Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Thomas Montasser?

Seit Nikolaustag fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2024 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Heute beantwortet  Literaturagent Thomas Montasser unseren „anderen“ Fragebogen.

Thomas Montasser

 

Welcher Tag war Ihr schönster in diesem Jahr?

Ich habe dieses Jahr mit einer Trauerfeier begonnen (für Christine Steffen-Reimann von DroemerKnaur), ich hab’s am 20. Dezember mit einer Trauerfeier beendet (für meinen lieben Onkel), dazwischen gab es weitere Todesfälle, die mich sehr bewegt haben (unter anderem hat uns der wundervolle Christian von Zittwitz verlassen). Also, ich gestehe: Den schönsten Tag kann ich mir gerade nicht vorstellen. Ich nehme mal den 31.12. Dann ist es vorbei. Und nächstes Jahr, das hab ich schon so bestellt, wird sowieso genial gut. Da wird es dann nur noch die Qual der Wahl sein, welcher Tag der schönste gewesen sein wird.

Worüber haben Sie sich 2023 am meisten geärgert?

Darüber, dass nun auch Verlage glauben, sie müssten – und wir sprechen hier nicht von Buchhaltung oder Einkauf – auf KI setzen. Leute, wir sind doch seit Jahrtausenden selbst intelligent genug, um Bücher zu schreiben, seit Jahrhunderten intelligent genug, um sie zu verlegen! Wie kann man glauben, dass irgendetwas besser wird, wenn’s die Maschine macht?

Was war 2023 Ihr schönster Erfolg?

Das war wie jedes Jahr die Tatsache, dass wir einigen Neulingen einen Start ins Literaturwesen verschaffen konnten. Und in einem Fall, dass wir einer Autorin, die es wirtschaftlich alles andere als leicht hatte, einen richtig großen Vertrag verschaffen konnten, mit dem sich alle Sorgen in Luft aufgelöst haben. Sowas tut einem auch selber gut.

Und Ihr traurigster Misserfolg war?

Auch da gab es wie immer einige, weil es leider nicht immer gelingt, das, wovon man zutiefst überzeugt ist, auch unterzubringen. Es nun einmal leider so, dass nicht immer das beste Buch auch das bestverkaufte ist. Das ist nicht leicht zu akzeptieren – und noch viel schwerer zu erklären.

Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

Da bin ich mal ganz selbstbezogen: Das war in dem Jahr Feltrinelli, weil sie die italienische Ausgabe meines letzten Romans in die Top 10 gebracht haben, und Athesia in Salò am Gardasee, weil ich ihn da zum ersten Mal gesehen habe. Das war übrigens ein sehr schöner Tag, nicht nur deshalb!

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im nächsten Jahr nichts mehr lesen?

Von Personalkürzungen und Einsparungen in Verlagen? Von der Freiheit geistigen Eigentums als Begründung für dessen Diebstahl durch die Techriesen? Von der Allmacht der Algorithmen im Einkauf? Es gibt so viele Themen. Ich entscheide mich für: Von der Inhaftnahme von Autorinnen und Autoren für politisch oder weltanschaulich motivierte Taten Anderer. Palästinensische Kunstschaffende sind nicht verantwortlich für Hamas-Terror, israelische Kunstschaffende nicht für den Krieg im Gaza-Streifen, Muslime dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt, Juden nicht verantwortlich gemacht werden für die Politik der israelischen Regierung. Und wenn sich jemand distanzieren muss, dann sollten wir es alle tun: Diejenigen, denen Menschlichkeit noch etwas bedeutet, sollten sich von der Unmenschlichkeit von Krieg und Terror gegenüber Unschuldigen distanzieren, egal wo und wem gegenüber er stattfindet.

Über welches Thema wollen Sie mehr lesen?

Vielleicht darüber, dass es wieder mehr Gelassenheit in unserer Gesellschaft gibt? Und natürlich über jede Menge neue, aufregende große Stories, tolle Charaktere, raffinierte Twists und Aha-Effekte: Bücher halt.

Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden vermeiden?

Zu lange gewartet zu haben, jemandem zu sagen, wie sehr ich ihn schätze. Und es nicht deutlich genug zu sagen.

Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?

Diesen nicht. Hoffentlich.

Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

Normalerweise würde ich jetzt sagen: Das werden ca. 35-40 Novitäten sein, Originale, die wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht haben. Unter anderem den unglaublich berührenden Erstling „Ein Fingerkuppe Freiheit“ von Thomas Zwerina und „Das Mädchen mit dem Koffer“ von Charlotte Inden – wenn das Buch denn am Ende tatsächlich so heißen sollte. Aber für die kommenden Tage hat mir meine Tochter Mina, 15, angekündigt, dass sie mir ihren endlich, endlich fertig geschriebenen ersten Roman zur Lektüre geben wird. Ich habe das Entstehen jetzt zwei Jahre lang verfolgt, wurde immer wieder gefragt, wie ich dieses oder wie ich jenes Problem lösen würde – und durfte absolut nichts lesen bisher. Also bin ich gespannt wie selten zuvor. Vermutlich wird’s der Nummer 1-Bestseller in 2025. Und dann noch die Masterarbeit meiner Tochter Melissa. Auf die bin ich auch extrem neugierig und voller Vorfreude.

Von wem würden Sie gern auch mal die Antworten auf diesem Fragebogen lesen?

Von meinem Sohn. Der ist schlauer als ich.

Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie eigentlich gerne beantwortet?

Was erhoffen Sie sich fürs kommende Jahr? Antwort: Nur Gutes für uns alle.

Gestern antwortete Torben Vagts, morgen fragen wir Marietta Thien

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