Am 19. August erscheint mit Michelangelo bei Wagenbach ein großformatiger, über achthundert Seiten umfassender Prachtband mit über 900 Abbildungen. Das war Anlass für Fragen an die Verlegerin Susanne Schüssler – wie verrückt muss man sein, um sich an ein solches Großprojekt zu wagen?
Wie verrückt muss man sein, so ein Buch zu machen?
Susanne Schüssler: Ziemlich! Bei diesem Projekt ist eine ganze Ansammlung von Wahnsinnigen zusammengekommen. Anders geht sowas nicht.
Willst du meine These bestätigen, alle wirklich erfolgreichen Verleger müssen einen Defekt haben?
Zumindest muss man seiner Begeisterung trauen und den Mut und den langen Atem aufbringen, vermeintlich Sperriges zu realisieren. Risikobereitschaft drückt sich ja heute gern in hohen Vorschüssen für Gängiges aus. Und wenn einem das Glück dann einen solchen Autor beschert … Man muss sich mal vorstellen, dass in der heutigen schnelllebigen Zeit jemand 40 Jahre lang sich immer wieder mit dem Werk eines Künstlers beschäftigt. Das ist so großartig wie anachronistisch. Das Großartige ist der unbezwingbare Enthusiasmus mit dem Horst Bredekamp das Projekt – und alle, die daran mitgearbeitet haben – vorangetrieben hat. Seine Begeisterung hat immerhin drei Lektoren (nacheinander!), eine ganze Horde von studentischen Hilfskräften, zwei Korrekturleser, eine Grafikerin und eine Herstellerin, naja und zuallererst mich, die Verlegerin angesteckt.
So viele Leute an einem Projekt, wie muss ich mir das vorstellen?
Nach jedem Lektoratsdurchgang hat Horst Bredekamp nicht nur einfach gesagt, diese Korrektur will ich, diese nicht. Er hat eine dritte und nochmals bessere Version geschrieben.
Das ist bestimmt der Horror jeden Verlegers?
Ja, und nach dem Layout eines jeden Kapitels wurden in endlosen Zoom-Sitzungen mit der Grafikerin die Bilder nochmals verschoben, verkleinert, vergrößert. Nur: Das Resultat ist fantastisch: Nicht nur, dass der Bildumbruch sehr harmonisch ist und das Auge klug leitet, es ist gelungen, sämtliche Bilder auf den Seiten zu platzieren, die sie behandeln.
Gibt es bei so vielen Köchen nicht irgendwann ein Durcheinander?
Wir hatten strikte Pläne, Zeitpläne aber auch sonst Vorgaben aller Art. Zum Beispiel eine zehnseitige „Urwaldliste“, die verhindern sollte, dass sich unterschiedliche Schreibweisen oder Abkürzungen einschleichen. Unser Korrekturleserfex hat nächtelang den hundertseitigen Anhang vereinheitlicht. Und irgendwann, schon beim letzten Durchgang, entdecke ich zufällig, dass 10 Seiten fehlen. Die gab es einfach nicht. Ein Programmfehler beim Aneinanderhängen der gigantischen Dateien. Der Supergau. Ab Seite 465 musste neu paginiert werden, alle Verweise stimmten nicht mehr. Das war an einem Samstag, zehn Tage vor Druckdatenabgabe. Haben wir dann aber auch hingekriegt.
Die Bücher sind inzwischen gekommen ….
…. das war für mich sowas wie die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter. Du kontrollierst alles 1000 mal, bevor die Daten in die Druckerei gehen. Dann kommt das dunkle Loch. Und irgendwann liegt das fertige Exemplar vor Dir. Manchmal lasse ich es Stunden liegen, schleiche drumrum und trau mich nicht, es aufzumachen.
Und, gibt es etwas, das nicht so geworden ist, wie gedacht? Schon einen Fehler gefunden?
Klar, bin mal gespannt, ob den außer mir noch jemand sieht!
Da steckt ja nicht nur viel Arbeit drin – das ist doch auch ein riesiges Wagnis. Ist ein solches Kamikaze-Projekt nicht eher etwas für einen großen Verlag?
So etwas macht kein angestellter Verleger. Bis allein die Planungsphase vorbei ist, ist der oder die schon längst wieder bei einem anderen Verlag. Da braucht man Durchhaltevermögen. Vertrauen in Qualität. Leidenschaft und Geduld und immer wieder Ausdauer… Irgendwann mal hat man JA gesagt, das war vor Jahren, eine Wette aufs Gelingen. Dann investiert man mehr und mehr, allein die Bildrechte kosteten über dreißigtausend Euro. Aber ich war so überzeugt – oder verrückt, wie Du es nennst – dass ich nicht am Gelingen gezweifelt habe.
Du hattest keine schlaflosen Nächte?
Nein, das ist mein LUXUS DER FREIHEIT! Das Ergebnis scheint mir recht zu geben: Unsere Vertreterinnen und Vertreter haben unseren Enthusiasmus mit auf die Reise genommen, der Buchhandel zieht mit, wir haben unglaubliche Vormerker.
Aber jetzt kommt es auf die Leser an.
Für die arbeiten wir schließlich. Sie sollen das Buch in zehn Jahren noch immer kaufen können. Ist ja keine Eintagsfliege. Unser Projekt ist also auch eine Investition in die Zukunft.
Aber was ist denn jetzt das Besondere?
Das ist kein Werk eines Profi-Biographen, der heute Goethe durchmangelt und morgen Beethoven. Horst Bredekamp interpretiert mit seinem ungeheuren Wissensschatz die Werke dieses Jahrtausendkünstlers neu. Michelangelo war in seinem beinahe 90 Jahre währenden Leben nicht nur Bildhauer, sondern auch Maler, Architekt, Stadtplaner, Stratege – und Dichter: Wie hat er zu seinen Formen gefunden, wer hat ihn beeinflusst, wie hat er mit seiner Kunst Politik gemacht, wie ist er gegenüber den Päpsten, den Medici, den Auftraggebern aufgetreten. Warum hat er immer und immer seine Verträge gebrochen? Das liest sich ungeheuer spannend. Am Ende erfahren wir über dieses rastlose Multitalent genauso viel wie über seine Zeit. Diese Michelangelo-Monographie wird noch lange maßgebend sein.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz