Das Festival Frankfurt liest ein Buch war gestern Abend, am Tag des Buches und eine Woche nach der offiziellen Eröffnung, erneut zu Gast in der Deutschen Nationalbibliothek. Unter der Überschrift Widerstand erzählen ging es um Grundgedanken des Romans Das siebte Kreuz von Anna Seghers.
Das Gespräch führte Ruthard Stäblein vom Hessischen Rundfunk mit Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, und Hans-Willi Ohl, Vorsitzender der Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz. Für die Lesung konnte der Schauspieler Martin Wuttke gewonnen werden, er hatte bereits die Hörbuchfassung des Romans eingesprochen. Die insgesamt elf CDs sind im Audio Verlag erschienen.
„Es geht im Siebten Kreuz um Menschlichkeit. ‚Was jetzt geschieht, geschieht uns’, heißt es bei Anna Seghers“, leitete Stäblein die Diskussionsrunde ein, „aber es geht nicht um Kommunismus.“
Ohl antwortete: „Seghers war seit 1928 Mitglied der Kommunistischen Partei, aber das Wort ‚Kommunismus’ fehlt im Buch tatsächlich. Es geht um Widerstand in breiter Form – das wollte die Autorin zeigen. Ihre Frage war: Wie verhält sich ein Mensch einem Flüchtling gegenüber?“ Sylvia Asmus fügte hinzu: „Als Anna Seghers 1933 ins Exil nach Paris ging, hatte sie viele Quellen, nutzte Berichte und Erzählungen. Beispielsweise von Hans Beimler und Gerhard Seger.“ Man müsse sich eine Flucht nicht wie ein Gehen von A nach B vorstellen. Doch Seghers, die Französisch sprach, knüpfte schnell ein Netzwerk, trat 1935 auf dem Schriftstellerkongress in Paris auf, als man noch von einer antifaschistischen Volksfront sprach. Leider konnte dieser Zusammenschluss der Hitler-Gegner keine Schlagkraft entwickeln. „Seghers sah die Heimat anders als die Nazis, sie sah in der Heimat eine soziale Gemeinschaft, für die sich jeder entscheiden musste“, äußerte Asmus und zitierte aus Seghers’ Rede Vaterlandsliebe auf dem Schriftstellerkongress: „Es gibt keine Heimaterde schlechthin, es gibt keinen Apfelbaum schlechthin, es ist ein anderer Apfelbaum auf dem Feld des Feudalbesitzers, ein anderer auf dem vom Fiskus gepfändeten Feld, und wieder ein anderer auf dem Kolchos.“
„Aber schreibt Anna Seghers nicht geradezu volkstümlich?“, stellte Stäblein in den Raum. Ohl erwiderte mit Bert Brecht, der sagte: „Das Volk tümelt nicht.“ Das siebte Kreuz sei ein Roman, der weit mehr als eine Ermutigung enthalte. Die Autorin nutzte moderne Erzähltechniken, aber auch Märchen, Mythen und Sagen und war der Meinung, dass all diese Erzählungen zum Volk gehören. Ohl verwies in diesem Zusammenhang auf den Briefwechsel von Anna Seghers mit Georg Lukács, in dem dieses Thema eine Rolle spielte.
„Die von Seghers genutzte Montagetechnik erinnerte mich an den Film. Ihre Szenarien haben etwas wahnsinnig Saftiges“, schaltete sich Wuttke gestenreich ein. „Die Arbeit am Hörbuch war spannend und hat Spaß gemacht.“
Die 1900 in Mainz geborene Anna Seghers beschreibt nicht nur die Landschaften ihrer Kindheit, sondern auch den Mainzer Dom und das Gassengewirr in Frankfurt am Main. „Das ist authentisch, aber es ist kein Reiseführer. Dem Buch kommt existentielle Bedeutung zu“, bemerkte Ohl. Immer kommen Menschen in Entscheidungssituationen und müssen handeln.
„Im Roman geht es tatsächlich um Ermutigung, denn vorher hatte sich schon genügend Entmutigendes ereignet“, merkte Asmus an. Seghers beschreibe, was sie gerne hätte; nicht alle sollten sich den Nazis anschließen. Die Realität habe allerdings anders ausgesehen. „Da muss ich ein bisschen widersprechen“, sagte Ohl und nannte das erst 1953 erschienene Der lautlose Aufstand von Günther Weisenborn. Dann kam Ohl auf seine Lieblingsszene in Das siebte Kreuz zu sprechen, es ist eine Stelle im vierten Kapitel. Heisler befindet sich in einem Imbiss-Buffet, isst und trinkt etwas. Zwei Burschen mit Mützen der Gasgesellschaft erkennen ihn. Der eine sagt zum anderen: „Gott! Du hättest dir was verdienen können.“ „Hätt’ ich? Hättest du?“ … „Sie verließen das Buffet in Freundschaft“, heißt es am Ende des Absatzes.
Asmus unterstrich: „Das siebte Kreuz hat viele aktuelle Ebenen, jeder muss sich richtig verhalten. Exil ist kein abgeschlossenes Thema.“
„Paul Röder, ein einfacher Schulfreund, hilft entscheidend“, äußerte Ohl und stellte fest: „Mir kommt es so vor, als ob heute dagegen viele Menschen moralische Grenzen austesten. Das finde ich unerträglich“, sagte Ohl und erhielt Applaus.
Der Protagonist Georg Heisler aus Anna Seghers Roman ist kein strahlender Held, er hat Ecken und Kanten. Aber er hat einen unbändigen Freiheitswillen. Und er wird durchkommen, gegen alle Versuche, seiner habhaft zu werden.
JF