Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Ulrike von Stenglin?

Seit dem 6. Dezember (Nikolaustag) fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2021 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Heute beantwortet Ulrike von Stenglin, Verlegerin HanserBlau, unseren „anderen“ Fragebogen:

Welcher Tag war Ihr schönster dieses Jahr?

Als meine Tochter nach Monaten zu Hause wieder in die Kita durfte und endlich ihre Freund:innen wiedersehen konnte.

Worüber haben Sie sich 2020 am meisten geärgert?

Im Lockdown hatte der Onlinehändler Amazon Hygieneartikel priorisiert und wochenlang keine Bücher mehr nachbezogen oder versendet.

Was war 2020 Ihr schönster Erfolg?

Zwei Autorinnen aus 2019 haben 2020 ganz entscheidend für uns geprägt: Delia Owens hat mit Der Gesang der Flusskrebse gerade in Zeiten persönlicher Isolation vielen Leser:innen Trost und Mut zugesprochen, Alice Hasters muss als eine der wichtigsten Stimmen in der deutsche Debatte rund um Rassismus irre viel aushalten, ihr Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten wird auf Jahre den Diskurs mitbestimmen.

Und Ihr traurigster Misserfolg war…?

Eine englische Autorin, deren Übersetzungsrechte ich unbedingt kaufen wollte, hat sich für einen anderen Verlag entschieden.

Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

Es gibt so unendlich viele tolle Buchhandlungen, große und kleine, die engagiert geführt werden von streitbaren, belesenen Buchhändler:innen. In Berlin knibbeln sie unsere teuren Bestselleraufkleber ab wie bei Hundt Hammer Stein, diskutieren in Podcasts wie blauschwarzberlin vom Ocelot leidenschaftlich über Bücher, beliefern ihre Kund:innen in schwierigen Zeiten auch mal schnell per Fahrrad wie Uslar und Rai, gründen in der Hochzeit der Pandemie optimistisch neu Buchhandlungen wie She Said Books, leisten Bildungsarbeit in ihren Kiezen wie Leseglück, die Autorenbuchhandlung, Bücher am Nonnendamm … Lieblingsverlag hab ich seit Jahren nur einen: Reprodukt – schönste, beste Graphic Novels.

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im kommenden Jahr nichts mehr lesen?

Rassismus gegen Weiße – das gibt es nicht.

Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?

Über alle blinden Flecken der Gesellschaft – gerne in Form richtig guter Romane. Nächstes Jahr erscheinen tolle Bücher von Bernadine Evaristo, Bryan Washington, Hannah Lühmann und Douglas Stewart. Und eine sensationelle Graphic Novel von Felix Lobrecht und Oljanna Haus.

Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?

Ich würde wahnsinnig gerne weniger emotional an die Sachen herangehen, mich weniger persönlich verantwortlich fühlen – vor allem für die Misserfolge.

Und welchen Fehler werden  Sie trotzdem wiederholen?

Auch 2021 werde ich wieder genauso mitfiebern und mitleiden, als wären es alles meine eigenen Bücher.

Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?

Wir hatten das große Glück, den super sympathischen JJ Bola mit seinem Buch Sei kein Mann gleich zweimal zu hinreißenden Veranstaltungen in Berlin zu haben.

Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

Direkt im Januar erscheint Das Achte Kind von Alem Grabovac, wir haben fast zwei Jahre daran gearbeitet, es pandemiebedingt verschoben, was für ein elektrisierender Gedanke, dass der Roman bald im Laden liegen wird.

Von wem würden Sie gern auch mal  die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?

Mein bester Freund Pierrot Raschdorff ist Marketingleiter bei der Hörverlag und hat dieses Jahr einen vielbeachteten Diversity-Workshop abgehalten.

Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie gern beantwortet?

Na, offensichtlicherweise möchte ich in Länge und Breite über aufregende Lektüren aus diesem Jahr reden.

Hier können Sie die auch beantworten:

Brit Bennett – Die verschwindende Hälfte (Rowohlt)

Maya Angelou – Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt (Suhrkamp)

Deniz Ohde – Streulicht (Suhrkamp)

Bov Bjerg – Serpentinen (Ullstein)

Ralph König – Vervirte Zeiten (erscheint als Buch im Februar bei Rowohlt, hat mich als tägliches Instacomic durch die härteste Zeit getragen)

Adam Higginbotham – Mitternacht in Tschernobyl (Fischer)

Gestern antwortete Reinhard Rohn, morgen fragen wir Ulrich Ehrlenspiel.

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