Auszeichnung der Deutschen Bischofskonferenz für „Dunkelnacht“ Kirsten Boie erhält den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis

Kirsten Boie © Indra Ohlemutz

Kirsten Boie erhält den mit 5.000 Euro dotierten Katholischen Kinder- und Jugendpreis 2022 der Deutschen Bischofskonferenz für das im Friedrich Oetinger Verlag erschienene Buch Dunkelnacht. Die Jury unter Vorsitz von Weihbischof Robert Brahm (Trier) hat das diesjährige Preisbuch aus 161 Titeln ausgewählt, die von 59 Verlagen eingereicht wurden. Der Preis wird in diesem Jahr zum 33. Mal vergeben. Die Verleihung findet am 2. Juni in Würzburg statt.

Die Jury begründet das Preisbuch wie folgt: „Es gibt sie, die weißen Flecken auf der Landkarte der deutschen Geschichte. Umso eindringlicher erscheint ein Roman, der den erzählenden Blick auf eine Randlandschaft der Erinnerungskultur lenkt und damit die Frage nach individueller wie kollektiver Schuld aufgreift. Die erzählte Zeit umfasst dabei nicht mehr als 24 schicksalhafte Stunden: Am 28. April 1945 versuchen in der bayerischen Kleinstadt Penzberg jene, die vor dem Krieg für den Gemeinderat verantwortlich waren, einen Machtverzicht des nationalsozialistischen Bürgermeisters und eine friedliche Übergabe der Amtsgeschäfte zu erwirken. Damit soll der „Nero-Befehl“ verhindert und das Bergwerk als wirtschaftliche Lebensader der Region gerettet werden. Ein auf dem Weg zur Alpenfestung marschierendes Regiment der Wehrmacht jedoch sorgt mithilfe der Untergrundorganisation Werwolf dafür, die Illusion der nationalsozialistischen Macht auch (und gerade) im Angesicht der drohenden Kapitulation aufrechtzuerhalten. 16 Menschen aus Penzberg werden in dieser Nacht standrechtlich erschossen oder erhängt. Am Tag darauf erreichen die Amerikaner Penzberg.

Kirsten Boie flicht die historischen Fakten dieses Endphasenverbrechens minutiös in ihre Erzählung ein und fiktionalisiert die Ereignisse mithilfe von drei jugendlichen Figuren: Marie, Schorsch und Gustl werden zu Beobachtern und ermöglichen vor den unterschiedlichen biografischen Hintergründen ihrer Familien wechselnde Perspektiven. So entsteht ein verdichtetes Miteinander von Fakt und Fiktion, von Novelle und Dokumentation. Dem Charakter eines Kammerspiels entsprechend, wird jener Moment unter ein erzählerisches Brennglas gelegt, in dem allen Beteiligten die unausweichliche Veränderung des eigenen Lebens bewusst wird: Was er tut, tut er nicht mehr für sie: Sich selbst muss er beweisen, auf welcher Seite er steht, wird mit Blick auf Schorsch festgehalten, der eines der Opfer rettet und dabei sein eigenes Leben riskiert. Ohne zu moralisieren zeigt Kirsten Boie damit ethische Haltungen auf und kontrastiert sie mit dem Handeln jener, die bereits während der Tat damit beginnen, ihre eigene Biografie für ein „Danach“ zu schönen. Sechzehn Morde und kein einziger Mörder. Das soll man verstehen. Im Nachwort formuliert die Autorin jenes paralysierende Unverständnis, das die Ereignisse hervorruft. Das Erzählen jedoch ermöglicht Widerstand und Selbstermächtigung: Kirsten Boie wählt ein Alter Ego als Erzählinstanz und lässt ein Ich immer wieder strukturierend in den Text eingreifen. Damit werden Vorgriffe und Einordnungen mit der erlebten Rede und den Dialogen der Figuren zu knappen, mehrperspektivischen Passagen verbunden. Der schlichte, fast protokollarische Sprachstil wird dabei mit den Emotionen der jugendlichen Figuren verknüpft und ermöglicht jugendlichen Rezipientinnen und Rezipienten, sich trotz der bedrückenden Ereignisse zu identifizieren und an den Leseprozess die Frage anzuschließen: Was hätte ich getan? Wo liegen meine eigenen Handlungskompetenzen? Welches Menschenbild ist das für mich verbindliche? Dieserart wird die im kollektiven Gedächtnis verleugnete Schuld zu einer hochbrisanten individuellen Fragestellung – auch und gerade für eine nachgeborene Generation, die vielfach keinen authentischen Zugang mehr zu den Ereignissen bekommen kann. Gerade jetzt soll damit ein Text ausgezeichnet werden, in dem und durch den soziale Verantwortung und Nächstenliebe auf besondere Weise eingefordert werden.“

Die Jury setzt sich neben Weihbischof Brahm aus Dr. Agnes Blümer (Literaturwissenschaftlerin, Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung ALEKI, Bonn), Prof. Dr. Norbert Brieden (Religionspädagoge, Bergische Universität Wuppertal), Kerstin Fuchs (Leitung Jugendhilfezentrum Johannesstift, Wiesbaden), Dr. Theresa Kohlmeyer (Leitung Abteilung Glaube, Liturgie und Kultur im Bistum Essen), Bettina Kraemer (Leitung Lektorat Borromäusverein e. V., Bonn), Dr. Heidi Lexe (Leitung Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur Stube, Wien), Dr. Claudia Maria Pecher (Leitung Landesfachstelle für Büchereiarbeit und Präsidentin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, München) und Prof. Dr. Markus Tomberg (Religionspädagoge, Theologische Fakultät Fulda) zusammen.

Kirsten Boie ist eine der renommiertesten deutschen Autorinnen der Kinder- und Jugendliteratur. Für ihr Lebenswerk wurde sie 2007 mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet und erhielt 2011 das Bundesverdienstkreuz. Alle Preisgelder fließen in die eigene, gemeinsam mit ihrem Mann gegründete Möwenweg-Stiftung, die Kinder in Swasiland unterstützt.

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