meer: Mareike Fallwickl stellt in ihrem Blog Bücherwurmloch den Roman »Über die See« von Mariette Navarro vor. Und Marc Richter schreibt im Blog Lesen macht glücklich über den Roman »Unsterblich sind nur die anderen« von Simone Buchholz: »Das Lesen dieses Buches fühlt sich an, als würde man sich durch eine sehr gut sortierte Bar trinken, ohne davon einen Kater zu bekommen, geschweige denn betrunken zu werden. Höchstens angeheitert.« Ich muss gestehen, dass ich das Buch nach ein paar Seiten weggelegt hatte, aber nach dieser Besprechung starte ich einen zweiten Versuch. 

Und im Blog Poesierausch bespricht Stefan Diezmann den Roman »Auf See« von Theresa Enzensberger.

Katharina Herrmann rezensiert in ihrem Blog Kulturgeschwätz das Buch »Selbstmordhunde« von Florian Scherzer. Uns macht ziemlich neugierig darauf. Im Blog Horatio-Bücher geht es um Dennis Lehane und seinen Roman »Kalt wie dein Herz« – ein Hardboilded-Krimi vom Feinsten. Und im Blog Ausgebucht – den ich erst kürzlich entdeckt habe und dessen Besuch ich sehr empfehlen möchte – stellt Julia Moldenhauer »Bartleby, der Schreiber« vor. Als Graphic Novel von José-Luis Munuera nach dem weltberühmten Roman von Herman Melville.

Auch dieses Jahr wurde wieder während der Frankfurter Buchmesse der Preis der Hotlist verliehen, wichtige Auszeichnung für Bücher aus unabhängigen Verlagen. Gewonnen hat den Preis 2022 der Guggolz Verlag als »Ehrung für die Wiederentdeckung und anspruchsvolle Neuausgabe von Viktor Schklowskis Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder die dritte Heloise.« Mehr zu einigen anderen Titel der Hotlist gibt es im Gemeinschaftsblog We Read Indie zu lesen.

»Berlin-Bücher im Herbst« heißt ein Beitrag im Berlin Journal Fräulein Julia (ehemals Fräulein Julia – Kulturjournal). Zusammengekommen ist dabei eine spannende Auswahl an Literatur.

In meinem eigenen Blog Kaffeehaussitzer geht es im Oktober um die Slow-Horses-Reihe von Mick Herron, die ich seit dem ersten Band begeistert lese. Und vor allem um die von Sandra Kegel herausgegebene Anthologie »Prosaische Passionen« aus dem Manesse Verlag, die als ein Meilenstein gelten muss, denn sie erschließt die Epoche der literarischen Moderne neu und fügt ihr entscheidende Stimmen hinzu, die bisher für eine Gesamtbetrachtung gefehlt haben: Die weiblichen Stimmen. Und daher lautet der Untertitel dieses 900-Seiten-Bandes: »Die weibliche Moderne in 101 Short Stories«. Im Blog habe ich ein Lesejournal gestartet und bin gespannt auf diese Entdeckungsreise.

Damit komme ich zum Ende. Wie immer ist die Auswahl der Beiträge nur ein winziger Bruchteil dessen, was diejenigen erwartet, die durch die vielseitige Welt der Literaturblogs flanieren. Und wie immer verstehe ich diese Auswahl als eine Einladung, sich selbst diese Welt zu erschließen. Es lohnt sich.

Uwe Kalkowski ist seit über 25 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag in Köln. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick«auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. »Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben«, wie er sagt.

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