Eine Zeitbombe tickt im Börsenverein Offener Brief zum Streit um die Konditionenspreizung

Es tickt eine Zeitbombe, die den Börsenverein betrifft. Zu befürchten: Unser Verband droht am Thema „Konditionenspreizung“ und den daran sichtbar werdenden unterschiedlichsten Interessen zu zerbrechen. Der Hintergrund:

Thalia-Chef Michael Busch hatte zur Buchmesse in Frankfurt  den Börsenverein angegriffen. Sichtlich will der Verband  eine gerichtliche Auseinandersetzung um den Konditionen-Paragraphen 6 des Buchpreisbindungsgesetzes vermeiden. Busch aber sieht Thalias Interessen bedroht und greift den Börsenverein an, der sich mit einem Befriedungsversuch eingeschaltet hat.

Wie brisant das Thema für die Zukunft unseres Verbandes sein kann, zeigt ein offener Brief von Jan Weitendorf von Hacht, der laut darüber nachdenkt, ob der Börsenverein künftig noch die divergierenden Interessen unter einem Dach vereinen kann? Hier sein

OFFENER BRIEF zum Streit um die Konditionenspreizung:

Jan Weitendorf von Hacht: „Ich bin für weniger Aufmerksamtkeit für Busch und für mehr Miteinander als Gegeneinander.  Ansonsten werden auch wir Verlage uns fragen müssen, ob der 3-Sparten-Verband die richtige Interessenvertretung ist“

Der Buchhandelsmarktführer und größte Beitragszahler im Börsenverein opponiert – so fängt der Artikel im Buchreport vom 28. Oktober an. Im Börsenblatt vom gleichen Tag wird Michael Busch mit „Eine Diskussion über Rabatte zu führen ist unsinnig“ zitiert.

Und im Mittagsnewsletter des verbandsnahen Börsenblattes vom 31.10.2021 wird das von Thalia in Auftrag gegebene Gutachten von Taylor Wessing als Gastbeitrag zu Verlagsrabatten angekündigt.

Da fragt man sich doch, wessen Verband dieser Verband ist?  Wieso erhält ein Buchhändler, der einer unter vielen Beitragszahlern ist, ständig eine solche Aufmerksamkeit? Und wo sind die offiziellen Gegenpositionen?

Was mich in der gesamten Diskussion aber am meisten ärgert, ist, dass sämtliche Lieferanten von Thalia in einen Topf geworfen werden.  Denn worum geht es hier überhaupt? Es geht um das Überleben des Verlagswesens in seiner jetzigen Ausprägung – es geht darum, wer sich überhaupt Rabatt von 50% und mehr leisten kann!

Wenn ich mir als mittelständischer Verlag keine Rabatte über 50% beim Barsortiment leisten kann, dann muss Thalia das akzeptieren – das tun sie aber nicht.  Thalia handelt nach dem Prinzip „wir sind der Größte – was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt!“ 
Das hat zur Folge, dass wir zu rechtswidrigem Handeln gezwungen werden.  Es ist nicht Thalia, die gegen das BPG verstoßen, sondern es sind die kleinen Verlage, die ansonsten ausgelistet würden.  

Ein Verlag, der von Thalia ausgelistet wird, wird in geringerem Maße, aber trotzdem über das Barsortiment bezogen, da sich auch Thalia mit den Größten messen muss.

Was ist denn die Innovation, die Thalia bietet?  Die Konditionen reichen gerade dazu, neue Buchhandlungen in das System Thalia zu integrieren und damit die Konditionenschraube noch weiter zu drehen.  Aber für mittelständische Verlage ist das eher die Ansage, dass das Wachstum von Thalia unterstützt werden soll, damit wir uns klanglos vom Markt verabschieden können.

Und hier ist doch genau der Ansatz des Buchpreisbindungs-Gesetzes!  Die Vielfalt im Deutschen Buchmarkt soll gewährleistet werden…

Ich bin für weniger Aufmerksamtkeit für Busch und für mehr Miteinander als Gegeneinander.  Ansonsten werden auch wir Verlage uns fragen müssen, ob der 3-Sparten-Verband die richtige Interessenvertretung ist.  Zumindest was die kleinen Verlage betrifft, fragen wir uns das schon seit längerer Zeit.

Jan Weitendorf von Hacht

W1-Media Verlage, November 2021

Kommentare (2)
  1. Gut beobachtet & die meisten Vertriebsleiter, die ich kenne, konnten noch nie richtig rechnen und bewerten oder gehen mit Scheuklappen in die Filialen und am Main benutzt man gerne Weichspüler statt „Schmutzentferner“.

  2. Als Rentner, tätig in Verlagen von 1964 bis 2005, drängt es mich, zum Thema Verlagskonditionen einen Diskussionsbeitrag zu leisten, obwohl es fraglich ist, dass ich aus diesem meinem Status heraus, die Situation überhaupt richtig beurteilen kann.
    Die Auseinandersetzungen über Konditionen mit allen drei Sparten gab es schon immer. Was sich neu entwickelt hat, sind die anhaltenden Konzentrationsprozesse und dadurch die Verschiebung von Wirtschaftsmacht und daraus resultierend die Einflussmöglichkeiten. Bei diesen Prozessen spielt außerdem der Einfluss der Digitalisierung eine neue grundlegende Rolle, die Veränderungen in allen Bereichen nach sich zieht. Große Funktionsbereiche im Buchwesen haben sich in den letzten Jahren teilweise vollständig geändert und werden sich weiter wandeln.
    Das ist nichts Neues, trotzdem erwähne ich das, weil – nun kommen wir zum Thema – nun auch die Konditionsfragen nicht mehr zu umgehen sind. Alles hängt miteinander zusammen, gesetzliche Buchpreisbindung, digitale Entwicklung, die wesentlich mehr darstellt und nicht nur einzelne Funktionen im Betrieb übernimmt. Es werden neu Wege in allen Funktionen des Betriebes übernommen und ganz neue Bereiche z. B. in der Kommunikation mit potenziellen Buchkäufern oder neue Vertriebswege erschlossen und geplant. Damit wird die Digitalisierung auch zum übergeordneten Führungsinstrument der Unternehmung und damit sind auch ganz neue Kostenarten zu berücksichtigen, die bisher nicht aufgetreten sind oder noch auftreten werden. Diese Situation und die sich weiterhin verstärkenden Konzentrationsprozesse verlangen betriebswirtschaftlich eine höhere Marge zwischen Einkauf und Verkauf.
    Da es eine eigene Kalkulation zur Preisfindung im Sortiments-Buchhandel nicht gibt, ist man auf die Konditionen der Verlage angewiesen, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten. Da der Handel jedoch seine interne Kalkulation aufstellen muss, mit dem Ziel seine Rentabilität zu erhalten, kommt es zu Konditionsgesprächen mit den einzelnen Verlagen, weil die Rentabilität nicht mehr erreicht wird. Die Verlage können den Anforderungen der Handelsstufe folgen oder das Risiko eingehen, dass die Händler sich für andere Verlage entscheiden (müssen).
    Das ist jeweils die unternehmerische Entscheidung eines Verlages und trifft dort ebenfalls auf die interne Kalkulation des Buchpreises. Nicht immer müssen die höheren Konditionsanforderungen zum höheren Ladenpreis führen, es kann sich auch durch höhere Verkaufszahlen rechnen. In aller Regel jedoch werden diese Konditionsanforderungen zu einem höheren Ladenpreis führen (müssen), wenn man auch hier nicht neue Wege mithilfe der Digitalisierung geht.
    Die Konzentration im Handelsbereich führt natürlich dazu, dass die Verlage hier höhere Konditionen einräumen müssen, das ist in der Vergangenheit auch so gewesen. Die Diskussion mit der 50%igen Rabattgrenze gab es immer und wurde auch in früheren Jahren (kann ich jetzt hier „ungestraft“ aussagen) überschritten, und zwar immer, wenn nicht nur mengenmäßig, sondern regelmäßig auch dann, wenn Vereinbarungen mit außergewöhnlichen Aktionen und Engagement getroffen wurden. Daher – und das lässt meiner Meinung nach auch das jetzt gültige Gesetz zur Preisbindung zu – sollte man diese Auseinandersetzung über die Konditionen nicht dahingehend ausweiten, dass man sogar im Börsenverein zu einer Auseinandersetzung kommt. Es ist sicherlich angebracht, die Konditionsfrage, die alle beteiligten Seiten gleichermaßen betrifft, so in den Einzelfällen zu regeln, dass keiner sich als der Unterlegene begreift. Die „Marktmächtigen“ müssen sich ihrer Verantwortung gegenüber den schwächeren Partnern bewusst sein und auf gleicher „Augenhöhe“ verhandeln. Jeder der Partner und ich schließe das Barsortiment ein, muss sich seiner Verantwortung gegenüber der Gesamtheit bewusst sein. Hierbei sehe ich auch eine ganz wesentliche Aufgabe des Börsenvereins, der den Strukturwandel seiner Mitglieder aktiv zu betreuen hat.
    Das Wichtige ist bei diesen Konditionsfragen, bei allen Auseinandersetzungen zu beachten, dass die Vielfältigkeit (in jeder Hinsicht), die dreistufige Spartensituation und die Unabhängigkeit des Buchwesens vom Staat zu befördern und zu erhalten ist. „Auswüchse“ sind Gründe und Vorwand für staatlichen Eingriff. Die Wirtschaft und Gesellschaft sind in einer Umbruchzeit, das hat auch zur Folge, dass das Buchwesen sich auch verändern muss und bei diesem Wandel sind die Konditionsfragen aus meiner Sicht nur jetzt plötzlich eine sichtbar gewordene, natürlich wichtige, Randerscheinung, die nun die bevorstehenden und bereits begonnenen grundlegenden, existentiellen Veränderungen des Buchwesens für alle verständlich in den Mittelpunkt rücken.

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