Caroline Weimann und Philip Husemann sind Geschäftsführer der politischen Organisation JoinPolitics. Deren Ziel ist es, vielversprechende Talente zu finden und zu fördern, die das Potenzial haben, mit ihren Ideen Politik neu zu gestalten. Mit ihrem Kernthema beschäftigen sie sich in ihrem neuen Buch bei ZS. Die Agentur Politycki & Partner hat sie interviewt.
Politycki & Partner: Spätestens seit ‚Fridays for Future‘ gibt es ein Bewusstsein dafür, dass zahlreiche junge Menschen politisch und gesellschaftlich etwas bewirken wollen. Weshalb gehen trotzdem so wenige junge Menschen in die Politik?
Caroline Weimann: Es ist eine etwas paradoxe Situation: Einerseits erleben wir seit Jahren eine enorme Politisierung der Gesellschaft. Andererseits sinken bei den meisten etablierten Parteien die Mitgliederzahlen. Bei SPD und CDU sind weniger als 20 Prozent der Mitglieder unter 40 Jahre alt. Viele politisch Interessierte fremdeln mit Parteien. Das geht übrigens nicht nur jungen Leuten so, sondern auch Menschen im mittleren Alter, die sich eigentlich vorstellen könnten, per Quereinstieg in die Politik zu wechseln. Für manche ist es regelrecht ein Kulturschock, wenn sie das erste Mal bei einem Parteitreffen dabei sind. Parteien müssen sich also öffnen und modernisieren, auch und gerade um für die jüngeren Generationen attraktiv zu werden. Aber auch wir Bürgerinnen und Bürger müssen an unserer Frustrationstoleranz arbeiten. Dazu gehört auch eine realistische Erwartungshaltung, dass man sich in der Politik bzw. Partei nicht immer mit den eigenen Positionen gleich durchsetzen kann, sondern Kompromissbereitschaft zentral ist.
Auch andere gesellschaftliche Gruppen, beispielsweise Frauen, Menschen mit Migrationserfahrung oder Nicht-Akademiker:innen sind in politischen Ämtern deutlich unterrepräsentiert. Ist die mangelnde Vielfalt ein Grund, weshalb Menschen sich von der Politik und den etablierten Parteien nicht abgeholt fühlen?
Philip Husemann: Mit Sicherheit ist das so. Es braucht dringend mehr Vorbilder aus den genannten gesellschaftlichen Gruppen: Menschen, die es in die Politik geschafft haben, ihre persönliche politische Erfolgsgeschichte erzählen können und somit andere inspirieren, es ihnen gleich zu tun. Damit das passiert, müssen die Parteien aber ihre Hausaufgaben machen, indem sie zum Beispiel ihre Aufstellungsverfahren für wichtige Ämter und Mandate offen, transparent, fair und nach klaren Kriterien neugestalten. Wenn die Parteien, die quasi die Monopolstellung haben, was politische Ämter und Mandate angeht, sich nicht bewegen, wird sich auch nichts ändern. Deshalb wünschen wir uns zum Beispiel bei den Aufstellungen zu Bundestagswahlen mehr Mut, Experimentierfreude und Offenheit für talentierte Quereinsteiger jedweder Herkunft.
Wie zukunftsfähig sind die demokratischen Parteien in Deutschland in ihrer jetzigen Form?
Husemann: Den Parteien sind ihre strukturimmanenten Probleme durchaus bewusst, allerdings stehen sie vor gewissen Hürden bei der Umsetzung von Lösungsansätzen: man hat das Gefühl, dass die Parteienmodernisierung angesichts der unzähligen politischen Krisen auf der Strecke bleibt. Es scheint akut immer größere und dringendere Themen zu geben. Das ist ja sogar verständlich. Und natürlich sind auch die Kassen der Parteien nicht prall gefüllt. Echte Modernisierung, Change-Prozesse sind teuer. Aber eben auch zwingend notwendig, um die Zukunftsfähigkeit sicherzustellen. Sonst werden andere in die Lücke springen. Vielleicht auch neue Parteien, die es derzeit noch gar nicht gibt.
Die erste Wahl von Donald Trump, den Brexit, das Erstarken der AfD nennen Sie, Frau Weimann, als Auslöser, JoinPolitics zu gründen. War die Zeit 2019 reif dafür oder hätte es eine solche Förderung für politische Talente eigentlich schon früher gebraucht?
