Argument-Verlegerin Else Laudan über die Bedrohung unabhängiger Verlage angesichts der aktuellen Krisen: „Wie soll man davon einen Verlag durchbringen?“

Else Laudan, Verlegerin des Argument Verlags, sieht die unabhängigen Verlage existenziell bedroht. Angesichts der aktuellen Krisen fordert sie mehr Beweglichkeit, Gemeinschaftsdenken – und konstruktiven Dissens. Im September-BuchMarkt sprachen wir mit ihr in unserem Aktuellen Interview dazu:

Else Laudan: „Wir brauchen jetzt Empathie, Beweglichkeit, Fürsorglichkeit. Mir wäre wohler, wenn wir in der Buchbranche gemeinsame Probleme solidarischer und transparenter angingen. Was wir an Institutionen und Instanzen haben, muss daran mitwirken. So wie in der Klimafrage eine Paradigmenverschiebung nötig ist, weil die Ressourcen endlich sind, sollte die Buchbranche wissen, wofür sie auch morgen noch gebraucht wird“

 

BuchMarkt: Krieg, Corona, Klima. Wir erleben gerade drei große Krisen gleichzeitig. Und jetzt kommen noch Angst vor Inflation und knappe Ressourcen hinzu: Mit jedem Tag verliert das Geld an Wert, und wir wissen nicht mal, wie wir im nächsten Winter heizen können. Was bedeutet das für den Buchmarkt, wenn die Leute schon bald jeden Euro zweimal umdrehen werden?

 Else Laudan: Das tun sie doch schon. Also – die Pandemie hat ja, auch infolge der abgesagten Buchmessen, zu einem enormen Vereinzelungs-Effekt in der Branche geführt, da kommt es kaum noch zum direkten Erfahrungsaustausch mit den KollegInnen. Aber als ich Ende Juni bei der Verleihung des Deutschen Verlagspreises in Leipzig endlich mal wieder mit KollegInnen zusammen war, hab ich im vertraulichen Gespräch erfahren, dass ganz viele unabhängige Verlage seit März/April krasse Einbrüche spüren.

Das hätte ich nicht gedacht …

Klar! Weil es niemand offen ausspricht. Darf man ja auch nicht. Weil in unserer Branche die Devise gilt: Wenn’s dir nicht gut geht, musst du leise sein. Sonst fliegst du ganz schnell überall raus. Mir haben KollegInnen erzählt, dass sie in ihrer langjährigen Verlagsgeschichte erstmals einen Monat mit Minus abschließen mussten. Oder nur noch dreistellige Monatsumsätze haben. Dreistellig! Hallo? Wie soll man davon einen Verlag durchbringen? Fakt ist: Seit März 2022 sind die Umsätze in vielen kleinen Verlagen am Boden.

Worauf führen Sie das zurück?

Ich glaube, da greifen drei Dinge ineinander: Das eine ist, dass die Pandemie viele Menschen internet- und Digitalaffiner gemacht hat, weil es während der Lockdowns nötig war, auf Digitales auszuweichen. Dabei sind die LeserInnen nicht den Büchern untreu geworden: 2020 und 2021 haben wir keine schlechten Umsätze gehabt. Wir hatten aber das Problem, keine Veranstaltungen durchführen zu können, was für AutorInnen ganz furchtbar war. Denn wenn sie nicht sehr, sehr gut eingeführt sind, bleiben sie ohne Lesungen unsichtbar mit ihren neuen Büchern und werden von marketingstärkeren Konzerntiteln aus der Wahrnehmung verdrängt.

„Für eine zukunftsfähige Gesellschaft brauchenwir Vielfalt und Engagement und weniger Profitmaxime. Geschichten erzählen ist soziale Arbeit. Bücher machen ist gesellschaftlicher Kitt“

In den Berichten aus der Zeit wirkte es immer so, als würde das Geschäft im Buchhandel trotz Pandemie ganz gut laufen …

 Zwar haben die Leute erst mal mehr Bücher gekauft, und gerade der unabhängige Buchhandel hat’s ja auch furios geschafft, die Liefer- und Verfügbarkeit der Bücher während der Pandemie zu gewährleisten. Mit tollen Ideen, Aktionen usw. Trotzdem gab’s unterm Strich schon eine gewisse Bewegung des Lesepublikums in Richtung Internet.

Inwiefern hat sich seitdem die Lage noch einmal so verschärft?

 Corona hat zwar vereinzelt, aber nicht generell die LeserInnen von den Büchern weggebracht. Aber dann ist Putin in der Ukraine einmarschiert. Da hatten viele Menschen das Gefühl: „Nein, das ist jetzt nicht der Moment, um es sich zu Hause mit einem nachdenklichen Buch gemütlich zu machen!“ Also während in der Pandemie, als Alternative zu anderen Beschäftigungen, verstärkt nach Büchern gegriffen wurde und die Entdeckungslust blühte, ist das durch den Krieg plötzlich umgekippt. Vielleicht brauchten viele etwas, das brachialer als das Lesen die belastenden Gedanken aus dem Kopf schlagen hilft. Verdrängung. Das hat wohl bewirkt, dass Leute eher eine Serie streamen oder sich bei Netflix anmelden, als in den Buchladen zu gehen.

