Endlich wieder live und vor Ort – mit vielen Fotos Begegnungen in Bologna – ein Messebericht

Bilder und Bücher in Bologna

Am vergangenen Donnerstag ist die 59. Kinderbuchmesse in Bologna zu Ende gegangen – nach vier Messetagen in Präsenz inklusive 18 Ausstellungen und mehr als 250 Veranstaltungen. 1.070 Aussteller aus 90 Ländern waren laut Veranstaltern nach Italien gekommen, gezählt wurden 21.432 Besucher, 40 Prozent von ihnen kamen aus dem Ausland. Messechefin Elena Pasoli sagte am Abend des ersten Messetages im Rahmen der Verleihung der Bologna Ragazzi Awards im Palazzo Re Enzo an der Piazza Maggiore, dass sie Tränen in den Augen gehabt habe, als sie am Morgen die sich langsam füllenden Messehallen betreten habe. Erst am 15. Januar hatte man verkünden können, dass nach zwei rein digitalen Messejahren wieder eine Präsenzveranstaltung stattfinden würde.

Bewegend: Elena Pasoli bedankt sich für die Wahrwerdung einer Präsenzmesse

In kürzester Zeit organisierte das BCBF-Team das Event – mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und internationale Entwicklung und der Italien Trade Agency ITA. Die große Dankbarkeit, auch gegenüber den Aussteller*innen, war Elena Pasoli deutlich anzumerken: Eine gute Erfahrung, dass etwas gelungen war, an dem bis zuletzt viele gezweifelt hatten. Auch die Auswahl fremdsprachiger Originalausgaben in der Kinderbuchhandlung Stoppani an der Piazza Maggiore, die zugleich die Messebuchhandlung betreibt, war deutlich geringer als gewohnt – vielleicht hatte man einfach nicht so viele Kaufwillige aus aller Welt erwartet.

Fast wie früher und plötzlich doch ganz anders

Natürlich waren längst nicht alle da, die man gern wiedergesehen hätte. Einige Verlage fehlten ganz, andere waren mit weniger Leuten angereist. Einige hatten auf eigene Stände verzichtet und waren an den Gemeinschaftsständen untergekommen. Wie auch immer: So gut wie jede und jeder, mit dem man sprach, erwähnte, wie sehr man es genieße, endlich wieder Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Hatte man mit der im Gegensatz zu Vorjahren deutlich kleineren Ausgabe der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2021 noch etwas gefremdelt, fühlte sich Bologna fast wie früher an – als Fachbesucher-Messe war sie ja ohnehin stets mit weniger Publikum ausgekommen. Der durchgehend wolkenfreie Himmel tat sein übriges für konstruktive Gespräche: Viele Termine konnten vor den Messehallen stattfinden – dann auch ohne Maske.

Kaum eine Unterhaltung aber ohne einen Blick auf den Krieg gegen die Ukraine. Immer wieder ein Innehalten: Ob man die Wiedersehensfreude mit den Kolleg*innen aus aller Welt genießen dürfe, wenn zur selben Zeit ukrainische Städte bombardiert werden und Menschen ihr Zuhause, ihre Liebsten, ihr Leben verlieren? Die Kinderbuchbranche ist sich der Verpflichtung, geschlossen gegen jede Form von Gewalt aufzutreten, bewusster denn je. Viele Projekte dazu wurden in Bologna diskutiert und auf den Weg gebracht, seien es Bücher, seien es Spendenaktionen – oder eine Kombination aus beidem.

Internationaler Austausch

Und eine internationale Messe öffnet immer wieder die Augen, wenn der Fokus zu eng werden droht: So präsentierte man in Bologna u.a. an einem großen Stand Bücher mit einem „Spotlight on Africa“. Der Astrid Lindgren Gedächtnis-Preis ALMA lenkt die Aufmerksamkeit auf das Werk der Schwedin Eva Lindström, der Hans Christian Andersen-Preis zeichnet die Französin Marie-Aude Murail und die Koreanerin Suzie Lee aus.

Murielle Szac und Nathalie Novi präsentieren ihr Buch „Immenses sonst leurs ailes“

Unter den mit den Bologna Ragazzi Awards gewürdigten Büchern gibt es im Jahrgang 2022 gleich zwei mit Kriegs-Thematik: À qui appartiennent les Nuages? von Mario Brassard und Gérard Dubois, erschienen im kanadischen Verlag La Pastèque, zeigt in einer ganz eigenen Bildsprache ein Mädchen, das sich an den Krieg erinnert. Der Titel hat in der Kategorie Fiction gewonnen. In der Sparte Lyrik geht der Preis an Murielle Szac und Nathalie Novi, für das Buch Immenses sonst leurs ailes, erschienen beim französischen Verlag Editions Bruno Doucey. Bei diesem Projekt gab es die Bilder zuerst, wie die Urheberinnen bei einer Veranstaltung im Author’s Café berichten: Nathalie Novi hat zunächst Porträts syrischer Kinder gezeichnet und auf Instagram gepostet (@nathalienovi) – der Verlag wollte daraus ein Buch machen. Mirielle Szac schrieb ein Gedicht, inspiriert durch die Bilder, sprach mit einem syrischen Autor und wollte auch das glückliche Leben zeigen, das die Kinder vor dem Krieg führten. Ein roter Faden verbindet die Bilder und soll den Betrachter auffordern, an ihm zu ziehen, um die syrischen Kinder in ihrer neuen Heimat willkommen zu heißen.

Raluca Selejan, Hannah Rials, Maren Kleppen

Internationaler Austausch auch bei einer Podiumsdiskussion auf der BCBF+-Bühne: Drei Buchhändlerinnen berichten am Messedienstag von ihren Erfahrungen während der Pandemie. Die Buchhandlung La Doua Bufnite von Raluca Selejan aus Rumänien hatte zuvor keinen Online-Shop; sie war mit ihrem Geschäftspartner stark gefordert: Sie fotografierten Bilderbuchseiten für Eltern, die Lesestoff suchten, schufen eine Abholstation und teilten sich Timisoara auf, um ihre Kund*innen zu beliefern. Auf ihrer Facebook-Seite lasen sie aus Kinderbüchern vor, und das sei auch das einzige gewesen, was sie in dieser Zeit gelesen habe, so Raluca Selejan. Der Ukraine-Krieg führe nun zu einem deutlichen Umsatzrückgang, auf Postings verzichtet sie vorerst, und leider seien auch kaum rumänische Kinderbücher über den Krieg zu finden.

Hannah Rials von Mr B’s Emporium in Bath, UK, bestätigte, dass viel Energie in die sozialen Medien geflossen sei. Vor allem das Abo-Modell habe sich bewährt, mit dem Kund*innen monatlich einen Titel erhalten, der nicht von einem Algorithmus, sondern mit buchhändlerischer Kompetenz ausgewählt wird. „Sprich mit deinen Kunden“, lautet ihr Credo.

Maren Kleppen von der Buchhandlung Per Magnussen Oslo, Norwegen, ermutigte das Auditorium: „Habt keine Angst, neue Sachen auszuprobieren.“ Und vor allem: „Habt keine Angst vor anderen Buchhandlungen und dem Erfahrungsaustausch mit Kollegen: Jeder neue Leser ist ein neuer Leser für jeden von uns.“

Was in den deutschsprachigen Programmen zu erwarten ist
Myriam Lang – mit der Schürze zum Buch

Viel Austausch herrschte am Deutschen Gemeinschaftsstand, den die Frankfurter Buchmesse ausrichtet. Leider konnte ausgerechnet Imke Buhre, die dabei federführend tätig ist, nach all der vorbereitenden Arbeit diesmal krankheitsbedingt nicht dabei sein. Tröstlich vielleicht, dass ihr Team sie bestens vertrat. Sogar der traditionelle Empfang am Dienstag Nachmittag wurde ausgerichtet – vor der Halle 29. Myriam Lang, die den Schweizer Gemeinschaftstand organisiert, hatte die Fläche ebenfalls erweitert. Außerdem freute sie sich darüber, dass ein Buch von ihr im Atlantis-Regal zu bewundern war: Heute kocht das kleine Känguru mit Illustrationen von Kathrin Schär ist ein vegetarisches Kinderkochbuch, mit dem auch Erwachsene ihre Freude haben.

Ob es Trends gab? Vielleicht vor allem die naheliegenden: Kinderbücher, die Krieg und Frieden zu erklären versuchen, sind im Handel gefragt wie nie. Kinderbeschäftigung bleibt in Zeiten, in denen die Pandemie noch nicht ad acta gelegt ist, ein großes Thema. Paula Peretti, die mit ihrer Agentur Peretti am Deutschen Gemeinschaftsstand vertreten war und sowohl Projekte ihrer deutschsprachigen Autor*innen und Illustrator*innen als auch Titel aus Australien, Kanada, USA, UK und Mexiko anbot, beobachtete eine hohe Hunde-Quote in den neuen Geschichten. Eine Folge der langen Lockdowns, in denen ein paar mehr Kinder als sonst ihren Haustier-Wunsch durchsetzen konnten?

Bilderbuch-Projekte
Monika Bilstein

Gleich in Wuppertal sind wir jedenfalls fündig geworden: Peter Hammer-Verlegerin Monika Bilstein freut sich auf So groß wie der Himmel von Brian Lies. Darin geht es um einen Fuchs, der nach dem Tod seines besten Freundes, einem Hund, wieder Fuß fassen muss im eigenen Leben. Sehr schön illustriert und mit einem Happy end, das wirklich glücklich macht.

Tulipan-Verlagsleiterin Anette Beckmann kündigt ein Bilderbuch von Nicole Huppertz und Andrea Stegmeier an, Der Glückshornwunsch, außerdem ein neues Buch von Bettina Obrecht und Julie Völk sowie eine Pappe von Antje Damm.

Bei minedition wird es ein Bilderbuch von Nikolaus Heidelbach geben, Rosalie träumt … (… dass sie ganz andere Eltern hätte) und einen Titel der Schauspielerin Diane Kruger mit Illustrationen von Christina Unzner und dem Arbeitstitel a name from the sky.

Maria Kafitz absolviert ihre erste Bologna-Messe als neue Verlegerin für die Bereiche Belletristik, Kreativ- sowie Kinder- und Jugendbuch bei Freies Geistesleben – aus dem Herbstprogramm hebt sie u.a. ein Projekt von Katharina Bacher und Franziska Zobel hervor: Allein der Titel tut schon gut: Vielleicht wird alles viel leichter. Franziska Zobel betreibt auch das Label www.franzizo.de mit nachhaltiger Papeterie, ein Blick auf die Website lohnt sich. Und sie gestaltet die Cover für die Bücher von David Almond, die bei Freies Geistesleben neu erscheinen bzw. wieder aufgelegt werden – im Herbst folgt nach Bone Music das Jugendbuch Skellig. Maria Kafitz schwärmt außerdem über die Illustratorin Elisabeth Longridge, von der das Bilderbuch I’m ab bit shy im Herbst auf Deutsch unter dem Titel Eine Geschichte von Angst und Mut erscheinen wird.

Bei arsEdition freut sich Verlagsleiterin Dagmar Becker-Göthel auf ein neues Bilderbuch von Sabine Bohlmann und Emilia Dziubak, Du Mama, wie weit ist die Welt? Außerdem wird es einen zweiten Anouk-Band geben, von Peter Maffay und Hendrikje Balsmeyer mit Illustrationen von Joëlle Tourlonias. Sie ist in diesem Jahr wieder mit ihren Kolleginnen und Kollegen angereist: Zusammen mit Judith Allert, Carolin Helm, Stefanie Reich, Markus Lefrançois und Robert Scheffner bildet sie das „Familienzimmer“, heißt: Sie haben für die Messetage in Bologna erneut eine WG gegründet. Alexandra Helm wird krankheitsbedingt schmerzlich vermisst, moses-Lektorin Ina Lutterbüse freut sich dafür auf das neue Kartenspiel mit ihren Illustrationen zu Tieren der Nacht.

Da sind sie wieder: Markus Lefrançois, Stefanie Reich, Joëlle Tourlonias, Carolin Helm, Robert Scheffner

Joëlle Tourlonias hat das „Familienzimmer“ übrigens auch auf einer Doppelseite ihrer neuen Pappen-Reihe Die große Minibibliothek der Wörter bei Annette Betz integriert, Wimmelbücher, in denen jede Menge Arbeit steckt. In Bologna können wir die Akteure nach langer Pause endlich wieder in echt ablichten.

Das „Familienzimmer“ hat Einzug im Wimmelbuch gefunden – Illustration: Joëlle Tourlonias

Deutschsprachige Kinderbücher sind durchaus gefragt bei Lizenznehmern, dennoch ist die Geschichte von Marc-Uwe Klings Neinhorn mit Bildern von Astrid Henn sicher eine besonders erfolgreiche: Carlsen-Lizenzchefin Daniela Steiner ist stolz auf 18 ausländische Ausgaben und freut sich, dass sowohl der Humor der Geschichte als auch die Gestaltung des Buches immer wieder grenzüberschreitend auf große Begeisterung stoßen. Aber auch andere Titel finden ihre Fans, z.B. die Graphic Novels von Reinhard Kleist.

Umgekehrt sind die Titel des Franzosen Benjamin Lacombe ein wichtiger Teil des Programms von Jacoby & Stuart geworden. Die Verleger Nicola Stuart und Edmund Jacoby können im Juli einen neuen Band des international gefeierten Illustrators anbieten, mit einem Text von Sébastien Perez: Die besten Mamas der Welt zeigt Mütter aus dem Tierreich mit all ihren Besonderheiten. Benjamin Lacombe ist nach Bologna gereist und signiert dort wohl hunderte von Bilderbüchern für seine Fans.

Britta Teckentrup ist in diesem Jahr nicht vor Ort. Dafür kann sich Jacoby & Stuart über die erste Bestsellerlisten-Platzierung seiner Verlagsgeschichte freuen: Von Raben und Krähen hat es vor sieben Wochen auf Platz 13 in der Kategorie Hardcover Sachbücher geschafft, und der Titel ist jetzt in der vierten Auflage. Neue Projekte mit Britta Teckentrup sind bereits in der Pipeline. Zum Beispiel eine erneute Zusammenarbeit mit Thomas Harding. Nach Sommerhaus am See werden die beiden weitere Häuser und ihre Geschichten betrachten, der Autor und Journalist war bereits in Amsterdam, um über das Anne Frank-Haus zu recherchieren.

Als wir Thienemann-Esslinger-Verlegerin Bärbel Dorweiler begegnen, strahlt sie, denn kurz zuvor hat sie erste Bilder des neuen Werks von Sydney Smith gesehen, der im vergangenen Jahr mit Unsichtbar in der großen Stadt den Deutschen Jugendliteraturpreis gewann, und in diesem Jahr erneut nominiert ist, mit Ich bin wie der Fluss nach einem Text von Jordan Scott. Der hat auch die Geschichte für Großmutters Garten geliefert. Das neue Bilderbuch soll im Original im Frühjahr 2023 erscheinen, auf Deutsch bei Aladin im Herbst 2023. Bis dahin folgen wir Sydney Smith auf Instagram (@sydneydraws) und erfreuen uns an den überaus verheißungsvollen Einblicken in sein neues Buch, die er dort gibt.

Herwig Bitsche

NordSüd-Verleger Herwig Bitsche kündigt für den Herbst ein internationales Programm mit Büchern u.a. aus Spanien, Italien, Frankreich und Slowenien an. Das Besondere daran: Es sind alles Originalausgaben, die in direkter Zusammenarbeit mit den Künstlern entstanden sind. Zum Beispiel Das goldene Zeitalter. Die Metamorphosen des Ovid, erzählt von Heinz Janisch und bebildert von der Spanierin Ana Sender. Oder ein neues Buch von Maja Kastelic, Adam und seine Tuba. Gerade hat Herwig Bitsche Mariachiara Di Giorgio getroffen, deren Bilder wir am letzten Messetag in der Stadt begegnen: Im Café Zoo in der Strada sind sie ausgestellt, ebenso wie die von Neil Packer. Bilder überall in Bologna.

Auch die Illustratorin Sybille Hein meint: „Ich fühle mich nach einem Tag Messe schon so inspiriert, ich könnte nur noch zeichnen. Es ist etwas ganz Anderes, Illustrationen in echt zu sehen.“ Das ist auf der Messe u.a. in der Eingangshalle möglich, in der Werke von Künstlern im Rahmen des Ehrengast-Auftritts von Sharjah zu sehen sind sowie die ausgewählten Arbeiten der Illustrators Exhibition. Darunter Bilder von Josefine Maier (https://josefine-maier.com), die jüngst das Cover zum Kinderbuch Sommerwaldfunkeln in der Edition Pastorplatz gestaltet hat. Und tatsächlich, Hunde entdecken wir hier auch, etwa in den Illustrationen der Russin Elena Bulay.

Einen besonderen Preis hat Beatrice Alemagna erhalten: Er nennt sich „The Extraordinary Award For an Extraordinary Artist“. Gerade erschienen ist ihr Buch Vi gar till parken nach einem Text von Sara Stridsberg. Wer weiß, ob dieser opulente Titel einen deutschsprachigen Verlag finden wird – solange können wir uns sehr gut mit Beatrice Alemagnas Der kleine große Augenblick trösten, seit kurzem bei Bohem lieferbar. Programmleiterin Annabel Lammers ist diesmal nicht in Bologna, hat aber den Zuschlag für Der erste Schnee von Elham Asadi und Sylvie Bello erhalten, ein Bilderbuch, das im vergangenen Jahr bei den Bologna Ragazzi Awards lobend erwähnt wurde. Es wir im Herbst erscheinen, ebenso wie ein neues Werk von Sonja Danowski: Nachts im Traum.

Und das deutschsprachige Kinder- und Jugendbuch?

Auch erste Blicke aufs Kinder- und Jugendbuch inklusive Sachbuch zeigen einige Highlights in diesem Herbst. Der Pole Piotr Socha, bekannt durch seine Bienen- und Bäume-Bücher bei Gerstenberg, legt mit 260 Seiten über Dreck nach: Verlagsleiterin Daniela Filthaut kündigt Das große Buch vom Dreck. Eine nicht ganz so feine Geschichte von Schmutz, Krankheiten und Hygiene auch als Kulturgeschichte an, die über die Werte in der Gesellschaft reflektiert.

Loewe-Programmleiterin Jeannette Hammerschmidt freut sich, dass nach Loewe Wow! und Loewe Intense in diesem Frühjahr das neue Label Loewe Graphix „genau im richtigen Moment“ gestartet sei. Die Titel Heartstopper von Alice Oseman läuft sogar so erfolgreich, dass er erst Anfang Mai wieder lieferbar sein werden. Denn ja, auch dieses Thema taucht in den Bologna-Gesprächen immer wieder auf: Herstellungsleiterin möchte man gerade lieber nicht sein. Papierknappheit, komplizierte Lieferwege und damit die Unmöglichkeit von belastbaren Kalkulationen aufgrund tagesaktueller Papierpreise: Es ist schon zum Haare Raufen, wenn man einen Titel gut verkaufen könnte, aber erst Monate später einen Drucktermin erhält.

