Am Wochenende berichteten ZEIT, TAZ, SÜDDEUTSCHE, SPIEGEL, WELT und FAS und FAZ fast zeitgleich über Dylan Farrows Debüt „Hush“ bei Loewe und dann kam ein Shitstorm dazu – Anlass für Fragen an Loewe Verlagsleiter Christoph Gondrom:
Haben schon einmal derart viele Leitmedien über ein Loewe-Buch berichtet?
Christoph Gondrom: Ein solches Medienecho haben wir noch nicht erlebt. In den letzten Tagen berichteten die ZEIT, die TAZ, die Süddeutsche, der SPIEGEL, die WELT sowie FAS und FAZ über Dylan Farrows Debüt „Hush“.
Aber dann kam noch ein Shitstorm dazu …
Genau. Blogger*innen sind darauf aufmerksam geworden, dass wir den Roman online mit dem Untertitel „Fantasyroman von Woody Allens Adoptivtochter“ versehen hatten – dies wurde sogleich als Skandal bezeichnet. Es folgte ein Shitstorm, der uns überrumpelte, hatten wir doch diese Entwicklung nicht antizipiert. Unser Wunsch war zunächst die Intention hinter dieser Wortwahl zu erläutern, was die Diskussion jedoch nur weiter anheizte…
Was war denn Ihre Intention?
Unsere Intention war und ist es, die Stoffe unserer Autor*innen zu den Leser*innen zu bringen. Die Worte unsere Autor*innen können nur Wirkung entfalten, wenn sie auch gelesen werden! Und nun kommt ins Spiel, dass Dylan Farrows Roman „Hush“ nicht nur ein spannendes Fantasy-Debüt ist, sondern auch als Beitrag zur Me-Too-Debatte und dem seit den 90er Jahren schwelenden Streit um die öffentliche Meinung zwischen Mia Farrow, Woody Allen und Dylan Farrow gelesen werden kann. Dies tritt unter anderem im Nachwort von Dylan Farrow unmissverständlich zu Tage.
Diese Einordnung ist auch in der Berichterstattung der FAZ, ZEIT & Co. zu lesen.
Folglich war es unser Anliegen, für das Werk Aufmerksamkeit auch in der breiten Öffentlichkeit zu generieren, die sich ansonsten vielleicht nicht für Jugendfantasy interessiert. In Zeiten coronabedingt geschlossener Buchhandlungen, in denen – vereinfacht gesagt – das bereits Bekannte online präsenter ist als eine Novität, schien uns der Weg, Aufmerksamkeit über Verschlagwortung & Co. zu erzeugen, plausibel.
Blogger*innen interpretierten diesen Untertitel jedoch u. a. als Ausdruck von sog. „Silencing“.
Dadurch, dass wir dem bekannten Adoptivvater in der Bewerbung so viel Gewicht gaben, setzten wir die Autorin selbst in der Wahrnehmung zurück – und dies entsprach ganz sicher nicht unserer Intention. In einem öffentlichen Statement entschuldigten wir uns und änderten den Untertitel.
Aber damit nicht genug – nun stoppen Sie gar die laufende Auslieferung und überstickern die Bücher?
Während der Großteil der Community unsere Entschuldigung begrüßte, verblieben Stimmen, die sich fragten, was mit den Büchern geschehe. Schließlich erwähnten wir bis dato den Namen „Woody Allen“ in der Autorenbiographie wie auch auf der U4. Dort hieß es „Die Fantasy-Dilogie Hush ist das aufsehenerregende Debüt von Dylan Farrow, der Adoptivtochter von Woody Allen und Mia Farrow“. Zwischenzeitlich erfuhren wir, dass der Pitch, auf dessen Basis wir das Werk einkauften, im Wording nachträglich angepasst wurde. Neben der Autor*innenagentur agiert hier auch noch eine US-Agentur, die das Buch zusammen mit Dylan Farrow entwickelt hat. Letztere hat mit dem Pitch aus dem uns zugegangenen Lizenzangebot gearbeitet, in dem der familiäre Hintergrund von Dylan Farrow betont wurde. Die Agentur der Autorin hat sich das später noch mal genauer angeschaut – und gemeinsam mit Dylan Farrow entschieden, das Wording zu ändern. Folglich sind wir mit der Entscheidung, das Buch umzustickern, auf der Linie der Autorin.
Die FAZ bezeichnete das Tilgen des Namens Woody Allen angesichts des Buchtitels Verbotene Worte als „ironische Wendung“…
Im Nachwort stellt die Autorin das Werk klar in Kontext zu ihrer Familiengeschichte, aber sie vermeidet es, ihren Adoptivvater beim Namen zu nennen. Es ist sicherlich ein Drahtseilakt, einerseits den Kontext herzustellen, aber andererseits hinreichend unkonkret zu bleiben. Die Vermeidung des Namens des Adoptivvaters im Nachwort ist somit eine sprachliche Feinheit, die von uns unterschätzt wurde. Für unsere schnelle Reaktion wurde uns dann aber im Namen der Autorin gedankt. Letztendlich kann man sagen: Die Erfahrungen, von denen manche auch unschön waren, haben uns in vielerlei Hinsicht sensibler gemacht.
Gab es noch unschöne Erfahrungen?
Nun, wir waren der Dynamik des Shitstorms in all seinen Ausprägungen ausgesetzt. Die Mehrheit der Community argumentierte sachlich und wir sind für dieses Feedback dankbar, auch wenn oder gerade weil es geschmerzt hat. Abgesehen von Boykottaufrufen, die ich persönlich nicht der sachlichen Kritik zuordnen möchte, gab es sicherlich auch unschöne Momente, in denen die Emotionen überkochten und ich mir Sorgen um meine Mitarbeiter*innen machte. Eine bekannte Fantasyautorin beispielweise teilte eine Direktnachricht an sie als Facebook-Story und versah unsere Worte mit der Einschätzung, diese seien „scheinheilig“. Im gleichen Posting wurde der Name einer Loewe-Mitarbeiterin öffentlich geteilt. Als ich dies sah, lief es mir kalt den Rücken herunter, war die Stimmung doch bereits sehr aufgewühlt. Ich habe dies zum Anlass genommen, in einem Clubhouse-Gespräch mit Karla Paul und Christoph Koch öffentlich Verantwortung für den Fehler zu übernehmen, dass das Buch mit dem Namen des bekannten Adoptivvaters beworben wurde.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz