Kaffeehaussitzers Netzrückblick Fundstücke aus den Literaturblogs – Februar 2022

Uwe Kalkowski

In den letzten Wochen war ich begreiflicherweise mehr auf Nachrichtenseiten als auf Literaturblogs unterwegs, aber diese Kolumne ausfallen zu lassen, ist natürlich keine Option. Denn zum einen gibt die Beschäftigung mit Literatur Trost und Halt in Zeiten wie diesen. Und ebenso findet man Reaktionen zu Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und die europäische Staatenordnung auch in etlichen Literaturblogs.

Auf Aisthesis hat Lars Hartmann das leidenschaftliche Plädoyer »Noch ist die Ukraine nicht verloren« verfasst. Im Blog Bücheratlas gibt es einen Beitrag über eine Aktion der Georg-Trakl-Gedenkstätte in Salzburg, die Trakls Anti-Kriegs-Gedicht »Die Schwermut« in einer russischen und ukrainischen Übersetzung veröffentlicht hat. Sören Heim schreibt in seinem Blog über den Roman »Die Fünf« von Vladimir Jabotinsky, dessen heimliche Hauptperson die ukrainische Stadt Odessa ist – einst einer der kosmopolitischsten Orte Europas. Und natürlich beschäftigt sich Tino Schlench auf Literaturpalast mit dem Thema – ist es doch ein Blog, der ausschließlich Literatur aus dem deutschen und europäischen Osten präsentiert. Hier ist gerade ein Interview mit Literaturwissenschaftlerin und Autorin Oxana Matiychuk online gegangen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tscherniwzi, zudem Leiterin des Kultur- und Wissenschaftszentrums »Gedankendach«, das die Ukrainisch-deutsche Kulturgesellschaft, das Zentrum für deutschsprachige Studien und das Lektorat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes miteinander vereint.

Kein Beitrag aus dem Februar 2022, aber aus aktuellem Anlass möchte ich an dieser Stelle auf den Thriller »Wende« von Eva Ladipo hinweisen, der vor einigen Jahren in meinem Blog Kaffeehaussitzer vorgestellt wurde. Es geht darum um den Zerfall des Ostblocks nach 1989, um die Energiewende in der Bundesrepublik mit all ihren Lebenslügen und um Moskaus Einflussnahme. Ein Roman, wie gemacht für unsere Zeit.

»Februar 33« von Uwe Wittstock ist für mich eines der besten Bücher des letzten Jahres. Im Literaturblog Aufklappen ist nun ein Interview mit dem Autor zu lesen, in dem u.a. eine Antwort auf die Frage gesucht wird, was Literatur leisten kann, wenn ein Diktator nach der Macht greift.

»Witz« von Joshua Cohen war eine der aufsehenerregendsten Neuerscheinungen der letzten Monate – nicht zuletzt durch die herausragende Übersetzungsleistung von Ulrich Blumenbach. Die wiederum aufsehenerregendste Buchbesprechung – falls man sie noch so nennen mag – gibt es im Blog Bookster HRO. Unbedingt lesen!

Katharina Herrmann bespricht in ihrem Blog Kulturgeschwätz den Roman »Der Erinnerungsfälscher« von Abbas Khider – eine Rezension, nach der man sofort aufstehen möchte, um in der nächsten Buchhandlung dieses Buch zu kaufen. Und so schnell wie möglich zu lesen.

Julian Zündorf stellt in seinem Blog Lector in fabula einen besonderen Klassiker vor: »Das wahre Leben des Sebastian Knight« ist der erste Roman, den Vladimir Nabokov in englischer Sprache verfasst hat; eine Stimme aus dem Exil, geschrieben kurz vor seiner nächsten Flucht.

Eine schöne Neuentdeckung ist für mich der Blog Lausebilder. Er folgt  den Spuren Theodor Fontanes bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg – mit vielen Photos der von ihm erwähnten oder besuchten Orte.

Im Blog Lesen macht glücklich gibt es einen Ausblick auf den kommenden Bücherfrühling. Das Besondere daran: Es handelt sich (fast) ausschließlich um Titel aus unabhängigen Verlagen. Eine spannende Zusammenstellung.

Wer wissen möchte, was Literaturagenten eigentlich machen, dem sei im Blog Litaffin das Interview mit Elisabeth Botros von der Literarischen Agentur Michael Gaeb empfohlen.

»Das Romanverbot ist nur zu begrüßen« von Seikō Itō ist ein Buchtitel, der neugierig macht. Genau wie die Rezension dazu im Blog Literarische Abenteuer.

Im Blog nettebuecherkiste stellt Anette Becker das Buch »Amerikas Gotteskrieger« von Annika Brockschmidt vor – ein Thema, das bei allen aktuellen Verwerfungen nicht aus dem Auge verloren werden sollte und das die Welt wohl leider noch beschäftigen wird.

In seinem Blog Tims Bücher schreibt Blogger Tim Lehman über das Buch »Eskalationen – Wie Hitler die Welt in den Krieg zwang« von Benjamin Carter Hett. Ein spannender Text.

Was eine ideologisch verblendete und völlig aus den Fugen geratene Wissenschaft anzurichten vermag, ist immer wieder erschreckend. Im Blog literaturundfeuilleton wird das Buch »Die Insel des Dr. Moreau« von H.G. Wells vorgestellt und in den historischen Kontext gestellt. Ein sehr lesenswerter Text.

Marion Rave bespricht in ihrem Blog schiefgelesen »Weltliteratur« von Gerrit Wustmann. Der Orientalist geht darin der Frage nach, was in unserer Bezeichnung eigentlich »Weltliteratur« ausmacht – und kommt zu dem Ergebnis, das damit fast immer »Westliteratur« gemeint ist. Ein Buch für alle, die ihre literarische Komfortzone verlassen möchten.

In meinem eigenen Blog herrschte im Februar ziemliche Funkstille. Ausnahme bildet die Besprechung von Lydia Sandgrens »Gesammelte Werke«, für mich eines der besten Bücher der letzten Jahre. Doch die dramatischen Zuspitzungen in der Ukraine, die in Putins Angriffskrieg mündeten, machten und machen mich – wie so viele Menschen weltweit – fassungslos und ließen mich keine Ruhe finden, um einen weiteren Text, eine weitere Buchvorstellung zu schreiben.

Daher gibt es nur eine Möglichkeit, diesen Netzrückblick zu beenden; mit dem Hashtag, der nicht oft genug genannt werden kann: #standwithukraine

Uwe Kalkowski ist seit über 25 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag in Köln. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick«auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. »Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben«, wie er sagt.

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