Buchhändler*innen werden also immer häufiger Alternativtitel in die Beratung einfließen lassen müssen, es wäre nicht die erste kreative Aufgabe, die sie in den vergangenen Jahren mit Bravour gelöst hätten. Dass es in diesem Herbst nicht wie gewohnt einen neuen Thriller von Ursula Poznanski geben wird, können sie ihren Kund*innen aber jetzt schon schonend beibringen: Die Autorin gönnt sich eine kurze kreative Auszeit. Loewe bringt zur Überbrückung die Eleria-Trilogie sowie Erebos und Elanus neu als Trade Paperbacks.

Und nur zwei von vielen weiteren Jungendbüchern, auf die man sich freuen kann: Carlsen-Verlegerin Renate Herre kündigt für Ende September einen neuen Titel von Susan Kreller an, Hannas Regen, und von der mit Die Nacht so groß wie wir für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierten Sarah Jäger wird es im Oktober bei rotfuchs ebenfalls etwas Neues geben: Schnabeltier de Luxe.

Ukrainische Bücher in Bologna und überall
Präsent: Ukrainische Bücher auf einer Ausstellungsfläche der Bologna-Messe im Eingangsbereich

Wie aber steht es nun um die Sichtbarkeit ukrainischer Verlage in Bologna? In der Eingangshalle hat man einen Stand aufgebaut, an dem ukrainische Bücher ausgestellt sind. In Halle 26 gibt einen verwaisten Stand in den Farben blau und gelb unter dem Motto #StandWithUkraine. „Dies ist der ukrainische Stand. Dieser Stand ist vorübergehend leer. Er ist leer, weil die Ukrainer an der Front sind“, ist dort zu lesen.

Viele internationale Stände zeigen die blau-gelben Farben der ukrainischen Flagge. Der italienische Verlag La Coccinella hat auf seine Außenwand „Peace No War!!!“ geschrieben und dazu aufgefordert, eine Nachricht zu hinterlassen. Einem Wunsch, dem viele Zeichner*innen gefolgt sind.

Und auch die deutschsprachigen Verlage sind aktiv. Gerstenberg hat mit Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw zwei ukrainische Künstler im Programm, ihre Bilderbücher Sehen und Hören leuchten in Bologna auch in anderen Sprachen aus den Regalen. Den bereits 2015 in Bologna mit einer lobenden Erwähnung bei den Ragazzi Awards ausgezeichneten Titel Als der Krieg nach Rondo kam wollte man ursprünglich im übernächsten Programm auf Deutsch publizieren und hat ihn nun auf diesen Herbst vorgezogen.

Kurz vor der Messe hat rotfuchs-Programmleiterin Christiane Steen ein ukrainisches Bilderbuch eingekauft: Im Original heißt es Maja und ihre Mütter, auf Deutsch wird der Titel Alle meine Freunde lauten – auf 72 Seiten geht es um Regenbogenfamilien. Eine finnische Verlegerin hat eine WhatsApp-Gruppe mit den anderen lizenznehmenden Verlagen gegründet, auf der Messe gab es ein Treffen. Auch aufgrund solcher Momente betont Christiane Steen ihre Dankbarkeit dafür, dass man sich wieder treffen kann.

Dorling Kindersley-Verlagsleiterin Monika Schlitzer reagiert im erwachsenen Sachbuch-Programm auf kulinarischer Ebene: Sie wird das Kochbuch von Olia Hercules wieder auflegen, das ursprünglich Mamuschka hieß. Der neue Titel lautet Mamusia und wird Rezepte aus meiner ukrainischen Heimat enthalten. Das Vorwort wird aktualisiert, lieferbar wird das Kochbuch leider erst ab ca. Juli sein. Das Papier.

Bei NordSüd arbeitet man an einer Bilibri-Ausgabe von Hans de Beers Kleinem Eisbär in der Sprachkombination deutsch-urkrainisch. Es soll nach Fertigstellung kostenlos in Flüchtlingszentren verteilt werden. Damit wolle man auch etwas von den Einnahmen weitergeben, die man durch die stark angezogenen Verkaufszahlen von Titeln wie Six Men von David McKee und Frieden von Esteli Meza verzeichnen kann.

Moritz-Verleger Markus Weber plant, Elzbietas Anti-Kriegsbilderbuch Floris & Maja aus dem Startprogramm von 1994 wieder aufzulegen, nach Ostern soll es erhältlich sein. Auf der Bologna-Messe hat er den Dummie eines weiteren Projekts in der Tasche: Derzeit arbeitet der Moritz Verlag daran, die Ukraine-Landkarte aus Alle Welt. Das Landkartenbuch von Alexandra Mizielinska und Daniel Mizielinski als Poster zu drucken. Auf der Rückseite wird es eine Friedenstaube in blauer und gelber Farbe von Axel Scheffler geben sowie Buchtipps. Über die Barsortimente soll das Plakat in die Buchhandlungen gelangen und von dort aus in die Schulen. Für Lehrer*innen, die nicht so recht wissen, wie sie das Thema angehen sollen, hat die Illustratorin und Autorin Antje Damm Fragen erarbeitet, mit denen Gespräche in Gang gesetzt werden. Jadzia Jedryas vom polnischen Originalverlag des Landkartenbuchs, Dwie Siostry in Warschau, hatte die Aktion gestartet, mit der ukrainische Kinderbücher für geflüchtete Kinder gekauft werden sollen.

Und auch viele Künstler*innen sind längst aktiv geworden: Unter dem Hashtag #BrightonDrawNotWar sind über 36.000 Pfund bei einer Lotterie zusammengekommen, für die Autor*innen und Illustrator*innen signierte Bücher, Drucke sowie Originale zur Verfügung gestellt hatten. In Deutschland hat z.B. Aljoscha Blau Originale und Skizzen aus seinem Atlantis-Buch Die Schlacht von Karlawatsch nach einem Text von Heinz Janisch verkauft, um den Erlös zu spenden, einige wenige sind noch da: https://aljoschablaugallery.bigcartel.com. Katja Spitzer hat 1.000 Euro durch den Verkauf von Drucken aus ihrem Shop an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe spenden können (@katjaspitzer). Kat Menschik versteigert auf Instagram immer wieder Bilder und Objekte (@katmenschik). Kristina Andres hält Kontakt zu den Verlegerinnen des 2019 gegründeten Krokusverlags, und berichtet immer wieder auf ihrem Instagram-Kanal @kristina.andres.malerin. Über Grenzen hinweg werden Buchdateien gesichtet und gesichert, Übersetzungen angefragt.

Und die Illustrator*innen des bereits erwähnten „Familienzimmers“ Alexandra Helm, Joëlle Tourlonias, Markus Lefrançois und Robert Scheffner werden bei der Eröffnung ihrer gemeinsamen Ausstellung „Hoch die Pinsel! Wir spazieren durch das Bilderbuch“ in Seligenstadt am 9. und 10. April Einnahmen aus dem Verkauf von Illustrationen an die Peter Maffay-Stiftung spenden, die sich um traumatisierte Kinder kümmert.

Ein kleiner Ausschnitt aus einer Vielzahl von Aktionen.

Harari und die Unverzichtbarkeit von Buchmessen

Was bleibt, ist dennoch ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber einem Politiker, der Krieg führt. Und so ist ein Höhepunkt der Bologna-Messe der Auftritt von Yuval Noah Harari, dem Autor von Eine kurze Geschichte der Menschheit (Pantheon) und der Sapiens-Graphic Novels bei C.H. Beck. Der israelische Historiker ist gekommen, um sein erstes Kinderbuch-Projekt anzukündigen. Auf Deutsch wird die vierbändige Reihe Unstoppable Us bei dtv erscheinen, und dahinter verbirgt sich weitaus mehr als eine Lizenzausgabe: Vielmehr, so erzählt dtv junior-Programmleiterin Susanne Stark, stecken zweieinhalb Jahre intensive Arbeit auch von deutscher Seite aus darin. Denn dtv hatte in Zusammenarbeit mit C.H.Beck bei einem Text-Pitch in Konkurrenz zu mehreren englischsprachigen Verlagen den Zuschlag erhalten, den „Global Master“ der Kinderbuchreihe mit Harari zu erarbeiten. Er war mit seinem Sapiens-Team dezidiert auf der Suche nach Kinderbuch-Kompetenz gewesen.

