Für seinen Jugendroman "Kollektorgang" hat er eine gewagte Erzählperspektive gewählt Peter-Härtling-Preis 2023 an David Blum verliehen

Auf Einladung der Beltz-Geschäftsführerin Marianne Rübelmann wurde am 7. Mai in der Beltz-Buchhandlung in Weinheim der diesjährige Peter-Härtling-Preis verliehen – und zwar zum 40. Mal. Ausgezeichnet wurde der Leipziger Autor David Blum für seinen Roman Kollektorgang. Mit dem Preisgeld verbunden ist auch eine Veröffentlichung bei Beltz & Gelberg.

Die Laudatio des Jury-Vorsitzenden Tilman Spreckelsen (FAZ) konnte nicht von ihm selbst gehalten werden, da es der Deutschen Bahn eingefallen war, seinen Zug von Frankfurt nach Mannheim erst in Stuttgart halten zu lassen.

Florian Valerius im Gespräch mit David Blum

Eingesprungen ist der Trierer Buchhändler und Blogger Florian Valerius, der die Preisrede engagiert vortrug und auch ein Gespräch mit dem Autor führte. Der nur 128 Seiten kurze Roman schildert den Kampf von jugendlichen Plattenbaubewohnern gegen eine aggressive Bande von Neonazis, der sich in den düsteren Katakomben abspielte, die vernetzt unter solchen Stadtvierteln für die Versorgungsleitungen verlaufen. Das Betreten ist strengstens untersagt, was Jugendliche natürlich schon immer angezogen hat.

David Blum wählt für seine Geschichte eine gewagte Erzählperspektive. Der 14-jährige Ich-Erzähler Mario stirbt nach einer Auseinandersetzung mit der Neonazi-Gang und erzählt, auf seinem Grabstein sitzend („Mein Hintern klebt förmlich an dem Stein“), im Rückblick die letzten Tage seines kurzen Lebens. Dieser erzählerische Kunstgriff verleiht dem Roman keineswegs die Stimmung einer nekrophilen Tristesse; Tilman Spreckelsen bringt das in seiner Laudatio so auf den Punkt: „Wie jeder Roman, der vom Tod spricht, handelt er vom Leben. Wer erzählen kann, kann auch noch hoffen“. Das bezieht sich nicht auf Mario, wohl aber auf die Leser des Buches.

Natürlich darf in diesem Lebensabschnitt nicht die Liebesgeschichte fehlen – mit einem „Mädchen, so schön wie Himbeereis und so klug wie dreizehn Taschenrechner. So traurig wie ein Eisberg und so stark wie ein Fahrradschloss“. Das Buch spielt in der Mitte der 90-er Jahre in einer fiktiven ostdeutschen Stadt; die Eltern der Jugendlichen sind mehr oder weniger abwesend. „Was aus Vater geworden ist? Ich nehme an, er arbeitet irgendwo an einer Leberzirrhose.“ Marios Grab-Nachbar ist Hoffmann, eine Art Oberhausmeister, der seine Arbeit verloren hat, die neue Welt nicht mehr versteht und selbst im Grab noch nervt.

Boxen spielt in den Auseinandersetzungen der Jugendgangs eine wichtige Rolle. David Blum, der selbst in einer solchen Plattenbausiedlung aufgewachsen ist, aber einfach nicht der Typ war, sich zu prügeln, hat ca. 50 Boxbücher gelesen, um sich mit der Kampftechnik vertraut zu machen. Rajko, der vor den Jugoslawien-Kriegen geflüchtete Freund des Protagonisten, wählt für einen Kampf „die härteste Strafe, die es gab“: Er verschont seinen Gegner. In einer kurzen Anmerkung am Schluss des Buches wird das Vorbild dafür benannt: 1933 wurde Johann Wilhelm Trollmann der deutsche Boxmeister-Titel aberkannt – wegen seiner Sinto-Herkunft und seines „undeutschen“, tänzelnden Kampfstils. Daraufhin stieg er aus Protest mit blond gefärbten Haaren und weiß gepuderter Haut in den Ring und ließ sich k.o. schlagen. Als der kampfunerfahrene Mario seinem Freund beistehen will, fällt er in ein Messer und stirbt an seinen Verletzungen.

Marianne Rübelmann übergibt die Preisurkunde an David Blum, gemeinsam mit Mechtild Härtling

Beltz hatte seinem Autor Peter Härtling zu dessen 50. Geburtstag diesen Autoren-Förderpreis geschenkt, mit dem seither zahlreiche Autorinnen und Autoren ausgezeichnet wurden, die dadurch bekannt, bestärkt und erfolgreich wurden. Nach Karin Gündisch (1984) waren das unter anderem Nina Petrick (1994), Martina Wildner (2002), Salah Naoura (2011) und Juliane Pickel (2021). Alle zwei Jahre soll das beste unveröffentlichte Prosamanuskript für Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 15 Jahren ausgezeichnet werden. Die Wahl des Siegerbuchs aus den anonymisierten Einsendungen liegt bei einer fünfköpfigen, unabhängigen Jury. Zu Lebzeiten führte Peter Härtling selbst den Juryvorsitz. Mit der Preisverleihung rund um den Jahrestag der Bücherverbrennung setzt der Preis ein Zeichen gegen das Vergessen bzw. für Freiheit, Toleranz und soziale Verantwortung und betont die wichtige Rolle, die der Kinder- und Jugendliteratur hierbei zukommt.

Nach seiner eigenen Aussage wurde dem 2017 gestorbenen Peter Härtling, der in diesem November 90 Jahre alt würde, der Preis zu seinem 80. Geburtstag zum zweiten Mal geschenkt, als nämlich die Verlagsgruppe Beltz die Preisstiftung und Juryarbeit komplett übernahm, nachdem die Stadt Weinheim aus dem Stifterkreis ausgeschieden war. Mechtild Härtling, die Ehefrau des im Kinderbuch wie in der Belletristik gleichermaßen geschätzten Autors, ließ es sich nicht nehmen, gemeinsam mit Marianne Rübelmann den Preis zu überreichen.

David Blum wurde schon mit der Frage konfrontiert, ob die Thematik des Buches (wie auch das Cover) nicht zu düster seien. Er antwortet darauf, wie Peter Härtling es immer wieder betont hat: Wenn man Kinder und Jugendliche ernst nimmt, kann man ihnen alle Realität zumuten – man muss allerdings eine ästhetische Form dafür finden.

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