Wir hatten es am Donnerstag gemeldet: Die wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) appelliert an den Buchhandel, sich an der Wahl zum höchstdotierten deutschsprachigen Sachbuchpreis „WISSEN!“ zu beteiligen. Das war Anlass für unser heutiges Sonntagsgespräch mit Tom Erben (Director Community) und Wolfgang Hornstein (Vertriebsleitung Buchhandel):
Wie geht es der wbg in diesen Zeiten?
Tom Erben: Als größte Lesergemeinschaft Deutschlands spüren wir ein großes Bedürfnis nach wissenschaftlich fundierten Impulsen in der gegenwärtigen Werte-Diskussion. Bei der Frage, wie wir die Zukunft unserer Gesellschaft gestalten, sind fundierte Antworten aus den Geisteswissenschaften unerlässlich. Die gegenwärtige Situation belegt, wie sträflich dies lange unterschätzt wurde. Die Krise war deshalb eine Chance, die wbg als Plattform für Debatten und als? Leuchtturm zu positionieren: auf unserer Plattform wbg-community.de konnten wir einen Diskurs anstoßen, der mittlerweile sogar als Buch Corona Stories erschienen ist.
Und worum geht es darin?
Dreißig Wissenschaftler denken darüber nach, was die Krise mit uns und unseren Werten anstellt. Wochenlang beherrschten Virologen den Diskurs. Corona und die Folgen können aber nicht allein von Medizinern und Naturwissenschaftlern behandelt werden.
Einleuchtend.
Die wbg hat deshalb ihre Autoren um Gedanken zur Pandemie gebeten, und Autoren von Ulrike Ackermann über Lisa Herzog, Sven Felix Kellerhoff bis Hermann Parzinger, Gesine Schwan und Hubert Wolf haben Essays geschickt, die eindrucksvoll die Bandbreite geisteswissenschaftlicher Reaktionen auf die Ausnahmesituation zeigen. Das ist die Art Dialog, die wir als Verein ermöglichen wollen und können. Wir sind ja qua Satzung gebunden, Wissenschaft zu fördern: alle unsere Gewinne werden in neue Projekte investiert. Und von jedem verkauften Exemplar der „Corona Stories“ gehen zwei Euro an die Stiftung Arbeiterkind e.V.
Und weshalb gibt es den WISSEN!-Preis?
Wolfgang Hornstein: Auch der WISSEN!-Preis ist entstanden aus dem Engagement unserer 85.000 Mitglieder – gegen Fake News, gegen Popularisierung, für das freie Wort und den wissenschaftlich fundierten Diskurs. Dass wir damit einen Trend zugunsten des Sachbuchs sicherlich nicht begründet aber doch mitgestaltet haben, bestätigt die Neuausrichtung der wbg. In einer zunehmend komplexen Welt suchen unsere Zielgruppen Orientierung. Diese Orientierung gewinnen Menschen auch aus Büchern, das haben wir in den letzten Wochen ganz deutlich im Umsatz gespürt.
Da ziehen Sie mit dem Buchhandel am selben Strang, aber kämpfen immer wieder mit dem Problem, dass die WBG eher als Gegner denn als Partner gesehen wird.
Da spüren wir einen deutlichen Klimawandel, wir sind ja keine Gegner sondern Partner. Aber es stimmt, mancherorts herrschen beim Buchhandel noch Vorurteile. Aber es spricht sich immer mehr herum. dass wir gut verkäufliche und hochrelevante Titel veröffentlichen, für die fast jede Buchhandlung Kunden hat.
Was meinen Sie mit Klimawandel?
Wir werden bald 50 Shop-in-Shop-Präsenzen haben, und es gibt noch viel mehr Potential für weitere Standorte. Dass unsere Shop-Präsenzen bisher vorwiegend bei den Großen realisiert werden, heißt nicht, dass wir den unabhängigen Buchhandel außen vorlassen, im Gegenteil: Wir haben auch Partner mit nur 200 qm Verkaufsfläche. Die Zusammenarbeit mit unserem Vertriebspartner, Forum Independent, ist hier sehr eng und Forum Independent mit seinem engagierten Team ein wertvoller Impulsgeber.
Und welche Rolle spielt dabei nun der WISSEN!-Preis?
