Elsinor-Verleger Thomas Pago über den Vorteil und die Besonderheit "kleinerer" Verlage „Den prominenten Bestsellerautor wird man nie ins Programm bekommen, aber das ist auch gar nicht nötig. Die Ebenen darunter sind ja oft viel reizvoller, bunter, interessanter“

Mit der Veröffentlichung  des Krimiklassiker ES GIBT KEINE WIEDERKEHR von John Mair hat der „Kleinverlag“ Elsinor überraschend große Resonanz erzeugt. Das war Anlass für Fragen an Elsinor Verleger Dr. Thomas Pago:

Thomas Pago: „Wer ausschließlich internationale Bestseller liest, hat die kleineren Verlage vielleicht nie im Blick. Aber es gibt ja eine Bücherwelt jenseits der Bestsellerlisten – was nicht heißen soll, dass nicht auch ein kleinerer Verlag gelegentlich von grandiosen Verkaufszahlen träumt“

BuchMarkt: Was hat Sie eigentlich zur Gründung Ihres Verlages motiviert? 

Thomas Pago: Vor der Gründung von Elsinor, das war 2006, hatte ich mich schon etwa zwei Jahre lang mit dieser Idee beschäftigt. Der Hintergrund waren eine Reihe von Jahren im Lektorat eines großen Münchner Konzernverlags und anschließend eine Producing-Tätigkeit im Rahmen eines Redaktionsbüros – als Dienstleister für einige deutsche Sachbuchverlage. Diese Tätigkeit umfasste neben der Arbeit am Text auch die technische Seite der Buchgestaltung und -produktion. Das alles hat die Gründung erleichtert, die aber letztlich auch aus Experimentierfreude erfolgte.

 

Wirklich Experimentierfreude? 

Ich wollte ausprobieren, ob es – anfangs mit fast hundert Prozent eigenem Einsatz – möglich war, ein kleines Verlagsprogramm zusammenzustellen und einen neu gegründeten Verlag sichtbar zu machen. Der Blick reichte zunächst aber nur zwei, drei Jahre weit, es gab also bei der Gründung keinen Plan, wie der Verlag in fünf oder zehn Jahren aussehen sollte, es hätte ja auch schiefgehen können.

Es ist nicht schiefgegangen …

… ja, das war erfreulicherweise nicht der Fall, das Programm ist inzwischen relativ umfangreich, wurde um ein Imprint erweitert, mittlerweile läuft die Programmplanung teilweise über zwei Jahre, zum Beispiel, weil längerfristige Übersetzungsaufträge vergeben werden: Also kann man sagen, dass am Anfang ein Versuch, ein Experiment stand, dass die Gründung im weiteren Sinne aber über einen längeren Zeitraum erfolgte, nämlich in mehreren Schritten, immer dann, wenn es darum ging, die Strukturen weiterzuentwickeln und einen Schritt nach vorn zu gehen – natürlich immer im Rahmen des für einen kleineren unabhängigen Verlag Möglichen. Das Gründungsmotiv war letztlich gar nicht so maßgeblich; entscheidend war, dass der Verlag nicht auf einem bestimmen Level stehengeblieben ist, sondern Schritte nach vorn gegangen ist, wann immer sich Chancen geboten haben. 

Wie würden Sie das Profil Ihres Verlages beschreiben?

Das Verlagsprofil von Elsinor ist sehr stark von persönlichen Neigungen geprägt; es hätte ja wenig Sinn, diesen doch erheblichen Aufwand zu betreiben für ein Buchprogramm, von dem man nicht selbst überzeugt ist. Kern des Programms war die Idee der Wiederentdeckung vergessener, aber bis heute aktuell und lesenswert gebliebener Werke der frühen Moderne; zunächst aus der deutschen Literatur, aber es kamen dann bald Neu- und Erstübersetzungen aus dem Englischen und Französischen hinzu, sogar eine kleine Reihe mit Entdeckungen aus dem Bereich der Kriminalromane. Im Laufe der Zeit wurde der Rahmen dann etwas ausgeweitet, und es gab sogar spektakuläre Entdeckungen …

… wie  2018 die Erstausgabe der 70 Jahre lang verschollenen deutschen Originalfassung von Arthur Koestlers weltberühmtem Roman „Sonnenfinsternis“.

