Axel Kahrs über "Klopstock? - Natürlich! Der Dichter, die Naturlyrik und die Grafen von Bernstorff" (Köhring Verlag) „Doch wenn man sich selbst und den Texten Zeit lässt, blühen die Gedichte auf, erstrahlen in neuem Glanz“

Autor Axel Kahrs mit seinem „Klop(p)stock“, das ironische Geschenk mit den eingebrannten Namensbuchstaben wurde zum frühen Ausgangspunkt seiner Studien zum Dichter. Foto: Ch. Beyer

Wenige Tage vor dem 300. Geburtstag des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock erscheint das Buch Klopstock? – Natürlich! Der Dichter, die Naturlyrik und die Grafen von Bernstorff im Köhring Verlag.

Der Autor Axel Kahrs, Verfasser des „Literarischen Führer Deutschland“ im Insel Verlag, geht in seiner Studie neue Wege. Er deutet den Dichter der Empfindsamkeit als Vorläufer des modernen „nature writing“. Der Urheber des pathetischen Versepos „Der Messias“ erscheint so in anderem Licht, weit entfernt vom Klassikerklischee, fast ein moderner Autor und Handelnder im Literaturbetrieb seiner Zeit.

BM Fragende Blicke, irritierte Mienen, ratloses Schulterzucken – all das begegnet einem, wenn man den Namen des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803) nennt. Und nun schreiben Sie auch noch ein Buch über diesen „weißen alten Mann“?

AK In der Tat, Lessings giftiges Bonmot: „Wer wird nicht einen Klopstock loben / doch wird ihn jeder lesen? Nein …“ traf schon zu Lebzeiten des Dichters ins Schwarze. Es ist der typische Fall eines „Klassikers“, dessen gesammelte Werke, in kostbares Leder gebunden, unangetastet hinter den Glasscheiben des Bücherschranks verstauben. Allenfalls seinen Namen kann man als Beleg für Bildung oder Belesenheit fallen lassen: „Wie bekanntlich unsere Dichter Lessing und Klopstock sagten …“. Doch Vorsicht schon beim Familiennamen!

BM Was ist mit dem? Was steckt dahinter?

AK Im „Werther“ schluchzt die junge Lotte am Fenster tränenüberströmt das Wort „Klopstock“ und Werther wirft sich ihr ergriffen zu Füßen. Der Dichtername war die Losung einer ganzen Generation junger Menschen, die Klopstocks Liebesgedichte lasen, vorlasen, abschrieben oder sangen, er war der Star der Szene, ein früher Bestsellerautor. Doch Goethe forderte zur gleichen Zeit, dass endlich der Spott und Hohn über den an Prügel erinnernden Namen Klop(p)stock aufhören sollten – ohne Erfolg. Von Theodor Fontane über Thomas Mann bis zu den heutigen Gegenwartsautoren gibt es Anmerkungen dazu. Und weiterhin wird mit Buchtiteln wie  „Klopstocks Klopskoch“ und der Bratwurst „Rostocker Klopstocker“ geworben.

BM Aber das kann nicht alles gewesen sein, was heute von dem Dichter Klopstock übrig bleibt, oder?

AK Nein, auch wenn man bei ihm Max Frischs Formel von der „durchschlagenden Wirkungslosigkeit eines Klassikers“ durchaus anwenden kann, so finden sich in seinem umfangreichen Werk zahlreiche poetische Texte, die nicht nur die Zeitgenossen inspirierten und bewegten. Besonders seine Gedichte, die Oden und Lieder, waren populär, sie fanden den Weg in die Schulbücher und Anthologien – bis heute. Aber der Zugang ist mehr und mehr erschwert, es ist ein Gang zurück durch drei Jahrhunderte, zu zu einer Sprache, die sich damals neu erfand, empfindsam wurde und lyrische Formen ausprobierte. Doch wenn man sich selbst und den Texten Zeit lässt, blühen die Gedichte auf, erstrahlen in neuem Glanz. Ich habe das in meinem Buch an zwei ausgesuchten Oden gezeigt, es funktioniert immer noch! Klopstock riet zum lauten Lesen, für uns heute ungewöhnlich, aber probieren Sie es einmal. Und schon beim zweiten Lesen klingen die Zeilen auf, die vielen Vertonungen von Bach, Gluck, Schubert und Fanny Hensel, die das ganze 19. Jahrhundert prägten, scheinen nahe.

BM Ihre Studie und die neue große Klopstock-Biografie von Kai Kauffmann aus dem Wallstein Verlag kommen jetzt auf dem Markt. Bei Ihnen fällt auf, dass zahlreiche farbige Abbildungen den Text bereichern. Wollen Sie damit den Lesern den Zugang zum Dichter erleichtern?

AK Außer dem immer wieder gezeigten Porträt des Dichters gibt es viele weitgehend unbesehene Orte, Gegenstände und Dokumente, die das Verständnis seiner Dichtung erleichtern, eine Handschrift, ein Erstdruck, ein Schattenriss oder Gedenkstein. Literatur entstand und lebte damals in einem aufblühenden kulturellen Umfeld. Das war für heutige Klopstock-Leser bislang schwer zu erkennen, denn neben der großen, teuren Gesamtausgabe sind nur wenige kleinere Auswahlbände lieferbar, zum Beispiel bei Reclam. Das aber hat Folgen für den Buchhandel, wie ich zuletzt feststellte. In vielen Buchhandlungen folgte man der Anregung, die drei „K-Autoren“ des Jahres 2024 zu bewerben. Und so füllen sich die Fenster mit den Ausgaben und Biografien von Franz Kafka, der vor hundert Jahren starb, von Immanuel Kant, der seinen 300. Geburtstag feierte, manchmal kam Erich Kästner (50. Todestag) hinzu, aber bei K wie Klopstock war Fehlanzeige: ein Klassiker ohne Buch-Präsenz. Das kann sich nun ändern.

BM Bieten auch die Feiern zum 300. Geburtstag mit ihren Veranstaltungen die Gelegenheit, den Charme Klopstocks zu erfahren?

AK In vielfacher Hinsicht! Außer den Angeboten in Quedlinburg, wo er geboren wurde, und in Hamburg, wo Klopstock begraben liegt, laden das Museum Gleimhaus in Halberstadt, die Stadt Leipzig und Klopstocks Erziehungsanstalt in Schulpforta mit Ausstellungen, Konzerten und Lesungen ein, die Fülle und Vielfalt ist erstaunlich.

BM Und danach kehrt wieder Friedhofsruhe ein?

AK Nein. Jubiläen haben das Potenzial in sich, Altes neu zu sehen, zu lesen und zu diskutieren. Bei meinen Klopstockbegegnungen – sie beginnen früh mit dem ironischen Geschenk eines „Klop(p)stocks“ (siehe Porträtfoto) – lernte ich mehr und mehr einen hochbegabten, sensiblen Menschen kennen, der sich politisch eindeutig engagierte, selbstbewusst auftrat und Mut zeigte, der sich der Natur und ihren Wissenschaften öffnete und daher bewusst von vielen Dichtern der heutigen Zeit immer wieder gelesen und zitiert wird. Auch die neuesten Studien zur Goethezeit, wie die von Jan Philipp Reemtsma, Golo Maurer, Thomas Steinfeld oder Ernst Osterkamp zeigen uns ja exemplarisch, wie Menschen in unruhig bewegten Zeiten, die den unseren ähnlich sind, dachten und handelten – Klopstock war einer von ihnen, und nicht der geringste. Die germanistische Forschung hat sich zuletzt ein wenig zu sehr auf seine lyrischen Formen spezialisiert, nun wird es Zeit, den ganzen Dichter in seiner schöpferischen Fülle zu erkunden.

Das Interview führte Franziska Altepost