"Ein Verleger, wie er in keinem Buche steht" Peter Usborne

Peter Usborne (c)Martin Usborne

Der Usborne Verlag trauert um seinen Gründer und Vorsitzenden Peter Usborne CBE, der am 30. März plötzlich, aber friedlich im Kreise seiner Familie verstorben ist. Usborne wurde 85 Jahre alt. Er hinterlässt seine Frau Wendy, die Kinder Nicola und Martin und fünf Enkelkinder.

„Peter Usborne war im wahrsten Sinne des Wortes ein Genie – seine Brillanz wurde nur noch von seiner Entschlossenheit übertroffen, Bücher für alle Kinder zugänglich zu machen. Diese Entschlossenheit wurde von seiner Leidenschaft angetrieben, ‚es besser zu machen‘ als jeder andere Kinderbuchverlag und war gepaart mit seiner kindlichen Energie und Neugier, mit denen er jeden Raum, den er betrat, erfüllte“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verlags. „Er war ein außergewöhnlicher Verleger, eine inspirierende Führungskraft und ein liebenswerter und großzügiger Mensch, den alle, die das Glück hatten, ihn zu kennen, schmerzlich vermissen werden.“

In einer Bekanntmachung sagte Nicola Usborne, Geschäftsführerin und Tochter von Peter Usborne, gestern Morgen:

„Ich bin untröstlich, dass mein geliebter Vater heute früh plötzlich verstorben ist. Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr wir ihn vermissen werden. Er war ein brillanter, immer neugieriger, immer enthusiastischer Mann, der auch sehr liebenswert, großzügig, ehrenhaft und bis ins Mark prinzipientreu war. Er war der beste Vater, den ich mir vorstellen konnte. Er scherzte immer, dass er beabsichtige, niemals zu sterben, und wir alle hofften, dass er noch viele Jahre haben würde. Wir finden Trost darin, dass er bis zum Ende ein so erfülltes Leben hatte. Er war so stolz, als er vor Kurzem seinen CBE („Commander of the Order of the British Empire“, ein britischer Ritterorden) auf Schloss Windsor in Empfang nahm. Er genoss jede Minute der Buchmesse in Bologna und der Party zum 50-jährigen Jubiläum von Usborne mit so vielen langjährigen Kunden und er war begeistert von einer kürzlich erworbenen Romanlizenz.

Er verbrachte gestern seinen allerletzten Tag im Büro in einem ganztägigen Meeting mit Harper Collins U.S. zur Ausweitung der Absatzwege im US-Markt, von dem er so angetan war. Er war wie immer mit der U-Bahn in seinen geliebten Verlag gefahren. Er lebte sein Leben so, wie er es wollte. Er konnte nie verstehen, warum jemand in den Ruhestand gehen würde, und er wäre zufrieden, dass er es nie, nicht einmal im Ansatz, tat.

Mein Vater war unglaublich stolz auf alle, die bei Usborne arbeiten, darunter viele langjährige Mitarbeiter. Er machte deutlich, dass er jede Auszeichnung, die er erhielt, allen bei Usborne zu verdanken hatte, und er las jedes Buch von vorne bis hinten. Papa war auch sehr stolz auf die Wohltätigkeitsorganisation, die er mitbegründet hat, die Usborne Foundation. Etwas zurückzugeben war ihm enorm wichtig. Das Unternehmen und alle Mitarbeiter bedeuteten ihm so viel. Unabhängig von seiner Dienstzeit hatte mein Vater einen enormen Einfluss auf Usborne und wir alle spüren seinen Verlust sehr.