Und jetzt folgt mit „Der Sklavenkrieg“ die zweite Originalausgabe eines Römer- und Revolutionsromans von Arthur Koestler, der bisher nur als Rückübersetzung aus dem Englischen bekannt war. Da liegt also eindeutig der Schwerpunkt; was aber nicht ausschließt, dass der Verlag sich gelegentlich an Erstausgaben heutiger Autorinnen und Autoren wagt. Um das Spektrum noch ein wenig zu erweitern, wurde außerdem vor einigen Jahren ein Imprint Longinus für Titel mit regionalem Bezug eingerichtet, vornehmlich literarische, aber der Bogen wird dort etwas weiter gespannt. Westfalica sind für einen Verlag mit Sitz in Westfalen ja ein akzeptables Begleitprogramm.

Die letzten Jahren waren für alle Verlage nicht einfach?

Spätestens seit März 2021 wissen wir ja aus der von Staatsministerin Grütters in Auftrag gegebenen Studie, dass die Verlags- und Buchbranche mitten in einem Umbruch steckt: Die wachsende Vielfalt des Medienangebots scheint zu Lasten des Buches zu gehen, die Zahl der Buchkäufer ist deutlich rückläufig, die Zahl der Neutitel nimmt ab, und der allergrößte Teil des Umsatzes entfällt auf die 40 größten Verlage.

Und der Lockdown hat die kleineren Verlage auch getroffen.

Ja, die Situation hat sich insgesamt leider verschlechtert. Mit der Schließung der Buchhandlungen im Frühjahr 2020 ist der Absatz zunächst schlagartig auf Null gefallen, dann aber allmählich wieder angestiegen, wohl nicht zuletzt, weil viele Buchhandlungen in dieser Zeit ja sehr kreativ waren, weiter Bestellungen angenommen und Bücher teilweise mit eigenen Teams vor Ort ausgeliefert haben. Der Absatz hat sich also wieder eingependelt, wobei der zweite Lockdown in der umsatzstarken Zeit vor Weihnachten schon sehr problematisch war. Allerdings ist zur Folgeneinschätzung ein einfacher Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum wenig aussagekräftig, weil wir reagiert haben: Das eigentlich für den Herbst 2020 geplante Programm wurde ins Jahr 2021 verschoben, das Frühjahrsprogramm 2020, das ja unter sehr ungünstigen Bedingungen gestartet war, wurde quasi verlängert und für den Herbst noch einmal angekündigt. Es ist also nur die Hälfte der ursprünglich geplanten Novitäten erschienen – was sich zwangsläufig auf den Umsatz ausgewirkt hat.

Überraschungshit bei Elsinor: Durch Klick auf Abbildung zum Verlag

Eine weitere Folge der Lockdowns war für alle das komplette Ausfallen von Autorenlesungen bis ins Frühjahr 2021.

Insgesamt wirkte die für Literatur aufgeschlossene Öffentlichkeit – und dazu zähle ich auch den Buchhandel, Veranstalter und Medien – in dieser Phase wie gelähmt. Das ändert sich jetzt zwar allmählich wieder, aber doch langsamer als erwartet. Das ist eine der langfristigen Folgen der Lockdowns, die man immer noch spürt – alle Beteiligten sind etwas zurückhaltender und zögerlicher.

Können kleinere Verlage besser reagieren als Großverlage?

Kleinere Verlage haben kürzere Entscheidungswege, da können Projekte auch einmal ganz schnell und fast spontan beschlossen werden, jedenfalls sofern damit keine hohen finanziellen Risiken verbunden sind. Natürlich sind die Möglichkeiten begrenzter, den prominenten Bestsellerautor wird man nie ins Programm bekommen, selbst wenn man es wollte; aber das ist auch gar nicht nötig, die Ebenen darunter sind ja oft viel reizvoller, bunter, interessanter, da kann man Entdeckungen machen und etwas ausprobieren,  auch auf die Gefahr hin, dass ein Titel vielleicht wirtschaftlich gesehen erfolglos bleibt.

Wo bleibt dann der Ertrag dabei für Sie?

Nehmen wir mal als Beispiel einen inzwischen vergessenen Autor oder Übersetzer (oder natürlich eine Übersetzerin), der vor mehreren Jahrzehnten verstorben ist, aber Arbeiten hinterlassen hat, die immer noch zeitgemäß und lesenswert wirken – und auf die man zufällig gestoßen ist. Da gibt es dann in der Regel keine Agentur, die die Rechte vertritt, sondern man muss selbst recherchieren, manchmal monatelang: bei Meldeämtern und ihren ausgelagerten Archiven, bei Amtsgerichten, Privatleuten … aber wenn es dann gelingt, die Angehörigen oder sonstigen Erben aufzufinden, spielen am Ende Lizenzen und Garantiezahlungen eine eher überschaubare Rolle. Klar, das ist jetzt auch nicht das Alltagsgeschäft, aber solche etwas abenteuerlichen Projekte gibt es, und sie passen eher in die Welt der kleineren Independent-Verlage.

Wir stehen Sie zum Online-Handel?

Soweit das für uns nachvollziehbar ist, läuft der größere Teil des Umsatzes tatsächlich über den Sortimentsbuchhandel. Über die Barsortimente sind die Titel aber auch bei den großen Internethändlern bestellbar – und auf der Verlagswebsite ist ebenfalls ein Shop integriert. Es wäre ja fahrlässig, auf diesen Vertriebsweg zu verzichten – aber dass der stationäre Buchhandel die Hauptrolle spielt, ist dann doch ganz erfreulich. Im Lockdown hat sich jedenfalls gezeigt, dass der stationäre Handel unverzichtbar ist und dass Versandhändler diese Rolle auch gar nicht ausfüllen können und wollen.

Haben kleiner Verlage trotzdem eine Zunft? 

Aus der Einzelsicht heraus traue ich mir eigentlich nicht zu, eine Prognose für eine ganze Branche abzugeben. Mit aller Vorsicht bin ich da aber noch verhalten optimistisch: Die Vielfalt der Verlagsszene in Deutschland besteht ja aus einem Nebeneinander von großen, mittleren und kleineren Verlagen, die allesamt ihre eigenen Schwerpunkte und Profile haben. Untereinander stehen sie damit aber nur bedingt im Wettbewerb, eigentlich ergänzen sie sich ganz gut. Wer ausschließlich internationale Bestseller liest, hat die kleineren Verlage vielleicht nie im Blick. Aber es gibt ja eine Bücherwelt jenseits der Bestsellerlisten – was nicht heißen soll, dass nicht auch ein kleinerer Verlag gelegentlich von grandiosen Verkaufszahlen träumt

Damit ist meine Frage noch nicht beantwortet.

Also dann: Ich glaube an die Zukunft auch der kleineren Verlage – aber unter der Voraussetzung, dass der oben erwähnte Rückgang der Lesekultur nicht weiter voranschreitet, dass der Sortimentsbuchhandel für ihre Titel aufgeschlossen bleibt und dass diese Titel auch weiterhin in den Rezensionen und Berichten der Medien eine Rolle spielen. Denn am Ende kauft man ein Buch, weil man davon gehört oder gelesen hat und neugierig geworden ist: Ob es aus einem namhaften Großverlag stammt oder aus einem eher kleinen Haus, spielt für die allermeisten vermutlich keine so entscheidende Rolle. 

Die Fragen stellte Martin Compart

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