Aus der Werkstatt der Verlage Antje Kunstmann: „Alles bestens? Wir haben in diesem Jahr viel dazugelernt, wie man Titeln Aufmerksamkeit verschafft, aber wir haben das Analoge vermisst“

Die Serie „Aus der Werkstatt der Verlage“ geht heute weiter mit dem Werkstattbericht von Antje Kunstmann (Kunstmann Verlag):

Antje Kunstmann: „Darum geht es doch vor allem: für dieses besondere Buch, diese (oder jenen) besondere Autorin oder Autor in der Unübersichtlichkeit des Angebots Sichtbarkeit zu schaffen“ (© Jörg Koopmann)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

was war gleich nochmal das Wort des Jahres 2020? Na klar, Corona-Pandemie. Die Gesellschaft für deutsche Sprache entscheidet jeweils nach Signifikanz und Popularität der Wörter und man darf gespannt sein, welches in diesem Jahr das Rennen machen wird. „Durchgeimpft“? „Herdenimmunität“?  Besonders schön wäre aber, wenn die, die auf der Liste landen und auf ihre Weise einen Beitrag zur Zeitgeschichte geleistet haben, dann aus unserem Alltag wieder verschwinden würden, weil wir durchgeimpft sind. 

Wer hätte gedacht, dass uns diese Pandemie so lange beschäftigen wird? Vor einem Jahr schien es uns sinnvoll zu sein, einige Titel aus dem Herbst ins Frühjahr zu verschieben, damit sie nicht im Lockdown untergehen. Und dann war’s in diesem Frühjahr wieder genauso – geschlossene Buchhandlungen (wenn auch nicht überall), keine realen Lesungen, stattdessen digitale Präsenz. 

Wenn in guten Zeiten in Verlegerkreisen die beliebteste Literaturform die der Klage war, wie es Michael Krüger mal so schön formuliert hat – die Leute lesen nicht mehr, die Jugendlichen sitzen nur noch vor dem Computer – ist es heute die Hymne, der Lobgesang: Bücher werden gekauft wie schon lange nicht mehr, die Kunden stehen treu zu ihren Buchhandlungen, alles bestens? 

So stimmt’s natürlich auch nicht. Mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen werden wir noch alle zu tun kriegen, auch wenn unsere Branche einigermaßen gut durch die Pandemie durchzukommen scheint. 

„Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie seismographisch Autorinnen und Autoren gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur wahrnehmen, sondern oft vorwegnehmen, was uns bevorstehen mag“ (Durch Klick auf Abb. zu Blättern in der Kunstmann Vorschau)

Wie sehr wir alle auf persönliche Begegnungen angewiesen sind, ist in einem Jahr des Abstand-Haltens und der beschränkten Kontakte überaus deutlich geworden, und diese Erkenntnis sollten wir bei dem Hype um die Digitalisierung im Kopf haben. Mit einer digitalen Lesung mag man mehr Leute erreichen als mit einer in der Buchhandlung, aber die Aufmerksamkeit der LeserInnen, AutorInnen und BuchhändlerInnen ist bei einem konkreten Treffen einfach eine andere. Und darum geht es doch vor allem: für dieses (oder jenes) besondere Buch, diese (oder jenen) besondere Autorin oder Autor in der Unübersichtlichkeit des Angebots eine Sichtbarkeit zu schaffen. Das geschieht, auch diesseits von Lesungen, in den Buchhandlungen. Im Netz dagegen muss man schon vorher wissen, was man will, und kriegt dann das entsprechend immer Gleiche oder Ähnliche „empfohlen“. Kein Vergleich zu der Empfehlung der Buchhändlerin oder des Buchhändlers seines Vertrauens. Um nur mal ein Beispiel zu nehmen.

Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie seismographisch Autorinnen und Autoren gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur wahrnehmen, sondern oft vorwegnehmen, davon erzählen, wie es sein könnte oder was uns bevorstehen mag. Das hat mich bei der jungen Autorin Simone Weinmann und ihrem Roman „Die Erinnerung an unbekannte Städte“ beeindruckt, auf ganz andere Weise auch bei  Herbert Kapfers „Utop“ und Yanis Varoufakis‘ „Ein Anderes Jetzt“ – einige der Bücher, die wir Ihnen in diesem Herbst vorstellen. Sie reflektieren unsere Zeit und sind doch zeitlos. 

Wir haben in diesem Jahr viel dazugelernt, wie man den einzelnen Titeln Aufmerksamkeit verschafft, wir haben das „Analoge“ vermisst, wir waren froh, dass wir so ein vielfältiges Programm zu bieten haben, mit spannender Literatur, interessanten Sachbüchern, sorgfältig ausgesuchten Kinderbüchern, Kochbüchern, illustrierten Büchern.

Hoffen wir auf einen „normalen“ Sommer, nicht auf eine „Heißzeit“ (Wort des Jahres 2018), in dem wir wieder mehr unterwegs sein können, wenn nicht mit Büchern im Koffer, dann reisend im Kopf. 

Zuletzt brachten wir den Werkstattbericht von Peter Haag

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