Weimann: 2019 war die Zeit eigentlich schon überreif für JoinPolitics – und zugleich war die Idee der überparteilichen Talentförderung damals noch viel erklärungsbedürftiger als heute. Dass unsere Demokratie in der Krise steckt, wurde uns in Deutschland eher schleichend bewusst. Das Horrorjahr 2016 mit dem Brexit und der ersten Trump-Wahl hatte aber schon viele wachgerüttelt, auch mich. Bis dahin wirkte die Parteiendemokratie in Deutschland immer recht stabil. AfD, Pegida – das kam ja alles erst ab 2013 auf. Aber klar, es ist schon ein Versäumnis vor allem der Parteien, dass sie sich nicht früher Gedanken gemacht haben über ihre Zukunftsfähigkeit, allen voran auch über die zukünftigen Nachwuchskräfte. Das erinnert ein wenig an die großen Tanker aus der Wirtschaft, die erst durch die digitale Revolution und schnell wachsende Digitalunternehmen wachgerüttelt wurden, und dadurch ihre eigene Modernisierung viel stärker in den Blick nahmen.
Sie sagen, dass jede:r von uns Politik lernen kann – was wäre der erste Schritt?
Weimann: Alles entscheidend ist die intrinsische Motivation. Wenn man politische Herzensthemen hat, für die man unbedingt aktiv werden will, dann sollte man sich zunächst mit Gleichgesinnten zusammentun und einen Plan entwickeln, wie man diese am wirksamsten politisch vorantreiben kann. Man sollte der Frage nachgehen: Welchen politischen Hebel muss ich bedienen, um politisch etwas zu bewegen? Das kann der Weg in eine Partei sein, wenn man zum Beispiel per Kandidatur aus einem Parlament heraus an Themen arbeiten möchte. Das kann aber auch erstmal die Gründung einer politischen Initiative sein.
Der Einstieg in die Politik ist eine Sache, politisches Potential zu halten eine andere. In den letzten Monaten machten Kevin Kühnert und Ricarda Lang mit ihren Rücktritten Schlagzeilen, u.a. aus gesundheitlichen Gründen. Angriffe gegenüber Politiker:innen in der realen ebenso wie der digitalen Welt haben in den letzten Jahren zugenommen. Wie sieht unter solchen Voraussetzungen für Sie die Demokratie der Zukunft aus?
Husemann: Ohne Resilienz und mentale Stärkung geht es nicht. So ehrlich muss man sein, gerade gegenüber den jungen politischen Talenten. Der politische Alltag kann sehr hart sein. Deshalb ist das Community Building und Coaching für den Nachwuchs so wichtig. Dieser braucht einen sicheren Raum, in den auch der ganze Frust und Sorgen mitgebracht werden können. Und Politik ist ja immer auch beides, neben den Tiefs gibt es auch die Hochs: Wenn man eine Wahl gewinnt, ein Gesetz durch das Parlament bringt, das Leben von zahlreichen Menschen durch gute politische Entscheidungen verbessert. Das darf bei all dem Negativen, über das richtigerweise immer offener und häufiger gesprochen wird, nicht vergessen werden.
Krieg in Europa, das Bröckeln von Demokratie, wachsende Ungleichheiten in der Gesellschaft. Nicht die besten Voraussetzungen, um positiv in die Zukunft zu schauen. Wie schaffen Sie es, optimistisch zu bleiben, was unsere Demokratie angeht? Was treibt Sie an?
Weimann: In unserem Buch zitieren wir den berühmten Satz der Anthropologin Margaret Mead: „Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe aufmerksamer, reflektierter, engagierter und umsetzungsstarker Bürger die Welt verändern kann. Tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der Veränderung jemals passiert ist.“ In dem Satz steckt im Grunde alles drin. Es können kleine Gruppen, einzelne Personen sein, die den Unterschied machen. Fehlender Optimismus und Zukunftsängste sind gefundenes Fressen für Autokraten, die genau wissen, wie sie daraus Kapital schlagen. Geben wir ihnen keine Chance! Wir unterschätzen die Kraft der Demokratien und auch die Fragilität der Autokraten, die nicht selten an ihren übergroßen Egos und fehlender Reflektion scheitern. Was mich persönlich optimistisch stimmt ist die tägliche Zusammenarbeit mit politischen Talenten, engagierten und umsetzungsstarken Menschen. Sie haben das Potenzial die großen Fragen der Zeit politisch zu lösen und die Demokratie zu retten. Wir haben bereits eine unglaublich schlagkräftige Gruppe an engagierten Bürgern gebildet. Bis 2028 wollen wir die über 100 vielversprechendsten Talente für die Demokratie gefördert haben. Somit tragen wir dazu bei, dass hoffentlich bald nicht mehr von Demokratiekrise gesprochen wird.
Die Fragen stellte Politycki & Partner