Die Serie Aus der Werkstatt der Verlage setzen wir heute mit dem Werkstattbericht von Europa – Verleger Christian Strasser fort. Er erzählt im Editorial seiner Vorschau für 2022 die Geschichte der Albatross Connection und wie drei Verleger es schafften, verbotene angelsächsische Autoren wie James Joyce, John Steinbeck, Aldous Huxley und Ernest Hemingway bis zu Virginia Woolf, Katherine Mansfield u.v.a. weiterhin deutschen Lesern zugänglich zu machen.
Liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler,
als am 10. Mai 1933 Studenten in zahlreichen Städten die Bücher jüdischer und anderer unliebsamer Autoren in die Flammen warfen, wollten sie damit Buchhandlungen und Bibliotheken, das ganze Land, von »undeutschem Geist reinigen«. Die Kraft der Literatur wurde von den Machthabern ganz besonders gefürchtet, die Nazis konnten die Stimmen dieser Autoren nicht aushalten. Auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels wachte mit Argusaugen über das, was in den Schaufenstern oder am Ladentisch angeboten wurde. Verlage, die sich dem widersetzten, wurden aus dem Verband ausgeschlossen, so auch der Europa Verlag, der damals genau diesen verfolgten Autoren, deren Bücher verbrannt wurden, weiterhin eine verlegerische Heimat gab.
Wenn ich Sie mit diesen Worten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in dieser Vorschau will kommen heiße, hat dies einen besonderen Grund; denn im Februar 2022 erscheint ein Buch, das dokumentiert, dass es trotz aller Verbote durchaus einen Weg gab, die Nazi-Zensur zu umgehen: Die Albatross Connection, von der amerikanischen Literaturprofessorin Michele K. Troy jahrelang minutiös recherchiert und geschrieben im besten Stil eines John le Carré Spionageromans, erzählt die Geschichte dreier außergewöhnlicher Verleger und wie sie es schafften, die Nazis auszutricksen und verbotene angelsächsische Autoren von Weltrang von James Joyce, John Steinbeck, Aldous Huxley und Ernest Hemingway bis zu Virginia Woolf, Katherine Mansfield u.v.a. weiterhin deutschen Lesern zugänglich zu machen.
Gegründet 1932 in Hamburg, verlagerte der ALBATROSS Verlag nach der Machtübernahme der Nazis seinen Sitz nach Paris, druckte die Bücher dieser Autoren in englischer Sprache, zunächst bei Mondadori in Mailand und später bei Brandstetter in Leipzig, um sie über eine Hamburger Verlagsauslieferung dem deutschen Buchhandel anzubieten. In einem zeitlos modernen Design unverwechselbar gestaltet, erzielten die Bücher hohe Auflagen. Alle Versuche der Nazis, dieses Geschehen zu unterbinden, scheiterten an deren Gier nach Devisen, die man sich letztlich nicht entgehen lassen wollte. Doch das womöglich Wichtigste ahnte niemand: Hinter ALBATROSS stand wohl der britische Geheimdienst, der nichts anderes versuchte, als durch die Kraft der Literatur NaziDeutschland zu infiltrieren. In diesem Sinne waren die drei Verleger auch allesamt Doppelagenten.
Und als ob diese Geschichte nicht schon sensationell genug wäre, ist Die Albatross Connection auch die Geschichte des modernen Taschenbuchs in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Freuen Sie sich auf diese außergewöhnliche Lektüre, die weit mehr ist als eine Verlagsgeschichte, sondern ein »absoluter Pageturner, der sich liest wie ein hochintellektueller Thriller«, so der amerikanische Historiker Jonathan Rose.
Wenn ich mir erlaube, hier ganz besonders auf dieses eine Buch einzugehen, dann deshalb, weil sich mit dem Verlegen der Albatross Connection für mich ganzpersönlich ein Kreis schließt. Ich versichere Ihnen, dass dies in keiner Weise die Bedeutung der anderen Titel unseres Frühjahrsprogramms schmälert, ganz im Gegenteil: »Die sind alle von hoher Relevanz«, sagte eine erfahrene Verlagsvertreterin auf unserer Konferenz. Überzeugen Sie sich deshalb bitte selbst und lassen Sie sich inspirieren von leidenschaftlicher Belletristik und außergewöhnlichen Sachbüchern, deren Lektüre es manchmal gilt auszuhalten; denn das ist»die Basis der Demokratie«, so der ehemalige Vorsteher des Börsenvereins, Gottfried Honnefelder, bereits im Jahr 2006.
Wie recht er doch hatte.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Christian Strasser
Zuletzt brachten wir den Werkstattbericht von Kanon Verleger Gunnar Cynibulk