Ich schätze mich überglücklich, dass ich einige Jahre von meinem Vater lernen konnte, wie Usborne seinem Empfinden nach geführt werden sollte. Ich werde mein Bestes tun, um sein bemerkenswertes Vermächtnis am Leben zu erhalten und Usborne voranzubringen. Mein Vater hat sehr deutliche, unauslöschliche Spuren hinterlassen, denen wir folgen können. Es war sein größter Wunsch, dass Usborne weiter voranschreitet, auch ohne ihn. Mein Vater, Peter Usborne, war immer überzeugt, dass er das absolut beste Leben führe und dass er sich kein größeres Privileg vorstellen könne, als 50 Jahre lang Bücher für Kinder zu verlegen.“

Ulrich Störiko-Blume, Inhaber der ProjektAgentur, erinnert an Peter Usborne:

Auf die Frage, was sein schönster Erfolg sei, erklärte Peter Usborne in einem Interview mit BuchMarkt vor zehn Jahren: »Am Leben geblieben zu sein.« Nun ist er mit 85 Jahren gestorben, mitten in der Arbeit für seinen Verlag, der er jeden Tag begeistert im Usborne House auf dem Saffron Hill im Londoner Stadtteil Camden nachgegangen ist. Ein Verleger, wie er in keinem Buche steht. Ein Verleger, der sich und seinen Leuten immer wieder die Frage gestellt hat: Was interessiert Kinder? Was wollen sie verstehen? Wie wollen sie das lesen und anschauen? Worüber lachen sie gern?

Den Verlag mit dem bunten Ballon als Verlagslogo hat Peter Usborne vor 50 Jahren in London gegründet; auf der Frankfurter Buchmesse 2022 wurde das zehnjährige Jubiläum des deutschen Usborne Verlags gefeiert. Ein Ballon signalisiert Leichtigkeit, er ermöglicht Überblick, und dazu passt der Slogan »be curious«.

In der Zeit, als Usborne Publishing gegründet wurde, dachten viele, das Fernsehen werde die Kinder für das Lesen verderben, erst recht bei sachlichen, erklärenden Büchern. Usborne-Bücher sind stets bildgestützt, eine Komposition von Bild und Text. In der frühen Phase hat die Gestaltung der Usborne-Bücher bewusst auf die durch das Fernsehen geprägte Wahrnehmung der Kinder Rücksicht genommen. Als die digitalen Medien aufkamen, erst in Gestalt von CD-ROMs, dann mit dem Internet, wurde ja wiederum geraunt, jetzt sei es bald vorbei mit dem Kindersachbuch – all das könne man am Bildschirm viel attraktiver anbieten. Usborne hat die Gestaltung seiner Bücher laufend verändert – sie sind immer sehr bunt und oft kleinteilig, weshalb sie in den Augen unkundiger Erwachsener oft leichtfertig als Kinderkram abgetan werden.

Ähnlich erging es auch dem berühmten Ali Mitgutsch, der die Wimmelbücher ja nicht erfunden, ihnen aber eine neue Erklärkraft verschafft hat. Kein Wunder, dass Peter Usborne schon in den 70-er Jahren den Kontakt zu dessen Ravensburger Verlag suchte, mit dem sich ein lebhaftes Lizenzgeschäft entwickelte. Taschenbuchreihen und großformatige Bildersachbücher wurden in Koproduktion mit Ravensburger hergestellt, Bücher von einer bilderreichen Opulenz, die man als Originalausgaben kaum selbst hätte finanzieren können.

Schon in den 70-er Jahren war es in den illustrierten Usborne-Büchern eine Selbstverständlichkeit, keine herkömmlichen Rollenbilder zu verwenden, so dass beispielsweise Frauen Feuerwehrautos steuern. Ab Ende der 80-er Jahre war es der Verlag arsEdition, der sein Programmspektrum durch eine großangelegte Kooperation mit Usborne ins Kindersachbuch erweitern konnte. Diese Zusammenarbeit wurde so eng, dass es zu der wahrscheinlich einzigen Lizenz kam, die Usborne jemals eingekauft hat. Ein Team um den Sachbuchautor Hans Peter Thiel und die Illustratorin Ilse Ross verfasste 1991 für eine Usborne-Reihe von Länderführern den Band Deutschland für Kinder. Peter Usborne, sowieso ein Mensch mit Antennen für naturwissenschaftliche, gesellschaftliche und historische Entwicklungen, war fasziniert vom Prozess der deutschen Wiedervereinigung, und gewährte seinem Geschäftspartner arsEdition die Chance, dieses Buch über das eigene Land zu produzieren.

Auch in vielen anderen deutschen Kinderbuchverlagen erschienen Usborne-Bücher in Koproduktion. Typischerweise hat Peter Usborne den Nutzen des gedruckten Buches für Kinder niemals infrage gestellt und daher alle digitalen Modewellen an sich vorbeischwappen lassen. Wahrscheinlich hat er sich diese Frage sogar immer wieder gestellt, hat aber mit seinem kreativen Team stets neue Konzepte gefunden, die sich am besten (und am erfolgreichsten) in Buchform umsetzen ließen. Wenn einer genau verfolgte, was sich in der Medienentwicklung tut, dann war es Peter Usborne.

Neben dem stets erneuerten, raffinierten Zusammenspiel von Text und Illustration ist die internationale Kooperation die zweite Säule, auf der Peter Usborne seinen Verlag aufgebaut hat. Dank der modernen lingua franca, der englischen Sprache, und ausgestattet mit einer universalen Bildsprache konnten Usborne-Bücher überall in der Welt verstanden werden. Damit einher ging und geht ein Geschäftsmodell, das im Verlagswesen in dieser Perfektion einzigartig ist. Alle Titel werden in London konzipiert, entworfen und dann den Kunden in aller Welt vorgestellt. Ihr Feedback kann einfließen in die endgültige Ausgestaltung der Bücher, die dann ebenfalls in London geschrieben, illustriert, layoutet und lizensiert werden, wo ein riesiges Kreativ-Team aus Redakteuren, Designern, Illustratoren und Buchherstellern wirkt.

Auf einer solchen Basis andere Sprachfassungen zu erstellen, ist dann vergleichsweise eine Kleinigkeit und zudem deutlich kostengünstiger, als ein eigenes Buch zu konzipieren. Die deutschen Fassungen werden meist nicht von literarisch inspirierten Übersetzern, sondern von Fachleuten des jeweiligen Themas angefertigt, deren Texte dann in den Lektoraten geschliffen und in die vom Layout strikt vorgegebenen Felder eingepasst werden müssen.

Peter Usborne hatte eine deutsche Mutter, auch seine erste Ehefrau war eine Deutsche, und ihre gemeinsame Tochter Nicola führt heute den Verlag. Bevor sie in den Verlag eintrat, hatte sie allerdings auch ihre eigene Karriere bei US-amerikanischen Verlagen und in der Filmbranche – sie musste nicht in Vaters Fußstapfen treten, aber irgendwann wollte sie das dann. Auch das gehört zu einer erfolgreichen Verleger-Geschichte: rechtzeitig für guten Führungsnachwuchs sorgen, was bekanntlich gerade in familiengeführten Verlagen nicht selten misslingt oder mit dem Verkauf an einen Konzern endet. Usborne ist nach wie vor ein Verlag im Familienbesitz.

Peter Usborne sprach und verstand ausgezeichnet deutsch. Seine Neugier auf den deutschsprachigen Buchmarkt, der in seiner Wahrnehmung geprägt ist von Verlagen mit starker Tradition und Buchhandelstreue, Preisbindung, strengem Arbeitsrecht, komplizierten und urheberfreundlichen Verlagsusancen, ging mit einem ebenso großen Respekt einher. Insgesamt nicht gerade einladende Faktoren, um hier mal eben eine Niederlassung aufzubauen und den deutschen Buchhandel zu überzeugen. Aber nach sorgfältiger Vorbereitung war es 2012 soweit: Usborne Verlag Deutschland wurde gegründet und ging im Herbst 2012 in der Tasche der frisch gegründeten dtv-Vertriebskooperation an den Start. Anfangs wurde das Unternehmen weitgehend aus London gesteuert, seit dem Brexit gibt es eine veritable GmbH mit Sitz in Regensburg, geleitet von Claudia Holzer. Für das vom damaligen dtv-Vertriebschef Rudolf Frankl erfundene Modell erwies sich der neue Verlag als Zugpferd, eine Win-Win-Situation. Wo in den Konzernen so oft von Synergien geträumt wird, die sich dann viel zu selten einstellen, bekam man es hier mit doppelter Energie zu tun: ein frisches kindernahes Programm und ein erfahrenes Vertriebsteam, das gemeinsam Marktanteile eroberte.