Meiner Wahrnehmung nach trifft dieses hilflose Unbehagen vor allem die erzählende Literatur und die kleinen Verlage. Die Entdeckungslust ist ausgebremst, wenn überhaupt gehen noch Bestseller.

Und der dritte Aspekt?

Die Inflation, die bereits vor der Tür steht. Zumal die Politik ja durchweg beteuert, dass es nichts gibt, was man dagegen tun kann. Die Regierung versucht gar nicht, zugunsten der Menschen, der Gesellschaft einzugreifen und zu regulieren, Megaprofite einzuschränken oder sozial und kulturell relevante Sektoren zu entlasten. Nein, die Geldentwertung wird besprochen wie eine Naturkatastrophe, da müssen wir jetzt alle irgendwie durch.

„Mir haben KollegInnen erzählt, dass sie in ihrer langjährigen Verlagsgeschichte erstmals einen Monat mit Minus abschließen mussten. Oder nur noch dreistellige Monatsumsätze haben. Dreistellig! Hallo? Wie soll man davon einen Verlag durchbringen?“

Es steht also zu befürchten, dass, wenn Gas, Strom, Essen und Benzin teurer werden, die Leute auch weniger Bücher kaufen?

 Das sagen die KundInnen auch selbst. Das schöne Motto „Bücher sind Lebensmittel“ greift, solange es Essen und Heizung gibt. Ich fürchte, die Inflation drängt Menschen, die viel lesen und neue Bücher lieben, auf den antiquarischen Markt oder zum Online Lesen. Bücher kaufen wird bei Verteuerung zu etwas Luxuriösem, wird womöglich gestrichen. Das könnte unsere Branche erneut furchtbar erschüttern. Gelesen wird weiterhin. Aber die Frage, ob man sich ein ladenneues Buch leisten kann und will, dürfte – solange die Inflation anhält – an Bedeutung gewinnen.

Vor allem, wenn die Buchpreise angehoben werden …

 Ja, das verdrängt man auch gern in unserer Branche, dass es eine harte Realität schmalerer Geldbeutel gibt. Was uns jetzt um die Ohren fliegt, ist der Widerspruch zwischen einem Buchhandel, der sagt „Bitte macht endlich die Bücher teurer, liebe Verlage!“ und einem Publikum, das bald nicht mehr in der Lage ist, die Preise für neue Bücher zu zahlen, und dann vielleicht eher im modernen Antiquariat online bestellt.

Entscheidend für die Preisfrage sind auf Verlagsseite auch Herstellungskosten.Wie schlagen die steigenden Papier-und Gaspreise da zu Buche?

Die Papierpreise sind tatsächlich krass gestiegen. Wir haben es aber mit einer Situation zu tun, wo alles ineinander verzahnt ist. Mit dem Papierpreis ist die größere Frage verknüpft, wie wir uns in Bezug auf zunehmende Ressourcenknappheit verhalten? Neulich kam die Meldung, dass Druckereien wie Clausen & Bosse künftig auf Gas verzichten und jetzt ihre Maschinen entsprechend umrüsten. Warum schaffen es die Druckereien in der Buchbranche, ihre Maschinen umzurüsten, und die Großindustrie nicht? Die einen bewegen sich, die anderen erwarten, dass sie von der Politik gepäppelt und beschützt werden. Das ärgert mich.

Wie erklären Sie sich, dass die Druckereien so flexibel sind?

 Ein Grund dafür ist, dass sie schon lange vor Corona durch die Entwicklungen in der Buchbranche Veränderungsdruck hatten, die Verlagerung von standardmäßig großen Auflagen hin zu mehr Titeln mit kleineren Stückzahlen und immer differenzierteren herstellerischen Anforderungen: mehr Nachhaltigkeit, weniger Verpackung, kleine Auflagen in Digitaldruck, Recyclingrohsto.e usw. Druckereien sind schon auf Beweglichkeit getrimmt durch die Erfahrungen der letzten 20 Jahre. Sie wissen, dass sie mitdenken und sich bewegen müssen, weil sie sonst nicht zukunftsfähig sind. Andere Wirtschaftszweige dagegen denken noch, dass sie sich wegen ihrer starken Lobby gar nicht bewegen müssen, und warten auf staatliche Schirme. Aber der Staat sollte das Soziale und das Kreative unterstützen, nicht die behäbigen Profitmacher.

Was würden Sie sich denn seitens der Politik für die Buchbranche wünschen?

