33. avj-Praxisseminar in Fulda Die Superkraft der persönlichen Kund:innenbeziehung

Rund 20 Teilnehmer:innen trafen sich von Freitag bis Sonntag in Fulda zum 33. avj-Praxisseminar unter dem Titel „Kund:innen finden, gewinnen und halten. Strategien für Buchhandlungen und Verlage“. Viele darunter kannten das Seminar bereits aus früheren Jahren, durch die erstmalige Vergabe von zwei Wildcards versucht die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) aber auch, neue Gesichter für das Format zu begeistern. In diesem Jahr waren Heike Ullmann (bücherwurm, Braunnschweig) und Emily Brodtmann (Arctis Verlag) die Gewinnerinnen.

Emily Brodtmann, Heike Ullmann

Die Begrüßungsrunde, eingeläutet durch Barbara Thieme (Dorling Kindersley) und Bernd Herzog (frechverlag) vom Vorstand der avj, machte deutlich: Man freute sich auf neue Ideen und den Austausch miteinander. Die vergangenen Jahre waren für alle anstrengend, Kund:innen seien fordernder, anstrengender und unentschiedener als früher geworden – das von avj-Geschäftsleiterin Laura Simanjuntak organisierte Praxisseminar erschien mancher Teilnehmerin wie Kurzurlaub und Klassentreffen zugleich. Eine zentrale Frage formulierte Gabi van Wahden (Buchhandlung van Wahden, Wermelskirchen): „Wo setze ich meine Energie am sinnvollsten ein?“

Diskussionen in Fulda

„Young Adult ist ein Segen“

Stephanie Lange, Vertriebsberaterin und Coach, gestaltete das Programm für den Freitagnachmittag sowie den Samstag. Auch sie stellte ein verändertes Kund:innenverhalten dar. Buchhändler:innen würden im Wettbewerb vor allem um Zeitbudgets ihrer Kundschaft ringen. Produktorientierung sei schon lange weg – „Wir alle habend genügend Bücher zu Hause.“ Vielmehr gehe es um das Erlebnis, in einer Buchhandlung zu sein. Dabei sei die Gefahr, Kund:innen zu verlieren, deutlich gestiegen, weil sie mehr Einkaufsmöglichkeiten haben und mobiler sind. Besonders in kleinen Ortschaften werde leidenschaftlich online geshoppt.

Stephanie Lange

Nach jahrelanger Abwanderung von Leser:innen gibt es allerdings auch gute Nachrichten: Bei den 16- bis 29-Jährigen holt sich der Buchhandel laut jüngster Marktforschung Umsätze zurück. Auch wenn die Reichweite sinke, nehme zugleich die Kaufintesität zu. „Young Adult ist ein Segen“, vor allem Filialisten engagieren sich auf BookTok.

Aber in welcher Altersgruppe beginnt BookTok, und wo stellt man die entsprechenden Titel hin? Ist die gewohnte Art, Buchhandlungen einzurichten überhaupt noch zeitgemäß? Schließlich widersprechen Regale dem Ansatz, inspirieren zu wollen, Autor:innenalphabete helfen vor allem Buchhändler:innen weiter, und die Sortierung nach Altersgruppen wird schwieriger, weil sich Menschen unterschiedlich entwickeln. „Eine Kinder- und Jugendbuchabteilung einzurichten ist sehr kompliziert“, so Stephanie Lange, und je kleiner die Fläche, desto komplexer die Herausforderung.

„Die Zielgruppe ist überall, auch in kleineren Buchhandlungen“

Christina Wätjen, Sandra Rudel, Bernd Herzog, Laura Simanjuntak, Simon Marshall

In Arbeitsgruppen diskutierten die Teilnehmer:innen verschiedene Varianten, eine Kinderbuch-Fläche zu strukturieren. Dabei kam auch die Frage nach dem Unterschied zwischen Young und New Adult auf. Da traf es sich zum einen gut, dass sich Junior-Lektorin Emily Brodtmann bei Arctis längst in die Thematik eingearbeitet hat und Begrifflichkeiten erklären konnte. Zum anderen hatte Christina Wätjen, Vertriebsleiterin Kinder- und Jugendbuch in der Verlagsgruppe Penguin Random House, dazu eine Präsentation für die IGUS-Tagung am Sonntag in Frankfurt am Main vorbereitet, die beim avj-Praxisseminar am Samstag spontan ins Programm eingebaut wurde.

Christina Wätjen

Sie betrachtet Young Adult und New Adult auch im Kontext von Fantasy und Manga. „New Adult sollte sich nicht im Jugendbuch abspielen, sondern in Richtung Belletristik.“ Die Zielgruppe sei überall, auch in kleineren Buchhandlungen, denn die Leser:innen gehen in die Buchhandlungen, posten Fotos von sich mit frisch erworbenen Buch, wollen über Inhalte und Autor:innen reden. „Das spielt sich nicht im Netz, sondern auf der Buchhandelsfläche ab.“ Die wirtschaftliche Relevanz zeige auch ein Blick auf die Spiegel Bestseller Liste Paperback: Zuletzt waren dort unter den ersten 20 Titeln sieben aus dem Bereich New Adult.

