
Ela Meyer erzählt in Furchen und Dellen (GOYA) die Geschichte von alten Freund*innen, von einer Rückkehr und vom Aufwühlen tiefsitzender Emotionen. Anlass für Fragen:
Am 14. August 2024 erscheint Ihr neuer Roman und feiert am 4. September 2024 in Hamburg im Haus 73 Buchpremiere. Was hat Sie dazu bewogen, dem Roman den Titel Furchen und Dellen zu verleihen?
Ela Meyer: Die Furchen und Dellen stehen für die sichtbar gewordenen Erfahrungen und all die Jahre, die uns geprägt, die sich in uns und unsere Körper eingeschrieben haben.
Die WG-ler*innen in Ihrem Roman zeigen auf, dass es neben der traditionellen Kernfamilie auch viele weitere, selbst gewählte Familienformen geben kann. Was ist Ihre persönliche Definition von Familie?
Um es mit den Worten von Chris, der Protagonistin des Romans, zu sagen: „Familie, ein Wort, das Beklemmung und Sehnsucht bei mir auslöste, stand sie doch für Schutz und Gefahr.“

Mir sind meine engen Freund*innen mindestens genauso wichtig wie meine Familie. Sie sind mir Fürsorge, Zugehörigkeit und Gemeinschaft und bilden meine sogenannte Wahlfamilie. Am Begriff der Wahlfamilie wird deutlich, dass auch hier die Familie als Vorbild, als Maß aller Dinge dient, was schade ist, da Freund*innenschaft für sich eine sehr starke Beziehungsform ist, die häufig unterschätzt wird.
„Schon immer hatte mich die Möglichkeit der Reproduktion, die mein Körper mir bot, erschreckt. Sie reizte mich genauso wenig, wie die rein theoretisch in meinem Körper angelegte Möglichkeit, Ballett zu tanzen, auf Berggipfel zu klettern oder mich auf Skiern von eben jenen in die Tiefe zu stürzen.“ Ein in der Gesellschaft noch oft tabuisiertes Thema ist die Situation, wenn Frauen sich bewusst gegen ein Kind entscheiden. Aus welchem Grund haben Sie sich dafür entschieden, diese Thematik aufzugreifen?
Kinderlose Frauen verkörpern in der Gesellschaft nach wie vor einen Mangel. Immer wieder müssen sie sich für ihre Entscheidung gegen ein Kind rechtfertigen. Als wären Schwangerschaft und Geburt der einzig richtige Weg, als wären sie ein Schicksal, dem sich keine Person mit der Möglichkeit zur Reproduktion entziehen darf. Mich nervt bei diesen Diskussionen besonders das Gegeneinander-Ausspielen unterschiedlicher Lebensentwürfe. Ich wünsche mir, dass allen Personen zugestanden wird, sich frei für einen Weg zu entscheiden, ohne dafür verurteilt zu werden – sei es nun für ein Leben mit oder ein Leben ohne Kind/er.
An einer Stelle im Buch heißt es von Chris: „Ich weiß, dass viele Personen jenseits der Wechseljahre darunter leiden, nicht mehr als Frauen oder ›weiblich‹ wahrgenommen zu werden, aber ich fühle mich viel freier.“ Welche persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen haben dazu geführt, dass Sie das Thema Wechseljahre in Ihren Roman mit aufgenommen haben?
Durch meine eigene Menopause wurde mir bewusst, wie wenig Aufmerksamkeit dieses Thema in der Öffentlichkeit bekommt und wie schambehaftet es ist, so wie viele Frauen von früh auf gelernt haben, sich für ihren Körper zu schämen. Die wenigsten Personen verbinden mit dem Begriff Wechseljahre etwas Positives, sondern haben Angst vor den lästigen Symptomen und davor, mit dem Ende ihrer fruchtbaren Phase und dem Älterwerden nicht mehr gesehen und weniger ernst genommen zu werden. Ich persönlich bin erleichtert, mich nicht mehr vom Zyklus und meinen Hormonen durch den Monat schubsen zu lassen.
Es ist wichtig, der Erzählung rund um die Menopause eine andere entgegenzusetzen, eine, in der Personen jenseits der Wechseljahre noch immer Protagonist*innen sind, sichtbar, hörbar, lustvoll oder auch mal lustlos, laut oder leise und im Leben stehend.
Wie auch immer die einzelnen Personen diese Phase erleben, ob als Qual, als Befreiung oder als banal: Es ist an der Zeit, endlich mehr über die Wechseljahre zu reden und sie von ihrem miesen Stigma zu befreien.
In Ihrem Roman widmen Sie sich Themen wie gesellschaftliche Erwartungen an Frauen, Kinderwunsch und gewollte Kinderlosigkeit, unterschiedliche Familienmodelle und Feminismus. An welche Leserschaft richtet sich das Buch also?
Ich fände es toll, wenn sich auch Menschen für diese Themen begeistern, die sich nicht sowieso schon längst damit auseinandersetzen. Abgesehen davon möchte ich mit meinem Roman Personen ansprechen, die sich für die Rolle von und gesellschaftliche Erwartungen an Frauen im Allgemeinen interessieren. Personen, die einen Text über alternative Familienmodelle lesen wollen und darüber, wie befreiend es sein kann, sich von familiären Zuschreibungen zu lösen.
Wie sähe ein Schaufenster zu dem Titel aus?
Schwierige Frage… Da würde ich mir viele weitere Titel wünschen, die sich mit ähnlicher Thematik beschäftigen. Gerne auch Kinder- und Jugendbücher über Empowerment mit Figuren, die einen Weg jenseits ihrer alten oder generell alte Muster finden.