Wie fast alle im Verlagswesen tätigen Menschen hatte Peter Usborne eine tiefe Abscheu vor der irrwitzigen Idee des Brexit, sah die wirtschaftlichen Folgen mit Grausen, musste sich aber damit abfinden. Peter Usborne hat mir einmal erzählt, was er für die größten Errungenschaften und zugleich noch keineswegs perfekt erreichten Ziele seiner Zeit hält: die Gleichberechtigung der Geschlechter, also die schrittweise Verbesserung der Frauenrechte und die friedliche Zusammenarbeit in Europa.

Wenn man erfassen könnte, welche Bücher die Kinder der Welt am häufigsten immer wieder zur Hand nehmen und lesen, wären die Usborne-Bücher vermutlich unter den meistgenannten. Der Verlag hat heute Niederlassungen in fast allen wichtigen Ländern für die verbreitetsten Sprachen der Welt: USA, Kanada, Brasilien, Spanien, Portugal, Italien, Frankreich, Niederlande, China, Korea, Deutschland.

Eine Buchmesse mit Peter Usborne war immer ein Erlebnis. Man saß auf viel zu niedrigen, viel zu weichen bunten Polstermöbeln in einer Art Tempel, geschmückt mit Prinzessinnen, Giftschlangen, Bohrtürmen oder Klima-Kreislauf-Diagrammen, oft mit der Cheflektorin Jenny Tyler, Lizenzdamen und Vertriebskollegen – und bekam neue Projekte vorgestellt. Peter Usborne hielt immer ein winziges Oktavheft oder Notizbuch bereit, in das er blitzschnell mit kleiner Schrift Einwände, Anregungen, gute Ideen oder Skepsis notierte. Ich hoffe, dass er diese Notizbücher aufgehoben hat – sie gehörten in die National Library of Book Publishing Knowledge.

Als er einmal humpelnd und mit Krückstock auf der Frankfurter Buchmesse erschien, war das nicht etwa einem altersgemäßen Nachlassen der körperlichen Fitness zuzuschreiben, sondern im Gegenteil: einem Sturz vom Pferd. Er hatte es nicht lassen können, noch im fortgeschrittenen Alter das Reiten zu erlernen. Eine weitere, erst spät entdeckte Leidenschaft war das Segelfliegen, auch kein ganz ungefährlicher Sport – und gewissermaßen ein Kontrapunkt zu seinem verlegerischen Schaffen. Segelflugzeuge können nicht mit eigenem Antrieb in die Höhe kommen – Peter Usborne hat den Aufbau seines heute weltweit agierenden Verlags aus eigener Kraft geschafft. Zu diesem Geheimnis »aus eigener Kraft« gehört natürlich das Team. Der Verlag strahlt eine große Anziehungskraft auf junge Talente aus, sie können sich dort entfalten, und viele Mitarbeiter bleiben ein Berufsleben lang dabei – so ergibt sich eine gute Altersmischung. Usborne Publishing ist gut aufgestellt für seine Zukunft. Die Doppelspitze von Peter und Nicola Usborne hat seit Jahren beeindruckend gezeigt, wie man den Generationenwechsel in der Verlagsführung ruckfrei hinbekommen kann. Bis zuletzt praktizierte Peter Usborne seine Rolle im Verlag, und er hat nach wie vor jedes dort erschienene Buch gelesen. Was für ein Glück, 50 Jahre als Verleger im eigenen Verlag gewirkt zu haben!

Wenn der Segelflieger Wind, Wetter und die Topographie des Geländes kennt, kann er lange entspannt und emissionsfrei den Blick auf das Land unter sich genießen. Ich wünsche Peter gelassenes Segeln in den ewigen Winden, dabei immer neugierig auf Neues. Das kann er genießen, denn er weiß seinen Verlag mit Nicola an der Spitze in guten Händen.

 

Kommentare (1)
  1. Ich trauere um einen großen Verleger – in Dankbarkeit, dass ich ihn auch persönlich kennen lernen durfte, als er mir vor Jaren auf Buchmesse enthusiastisch von seinen Deutschland Plänen erzählte. Mich berührt deshalb der treffende Nachruf seiner Tochter, umso mehr.

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