Yuval Noah Harari und Susanne Stark bei einem Treffen in Bologna (Foto: privat)

Ein echtes Mammut-Projekt, denn dem grundlegenden Lektorat schließt sich ein muttersprachliches an, dann folgen Sensitivity Reader und mehrere Fakten-Checks. „Das Lektorat der Übersetzung von Birgit Niehaus war dagegen der reinste Spaziergang“, meint Susanne Stark. Der erste Band, Wie wir Menschen die Welt eroberten, wird im Herbst erscheinen, 204 Seiten stark, vierfarbig von Ricard Zaplana Ruiz illustriert, für Kinder ab etwa zehn Jahren.

Und auch, wenn man Hararis Auftritt in Bologna als Werbeveranstaltung ansehen kann: Als er im Illustrators Café spricht, klingt manches, das uns aktuell unbegreiflich erscheint, für einen Moment lang so, als ob man doch etwas ändern könnte. Indem man liest.

Geschichte sei langweilig, wenn man sie so erzähle, als sei das alles in der Vergangenheit geschehen, meint der Autor. Interessant werde es, wenn man mit den Problemen beginne, mit denen wir in der Gegenwart konfrontiert sind – und wenn man Kindern Fragen stelle, anstatt sie zu belehren. Eine könne z.B. lauten: Wie wirst du mit einem Tyrann fertig?

Gleich darauf wird das Interview auf der Bühne in andere Bahnen gelenkt, aber eine Zuhörerin nimmt später den Faden wieder auf, als um Fragen aus dem Publikum gebeten wird: Wie also könne es sein, dass ein einziger Mensch bzw. eine kleine Gruppe von Menschen so viele andere in Angst und Schrecken versetzt und Leid über sie bringt?

Harari antwortet: Ein Schlüssel dazu, sozusagen das Prinzip „Dictatorship 1.01“ sei, Menschen davon abzuhalten, sich gegenseitig zu vertrauen. Denn dann könnten sie sich nicht mehr gegen den Diktator verbünden. Geschichte sei eine der gefährlichsten Disziplinen für ein Regime: Indem Menschen Geschichte studieren, werden sie befähigt, Fragen zu stellen.

Im sonst meist von einem Grundgemurmel erfüllten Illustrators Cafe ist es zu diesem Zeitpunkt längst auffallend still geworden. Und das ist eine dieser Beobachtungen, die man nur machen kann, wenn man sich live auf eine Messe, in eine Menschenmenge begibt. Sicher sind auch in diesem Jahr ganz viele Messetermine online gelaufen, meint mancher, das funktioniere doch ganz hervorragend so, und die Umwelt schone man dadurch auch noch.

Aber die Erfolge dieser Online-Termine basieren zumeist darauf, dass man sich aus früheren Jahren persönlich kennt – durch Messen. Dass man Vertrauen geschaffen hat bei persönlichen Begegnungen, und vielleicht auch durch gemeinsame Erlebnisse wie ein Abendessen, eine Cola vor den Messehallen, eine zufällige Begegnung vor der Abreise am Flughafen oder die gemeinsame Begeisterung für Bilder, die man entdeckt hat. Auf Buchmessen werden nicht nur Geschichten verkauft, sie sind auch der Ort, an dem sie entstehen.

Wir bedanken uns für alle Gespräche und Begegnungen, sind traurig, dass wir zugleich viele verpasst haben, über die wir auch gern berichtet hätten. Das holen wir nach. Spätestens in Frankfurt. Abgemacht?

Susanna Wengeler

 

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