Dem Schriftsteller und Historiker David Van Reybrouck wurde heute in München vor rund 600 geladenen Gästen der Geschwister-Scholl-Preis verliehen.
Er erhält den Preis für sein Buch Revolusi. Indonesien und die Entstehung der modernen Welt. Die Auszeichnung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern und der Landeshauptstadt München ist mit 10.000 Euro dotiert. Bei dem feierlichen Festakt in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität sprachen als Vertreter der Stifter des Preises Oberbürgermeister Dieter Reiter und Klaus Füreder, Vorsitzender des Börsenvereins in Bayern. Prof. Oliver Jahraus, Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität, begrüßte als Hausherr. Die Laudatio auf David Van Reybrouck hielt der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss.
Seine Dankesrede richtet David Van Reybrouck an die Namensgeber des Preises Sophie und Hans Scholl. Er spannt einen Bogen von dem Widerstand der Geschwister und dessen Mitstreitern der Weißen Rose zu den rund 800 Indonesiern, die zu dieser Zeit in den Niederlanden lebten und zu großen Teilen in den Untergrund gingen, um gegen den Faschismus zu kämpfen. „Hans und Sophie, Imperialismus und Kolonialismus gibt es heutzutage leider noch immer. Die Gewalt, die Menschen sich gegenseitig antun, wurde nicht für alle Zeit unschädlich gemacht, wie ihr gehofft habt, sondern flackert dann und wann auf mit einer Wucht und einer Rücksichtslosigkeit, die erschüttern. ‘Nur Frieden’ darf kein frommer Wunsch bleiben.“
Im zweiten Teil seiner Rede benennt David Van Reybrouck den Klimawandel als eine aktuelle Form des Kolonialismus: „Wir machen einen Fehler, wenn wir die koloniale Weltkarte kennen, aber nicht sehen, wie sehr sie sich fortsetzt in die klimatologische Weltkarte von heute. Wir machen einen Fehler, wenn wir nicht wahrnehmen, wie sehr die für die Erderwärmung verantwortlichsten und die meist verletzbaren Länder mit den ehemaligen Kolonialmächten und den kolonisierten Gebieten übereinstimmen. Die Art, wie wir heutzutage den Süden, die Zukunft und das ganze Earth System kolonisieren dadurch, dass wir planetarische Grenzen rücksichtlos überschreiten, ist die größte Herausforderung unserer Zeit.“
Lukas Bärfuss betont in seiner Laudatio den beispielhaften Mut, der David Van Reybrouck und seine Bücher auszeichnet: „Wir müssen uns an den Mut erinnern. Wir müssen ein Wort wagen, wo es billiger wäre zu schweigen. Wir müssen den Vorhang zerschneiden, den die Lüge und das Vergessen vor die Wahrheit ziehen. Mut braucht es, so heißt es, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Mut braucht es, eine Frage zu stellen, wenn alle vorgeben, die Antwort zu kennen.“
Oberbürgermeister Dieter Reiter betont in seiner Ansprache: „Insgesamt präsentiert uns Van Reybrouck auf diese Weise eine ebenso eindringliche wie zugängliche Schilderung der historischen Zusammenhänge in Kombination mit der subjektiv erlebten Alltagsgeschichte. Ein lange verdrängtes oder doch zumindest vernachlässigtes Kapitel der Kolonialforschung wird so zum ersten Mal ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt.“
Der Vorsitzende des Börsenvereins in Bayern Klaus Füreder nennt David Van Reybrouck einen großartigen Zuhörer und begnadeten Erzähler und bedankt sich bei ihm für seine „verdienstvolle Arbeit im Dienste der Verantwortung und der Aufklärung“ und bewundert seinen moralischen und intellektuellen Mut, der ihn dabei ganz im Sinne des Geschwister-Scholl-Preises geleitet habe. „Beeindruckend schlagen Sie den Bogen vom 17. Jahrhundert bis heute, zeigen die engen wirtschaftlichen Verflechtungen von den Niederlanden mit Indonesien – letztlich aber vor allem die Ausbeutung. Sie zeigen die Involviertheit Indonesiens in den zweiten Weltkrieg – und spätestens jetzt verstehen wir, was Welt-Krieg bedeutet.“
Der Geschwister-Scholl-Preis wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V. und der Landeshauptstadt München seit 1980 vergeben. Sinn und Ziel des Geschwister-Scholl-Preises ist es, jährlich ein Buch jüngeren Datums auszuzeichnen, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben. Er ist mit 10.000 Euro dotiert. Zu den Preisträgerinnen und Preisträgern zählten in den letzten Jahren unter anderem Andrej Kurkow, Joe Sacco, Dina Nayeri, Ahmet Altan, Götz Aly, Achille Mbembe, Glenn Greenwald, Otto Dov Kulka, Liao Yiwu, Joachim Gauck, Roberto Saviano, David Grossman und Anna Politkovskaja.