Tom Erben: Es ist der höchstdotierte deutschsprachige Sachbuchpreis und kann damit zu einem Marketing-Instrument für den Handel werden, wie es andere renommierte Preise bereits sind. Wir werden mit Bekanntgabe der Shortlist Anfang September Plakate an den Handel ausliefern. In der Presse hatten wir mit dem ersten Preisträger Thomas Bauer „Warum es kein islamisches Mittelalter gab“ eine große Resonanz. Das kann und soll mit der zweiten Preisvergabe am 21. Januar 2021 in München auch in den Handel abstrahlen, wenn die ausgezeichneten Titel in den Läden präsent und kenntlich gemacht sind.
Die Longlist mit 22 Titeln weist eine große Breite auf – haben Sie schon einen Favoriten?
Die Nominierungen stammen von unseren Mitgliedern, da sind die Interessen naturgemäß sehr breit gefächert, von der Geschichte der Völkerwanderung bis zur Geschichte Ostdeutschlands. Demzufolge sind von Beck bis Suhrkamp viele Verlage vertreten, und natürlich freuen wir uns auch über die Platzierungen der wbg. Denn mit dem WISSEN!-Preis verstehen wir uns als Plattform, die spannende und neue Gedanken zugänglich macht – nehmen Sie bspw. die so unterschiedlichen Ansätze der Bücher von Necla Kelek und Kebra Gümüsay. Die Jury wird es schwer haben. Aber zuvor sind die Buchhändler dran. Ich hoffe Sie stimmen bis Monatsende noch mit ab. Wir sind sehr gespannt, welcher Titel für Buchhändler das wichtigste Sachbuch ist, das seit Januar 2019 erschienen ist?
Wo kommt denn das Geld her, das Sie ausschreiben?
Das Preisgeld stammt aus Mitteln unserer mit 85.000 Mitgliedern größten geisteswissenschaftlichen Plattform, die als Verein seit 1949 ihre Gewinne in die Förderung von Wissenschaft und Bildung investiert. Eine Förderung erhalten wir von der Sparkasse Darmstadt. Mit insgesamt 64 000 Euro ausgestattet, ist »WISSEN!« der höchstdotierte deutschsprachige Sachbuchpreis – dabei erhält der Siegertitel 40 000 Euro, die Shortlistkandidat*innen je 1 000 Euro. Weitere 20.000 € werden für herausragende Habilitationen im Bereich der Geisteswissenschaften vergeben.
Und wie sieht das Verfahren aus und was müssen Buchhänderlnnen tun, um abzustimmen?
Wolfgang Hornstein: Bis 31.7. können Buchhandlungen mit abstimmen, welche 5 Titel die Shortlist des WISSEN!-Sachbuchpreis der wbg bilden. Jedes Mitglied der wbg und jede Buchhandlung kann auf der Website www.wbg-wissen-preis.de eine Stimme abgeben. Und wenn die für Ihren Favoriten abstimmen, nehmen Sie automatisch an der Verlosung einer kostenlosen Lesung mit dem Preisträger teil.
Das Voting wird zusätzlich zur fünfköpfigen Jury gewertet, die auch in diesem Jahr hochkarätig besetzt ist: Prof. Dr. Aleida Assmann (Kulturwissenschaftlerin), Dr. Peter Frey (ZDF), Jürgen Kaube (FAZ), Prof. Dr. Hermann Parzinger (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz) sowie der Theologen Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf (Münster) als Jury-Vorsitzender werden die Shortlist, bestehend aus fünf Titeln, am 1. September 2020 bekannt geben.
Die wbg setzt sich auch mit weiteren Aktivitäten für das Sachbuch ein: Sie haben gerade einen Podcast gestartet…
Tom Erben: Wir konnten die stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“ als Moderatorin für unseren Sachbuch-Podcast „Was sagen Sie dazu?“ gewinnen. Der Wissens-Podcast der wbg will nicht nur Antworten finden, sondern vor allem die richtigen Fragen stellen. Die Philosophin Dr. Rebekka Reinhard spricht mit Autoren aus Wissenschaft und Praxis über die großen Fragen unserer Zeit – und natürlich auch über ihre Bücher. Die ersten Folgen mit Harald Lesch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ranga Yogeshwar u.v.a. waren sehr erfolgreich. Wir würden uns freuen, wenn möglichst viele Buchhandlungen unseren Podcast auch für den eigenen Webshop nutzen.
Die Fragen stellte Christan von Zittwitz
Corona ist wie Krieg – alle warten auf das Ende. Wunderbar, wenn alle nicht nur hoffen, sondern auch gemeinsam kämpfen.