Die Politik hat ja vor ein paar Jahren erkannt, dass Bücher im kulturellen Leben der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen und gefördert gehören. Maßnahmen sind ins Leben gerufen worden, Preise, die unabhängige Verlage und Buchläden stärken, das ist gut. Mehr in der Richtung wär wichtig, auch Strukturelles. Die neue Regierung denkt nun darüber nach, an der Mehrwertsteuer zu schrauben, um die Literatur- und Buchkultur zu fördern – aber das ist nicht der Weg! Das stärkt kaum die Kleinverlage und Kulturorte, die sich echt mit Hingabe um Qualität und Vielfalt verdient machen. Gewinner einer Steuerreduzierung wären vor allem große Konzerne mit Riesenauflagen, die dann noch mehr Geld einfahren, das sie in ihre ohnehin überlegene Marktpräsenz stecken können. So kann man die nötige Diversität nicht fördern. Die aktuellen Krisen gehen nicht von selber weg. Für eine zukunftsfähige Gesellschaft brauchen wir Vielfalt und Engagement und weniger Profitmaxime. Geschichten erzählen ist soziale Arbeit. Bücher machen ist gesellschaftlicher Kitt.

Welche Fördermaßnahmen würden Sie denn vorschlagen?

 Vor Corona hätte ich Ihnen sofort ein perfektes Konzept auf den Tisch gelegt, wie die Politik über Veranstaltungs-Förderung richtig viel bewirken kann, was AutorInnen, Verlagen und Buchhandel nützt und das Lesepublikum glücklich macht und bereichert. Indem man z.B. in Stadt und Land – auch in Kleinstädten und auf dem Dorf, überall – Orte für Lesungen einrichtet und mit anständigen Honoraren sponsert, für mehr Begegnung und Austausch zwischen Buchmachenden und Lesenden. Das kann ein Buchladen sein oder ein Kulturzentrum oder eine Kirche … Auch ein schöner Ansatz wäre eine Förderung für Medien, die qualifizierte, diverse und mutige Literaturkritik bieten. Das ist schließlich Gesellschaftsarbeit. Und wird gebraucht!

Weil die Bücher aus den Zeitungen verschwinden?

2020 zu Beginn der Pandemie hatten wir mehr Rezensions-Präsenz als je zuvor, 2021 ist das wieder abgeflaut. Sogar die renommierte Krimibestenliste hat nun keinen Printauftritt mehr, nur noch CrimeMag und Deutschlandfunk, dabei sind gute Krimis doch Fenster zur Welt, wie überhaupt gute Romane das empathische Denken stärken, und das braucht es jetzt. Ich sehe die Printmedien, die ja auch vor großen Problemen stehen, die Literaturkritik immer schlimmer beschneiden. Da wäre ein renommierter Preis für starkes Bücherfeuilleton eine gute Idee, um einer couragierten, kundigen, dünkelfreien Literaturkritik mehr Rückenwind zu verschaffen, egal ob print oder digital oder Rundfunk. Das nützt seriösen Medien, hilft AutorInnen beim Ringen um Sichtbarkeit und stärkt gute Titel unabhängiger Verlage.

Es heißt doch eigentlich, den Unabhängigen gehe es besser als früher?

Wir haben seit ein paar Jahren leichten Aufwind, sind mit unserem Engagement sichtbarer geworden. Aber jetzt, seit März, schwinden die Bestellungen und wachsen die Remissionen. Wir Unabhängigen sind immer die ersten, die ausgelistet werden, wenn der Buchhandel mit dem Rücken an der Wand steht.

Im Moment sind alle in Angststarre und hoffen, das geht vorbei, bevor sie zugeben müssen, dass sie in Gefahr sind. Aber wir sind bereits existenziell bedroht!

Was muss sich innerhalb der Buchbranche Ihrer Ansicht nach ändern?

 Konstruktiv fände ich eine Verschiebung weg von der toxischen Fixierung auf Markterfolg und Bestseller, hin zur Wertschätzung der Arbeit an und mit Büchern als etwas, das die Gesellschaft braucht, unbedingt. Statt „was hat kommerziell Erfolg?“ müssen wir fragen „wie wird ein Miteinander möglich?“ In den aktuellen Krisen braucht es Engagement und Mut, Vielfalt und konstruktiven Dissens, Kritikfähigkeit, Weltkenntnis, Fantasie, Gemeinschaftsdenken. Lesen und über Bücher reden befördert genau das. Wir bräuchten noch viel mehr Vernetzung, runde Tische, geteilte Erkenntnisse. Konkurrenz als Motor ist fatal, ist auch eine Form von Krieg.

Das heißt …?

Wir brauchen jetzt Empathie, Beweglichkeit, Fürsorglichkeit. Mir wäre wohler, wenn wir in der Buchbranche gemeinsame Probleme solidarischer und transparenter angingen. Was wir an Institutionen und Instanzen haben, muss daran mitwirken. So wie in der Klimafrage eine Paradigmenverschiebung nötig ist, weil die Ressourcen endlich sind, sollte die Buchbranche wissen, wofür sie auch morgen noch gebraucht wird.

Die Fragen stellte Jürgen Christen

 

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert