"Was die Autorin in ihren Texten zum Problem der Erinnerung markiert, das kommt durchaus der Überlegung von Uwe Johnson nahe" Jenny Erpenbeck erhält den Uwe-Johnson-Preis 2022

Der mit 20.000 Euro dotierte Uwe-Johnson-Preis 2022 wird Jenny Erpenbeck für ihren Roman Kairos (Penguin Verlag) verliehen. Die fünfköpfige Jury wählte aus einer Vielzahl an eingesandten Texten aus den Bereichen Prosa und Essayistik die diesjährige Preisträgerin aus. Die feierliche Preisverleihung findet im Rahmen der Uwe-Johnson-Tage am Freitag, dem 23. September 2022 in der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern in Berlin statt.

Die Jury begründet ihre Entscheidung für Jenny Erpenbeck u.a. folgendermaßen: „Gedächtnis und Erinnerung, das sind seit Jenny Erpenbecks Debüt mit der ›Geschichte vom alten Kind‹ (1999) zentrale Achsen ihres vielgestaltigen Werkes. Was die Autorin in ihren Texten zum Problem der Erinnerung markiert, das kommt durchaus der Überlegung von Uwe Johnson nahe, der schon früh danach gefragt hat, was ›von einem Menschen übrig (bleibt) im Gedächtnis seiner Umgebung‹. Genau diese Johnson-Frage führt nunmehr an den Kern des Romans ›Kairos‹. Aus der Erzählgegenwart geht die Protagonistin zurück in das Jahr 1986, mithin in die Endphase der DDR. Die Struktur des Romans ist mit ›Karton I‹ und ›Karton II‹ gesetzt und in entsprechende Kapitel gegliedert. Über das Erinnern entsteht eine Art Prosanetz, in dem die Geschichte einer großen Liebe zwischen Euphorie, Enttäuschung und zunehmendem psychologischen Druck erzählt wird. Jenny Erpenbeck gelingt eine nahtlose Verbindung von Privatem und Öffentlichem, die zur Folie für einen Roman wird, der sowohl die Ideale des Beginns in den Blick bekommt, wie auch das Scheitern jenes Staates, den Uwe Johnson einmal als ›wünschenswert‹ bezeichnet hat. Unmerklich und literarisch faszinierend werden dabei Ankerpunkte gesetzt, die Hinweise auf das geben, was man kulturelles Gedächtnis nennt: Zitate aus Liedern, Gedichten, Theaterstücken, philosophischen Schriften, Losungen oder Wandzeitungsüberschriften. Die Veränderungen in der Liebe sowie die zunehmende Bedeutung der unterschiedlichen Erfahrungen innerhalb des sich wandelnden gesellschaftlichen Systems erkundet die Autorin mit einer Sensibilität, die in der Tradition des Schreibens von Uwe Johnson steht.“

Der Jury gehören an: Gundula Engelhard (Geschäftsführerin der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft), Carsten Gansel (Professor für Neuere deutsche Literatur und Germanistische Literatur- und Mediendidaktik an der Universität Gießen; Sprecher der Jury), Cornelia Geißler (Kulturredakteurin der Berliner Zeitung), Michael Hametner (ehemals leitender Literaturredakteur und Moderator bei MDR FIGARO) und René Strien (ehemaliger Geschäftsführer des Aufbau Verlages und seit 2018 Geschäftsführer des OKAPI Verlages Berlin).

Für den Uwe-Johnson-Preis konnten Autorinnen und Autoren oder deren Verlage bis zum 1. März 2022 seit Anfang April 2020 veröffentlichte oder noch unveröffentlichte Prosa- und essayistische Arbeiten einreichen. Der Preis würdigt herausragende literarische Werke, in denen sich Bezugspunkte zur Poetik Uwe Johnsons finden und deren Blickwinkel unbestechlich und jenseits »einfacher Wahrheiten« auf deutsche Geschichte, Gegenwart und Zukunft gerichtet ist.

Der Uwe-Johnson-Preis wurde 1994 erstmals verliehen, zu den Preisträgern gehören unter anderen Walter Kempowski, Jürgen Becker, Uwe Tellkamp, Christa Wolf, Christoph Hein, Lutz Seiler und  Irina Liebmann.

Der mit 20.000 Euro dotierte Literaturpreis wird von der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft e.V. gemeinsam mit dem Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg KdöR und Gentz und Partner Rechtsanwälte Steuerberaterin mbB, Berlin, im jährlichen Wechsel mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis vergeben. Zuletzt wurden Benjamin Quaderer mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis 2021 und Irina Liebmann mit dem Uwe-Johnson-Preis 2020 gewürdigt.

 

 

 

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