„Der gemeine Buchhändler ist sehr genügsam in der Haltung!“

Wie aber können vor allem kleinere und mittelgroße Buchhandlungen effizient und vertrauensvoll mit Verlagen zusammenarbeiten? Dazu gab es Impulse von Uschi Tritschler (Buchhandlung Stritter, Heilbronn). „Bei der Projektentwicklung müsste viel früher auf die Ressource Buchhändler zurückgegriffen werden“, war eine ihrer Anregungen. „Leider sind Lehrer nicht das Allheilmittel bei der Planung eines Produkts für den Nachmittagsmarkt oder auch bei Erstlesereihen. Beruft mehr Händlerbeiräte und pflegt diese dann auch. Der gemeine Buchhändler ist sehr genügsam in der Haltung!“

Ein Fazit von Uschi Tritschler lautete: „Es wäre schön, wenn die Kommunikation zwischen Handel und Verlag transparenter werden könnte. Redet einfach mehr über eure Probleme im Verlag. Manche Zusammenhänge sind vielen Buchhändlern einfach nicht bekannt. Diese Infos könnten uns des öfteren mehr schlagkräftige Argumente für den Verkauf liefern.“

Esther Hoffmann, Uschi Tritschler

Esther Hoffmann, Verkaufsleitung Kinder- und Jugendbuch in den S. Fischer Verlagen, ging auf einige Punkte ein und stellte die Verlagssicht dar. „Das Tolle am mittelständischen Buchhandel ist seine Diversität. Wir wissen, dass dort ganz viele Bestseller gemacht werden – dieser Bedeutung sind wir uns bewusst.“ Allerdings sei es für Verlage schwierig, wenn keine Vertreter:innen mehr empfangen würden, wenn die Bezugswege nicht mehr nachvollziehbar seien – „und außerdem schicken wir nie das richtige Leseexemplar.“

Themen, die in Einzelaspekten in der Runde vertieft wurden. Heike Kramer, Verlagsvertreterin u.a. für cbj in der Verlagsgruppe Penguin Random House, fasste es so zusammen: „Konstanz und langjähriges Vertrauen sind die Basis einer guten Zusammenarbeit. Das ist wie bei der Leseförderung: Den Erfolg kann man nicht immer sofort sehen.“

„Ein ePub kann man nicht fotografieren“

Das Sonntagsprogramm gestaltete Maike Michelis, gelernte Buchhändlerin, die seit November 2019 für dtv junior/dtv Reihe Hanser reist und auch die Kinderbuch-Programme von Antje Kunstmann, Klett Kinderbuch Verlag, Der Audio Verlag und Usborne vertritt. Nicht erst seit ihrer Fachwirt-Ausbildung in eCommerce beschäftigt sie sich ausführlich mit digitalen Möglichkeiten des Verkaufs.

Maike Michelis

Auch sie ging auf die Umsatzzuwächse bei einer verloren geglaubten Zielgruppe durch das BookTok-Phänomen ein. Eine Idee dazu: jungen Kund:innen in Absprache mit Verlagen den Service anzubieten, Novitäten mit Farbschnitt-Garantie vorzumerken.

Maike Michelis stellte u.a. Stärken und Schwächen von White Label Shops vor sowie die Vorzüge einer Landing Page, auf der man ausführlicher Kund:innenservice und Mehrwerte einer Buchhandlung kommunizieren könne. Dabei seien SEO-taugliche Texte sinnvoll, die man mit ChatGPT überprüfen kann.

Trotz aller digitaler Herausforderungen gab es einige Punkte, die Mut machen. Zwar seien die Erwartungen von Kund:innen zwar immer weiter gestiegen, z.B. durch das Angebot von Amazon prime. Zugleich können man davon aber auch lernen und z.B. bei Büchertischen die Bezahlmöglichkeit via PayPal anbieten. Und: Dass BookTok Umsätze mit gedruckten Büchern in den Buchhandel bringt, liegt auch daran, dass ein ePub nicht fototauglich ist. „Es kann eine wunderbare Verbindung zwischen analog und digital geben, und die persönliche Kundenbeziehung ist dabei die Superkraft.“

Klassentreffen 2023

„Eigentlich sollten es ja alle wissen“

Das avj-Praxisseminar endete mit Diskussionen in Arbeitsgruppen über Ansätze, wie Kund:innenbindung und -service durch Instrumente des eCommerce verbessert werden können. Wie gewohnt fuhren die Teilnehmer:innen hoch motiviert mit mehr Ideen nach Hause, als sie möglicherweise realisieren können. Unter dem #avjpraxisseminar23 lässt sich einen Tag später aber schon eine Umsetzung sehen, die Sven Puchelt (Buchhandlung LiteraDur, Waldbronn) noch aus dem Vorjahr auf der Liste hatte und an die er an diesem Wochenende erinnert wurde: Ein QR-Code an der Ladentür, der außerhalb der Ladenöffnungszeiten direkt in den Webshop führt. „Eigentlich sollten es ja alle wissen, aber es schadet bestimmt nicht, immer wieder darauf hinzuweisen.“

Susanna Wengeler

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert