Gaby Marx über ihr Category Management – Konzept für Buchhandlungen „Die buchhändlerische Warengruppensystematik ist überholt. Und: Nicht der Belletristik, dem Sachbuch gehört die Zukunft im Buchhandel“

Was Käufer brauchen, sind Kaufimpulse zu „ihren“ Themen. Hier setzt das Category Management-Konzept von Gaby Marx an, mit dem jede Buchhandlung ihr Angebot an den Kundeninteressen ausrichten kann. Sie sagt: „Das geht auch per Newsletter“, und das war Anlass für unser heutiges Sonntagsgespräch:

Gaby Marx: „Dem Sachbuch im Buchhandel gehört die Zukunft, die Belletristik bietet kein Wachstum, nur noch Rentabilitätspotenzial. Vor allem die rentablen Bestseller gibt es überall“ (Mehr Infos zum Thema CM und  Einführungsvideo durch Klick auf Foto)

Bin ich der Einzige, der über den Begriff Category Management im Buchhandel stolpert? Was bieten Sie konkret an? 

Gaby Marx: Category Management ist nichts anderes als eine Sortimentsstruktur, die die Interessen der Kunden abbildet und mit der sich Themen gestalten lassen. Die überholte, buchhändlerische Warengruppensystematik ist dafür nicht geeignet. Sie eignet sich auch künftig nicht mehr für die Struktur einer Buchhandlung. Belletristik gibt es überall, Sachbücher für die wirklichen Kundeniteressen machen künftig eine Buchhandlung aus.

Wie sieht denn Ihre Struktur aus, die die Themen der Kunden spiegelt?

Ich habe vor mehr als zehn Jahren angefangen, systematisch Novis und relevante Backlist über Excellisten so in Rubriken zu erfassen, dass sie vom Endverbraucher verstanden werden. Diese habe ich immer weiter ausgebaut und aktualisiert bis hin zu den derzeit 17 Leitthemen mit aktuell 210 Unterthemen für unterschiedlichste Interessen, von Geschichte über Gesellschaft, Natur bis zu den populären Wissenschaften und aus ca. 200 Verlagen.

Und was bedeutet das in der Praxis? 

Der Buchhändler denkt über ein geeignetes Thema für den nächsten newsletter nach. Innerhalb der 17 Leitthemen kann er sofort sehen, welche Titel in Kürze erscheinen. Basistitel sind markiert und potenzielle Toptitel zusätzlich farblich unterlegt. Ein solcher ist z.B. im Leitthema Geschichte „Roland G. Gerste, die Heilung der Welt“. Dieser eignet sich als Aufhänger für ein allgemeines Geschichtsthema. Oder man macht ein spezielles Thema Pandemien daraus und ergänzt mit Titeln aus dem Leitthema Gesellschaft. Und das alles hat man übersichtlich auf einen Blick.

Sie schlagen  Newsletter für die Kunden mit wöchentliche Themen vor…?

Ja, und die sind in kürzester Zeit geplant und umgesetzt. Spannend werden Themen dann, wenn sie sehr klein sind. Der Kunde muss Lust bekommen, den nächsten newsletter zu lesen. Je allgemeiner die Themen sind, umso beliebiger sind sie, natürlich auch von der Titelauswahl, es reduziert sich dann zu oft auf die Toptitel. Mein Prinzip bei der Themengestaltung: so klein wie möglich und so groß wie für eine umsatzrelevante Zielgruppe notwendig.

Was kriegt Ihr Buchhändler von Ihnen?

Sie oder er bekommt  von mir halbjährlich ein komplett überarbeitetes Sachthemensortiment aus Novis und Backlist, dazu monatliche Ergänzungen von Themen und Titeln. Wichtige Backlisttitel und Novis sind hervorgehoben. Die übersichtliche Darstellung mit Erscheinungsterminen macht die Planung der Themen mit Novis als Blickfang noch leichter. Darüber hinaus sind die Listen für die Arbeit am Regal ausdruckbar. Derzeit umfasst das Gesamtsortiment aus 17 Leitthemen 210 Unterthemen mit knapp 4000 Titeln aus ca. 200 Verlagen und Imprints.

Mich haben Sie überzeugt, aber Sie müssen dafür immer noch Überzeugungsarbeit leisten?  

Wir haben in der Branche immer noch eine starke Fixierung auf belletristische Inhalte.  Das führt in vielen Buchhandlungen zu einem Ergebnis- und Rentabilitätsproblem, auch schon vor Corona, denn weder in der Belletristik noch im Kinderbuch werden die Lagerumschlagspotenziale ausgeschöpft. Die Sachthemen haben sich stark verändert, auch die Darstellung ist sehr unterhaltend und erzählerisch geworden, was in Verbindung mit attraktiven Themen zu einem hohen Kundeninteresse führt.

Und dieses Potenzial wird in den meisten Buchhandlungen nicht  ausgeschöpft?

Nicht annähernd! Dem Sachbuch im Buchhandel gehört die Zukunft, die Belletristik bietet kein Wachstum, nur noch Rentabilitätspotenzial. Vor allem die Bestseller werden immer mehr zum Mitnahmeprodukt, online und in den Lebensmittelmärkten. Das wird vom Kunden gerade gelernt. Davon abgesehen ist es für mich auch nach vierzig Jahren im Buchhandel immer noch überraschend, wie krisen-resistent der Buchhandel letztlich ist. Auch für die weitere Zukunft hat der Buchhandel gute Aussichten.

Worauf stützt sich Ihre Überzeugung?

Der Buchhandel wird derzeit von einer Welle der Sympathie getragen. Dazu kommt, dass vielen Menschen mehr Lesezeit zur Verfügung steht, das zeigt sich am schnellen, sogar stapelweisen Kauf von Büchern. Ich vermute, dass das alles Zielkäufe sind, die sich die Kunden jetzt noch stärker online erfüllen werden. Allein über die shops der Barsortimente können Buchhandlungen aber nicht rentabel betrieben werden. Was fehlt, sind die hoch rentablen Impulskäufe, die bisher beim Besuch der Buchhandlung entstanden.

Hier ist aber zu befürchten, dass auch im Buchhandel die Frequenz zurück geht, weil der übrige Einzelhandel mehr und mehr schwindet.

Ja, das sehe ich auch so. Was es also dauerhaft braucht, sind Impulse für den zusätzlichen digitalen Kauf. Impulskäufe in den shops sind aber bisher wenig komfortabel oder ergeben, wenn man gezielt in Sachthemen stöbern will, regelmäßig unsinnige Suchergebnisse. Das erlebe ich bei meiner eigenen Recherche jeden Tag und das erleben Endkunden auch jeden Tag.

Woran liegt das?

Die WG-Systematik, mit der die shops arbeiten, ist aus den 90er Jahren und unterscheidet nicht zwischen Sach- und Fachbuch. Seit 2007 gibt es zwar eine neuere Systematik, diese wurde aber von den großen Barsortimenten leider nicht umgesetzt. In den Läden kommt das Problem hinzu, dass die Mitarbeiter mit dem Bewältigen der halbjährlichen Novitätenflut in Belletristik und Kinderbuch mehr als ausgelastet sind. Für die Sachthemen bleibt da wenig Zeit.

Und deshalb ….

… habe ich in der Folge des 2006 von mir entwickelten Ladenkonzeptes Lebensqualität vor etwa 10 Jahren angefangen, nicht nur die Themen aus Sicht des Kunden zusammenzustellen, sondern darüber hinaus auch halbjährlich mit Titeln zu füllen und auch zu bereinigen. Entstanden sind daraus die aktuell 17 Leitthemen, zu denen Kulturgeschichte ebenso gehört wie Natur erleben oder aktuell Corona-Gesellschaft. Die 17 Lebensthemen sind recht stabil, weil sie sehr langfristige Interessen abbilden, dazu gehören solche, die als WG bereits bekannt waren und neuere wie „Natur erleben“ oder „Nachhaltig leben“. Die Unterthemen verändern sich schneller, da kommen von Halbjahr zu Halbjahr immer neue hinzu. Dabei versuche ich beginnende Trendthemen möglichst schon über die ersten Titel zu erfassen.

Die Zeitfracht Verbundgruppe MENSCH hatte auch mit Ihrem Konzept Lebensthemen gearbeitet.

Ja, die Sortimentsstruktur und deren inhaltliche Umsetzung stammte bis Ende 2020 von mir. Jetzt wurde die Zusammenarbeit beendet und kürzlich erfolgte die Umbenennung in Buch&CO.  Die Sortimentsstruktur mit den Lebensthemen steht jetzt nur noch bei mir direkt zur Verfügung.

Ihre Erwartung?

Ich gehe davon aus, dass der Lockdown bis Ostern andauern wird, und was den nächsten Herbst angeht, da kann man nur hoffen. Der nur über die Zielkäufe zu erwartende Umsatz reicht aber wirtschaftlich in keiner Buchhandlung aus und macht zudem sehr viel mehr Arbeit. Die Impulskäufe werden daher dringend benötigt und wir müssen uns darauf einstellen, dass diese Impulse zumindest über etliche Monate digital erfolgen müssen.

Ihre Empfehlung?

Ziel muss es sein, über digitale Impulse zusätzliche Käufe auszulösen. Zudem sollten Impulskäufe über den Buchhändler besser gesteuert werden, also Titel angeboten werden, die nicht nur Umsatz bringen, sondern auch einen Rohertrag, der über die Kostendeckung hinausgeht. Im Kern geht es also darum, das eigene Sortiment am Lager besser zu kommunizieren und zu verkaufen. Online ist ein allgemeines und damit thematisch sehr breites Sortiment denkbar ungünstig, ideal wäre die Konzentration auf bestimmte Themen, die dann auch konsequent kommuniziert werden. Dabei sollte man aufhören, über Warengruppen  nachzudenken. Bei einem neuen Frank Schätzing ist es ziemlich egal, ob er der WG Belletristik oder Sachbuch zugeordnet wird, entscheidend ist das Thema. Meine Empfehlung ist die Kommunikation von Themen über wöchentliche newsletter mit 5-8 Titeln und über die website bzw. einen erweiterten shop.

Mit den Standard-onlineshops war der Buchhandel dem übrigen Handel weit voraus, in den USA macht jetzt erst Bookshop.org als Alternative zu Amazon Furore.

„Der nur über die Zielkäufe zu erwartende Umsatz reicht aber wirtschaftlich in keiner Buchhandlung aus und macht zudem sehr viel mehr Arbeit. Ziel muss es sein, über digitale Impulse zusätzliche Käufe auszulösen. Zudem sollten Impulskäufe über den Buchhändler besser gesteuert werden, also Titel angeboten werden, die nicht nur Umsatz bringen, sondern auch einen Rohertrag, der über die Kostendeckung hinausgeht. Im Kern geht es also darum, das eigene Sortiment am Lager besser zu kommunizieren und zu verkaufen“

Ja, bei uns konnte der Buchhandel dank der Barsortimente schon in den 90er Jahren online gehen. Diese Standardshops sind halt nur reduziert auf die Funktionalität eines zusätzlichen Bestellwegs, aber  funktionieren ja auch wunderbar.

Sie erreichen aber nur die Zielkäufer.

Hier setzt auch mein Konzept an, das dem Buchhändler eine inhaltliche Kompetenz in Sachthemen zur Verfügung stellt, die er sich allein aus zeitlichen Gründen gar nicht selbst erarbeiten kann. Mittlerweile ist ein qualifizierter Onlineshop in allen Branchen die Messlatte für ein modernes Unternehmen und sollte die Qualität des Unternehmensangebotes widerspiegeln. Im Buchhandel wundert sich der Endverbraucher über die Diskrepanz zwischen den Produkten des Ladens und denen des shops.

Standardshops sind also für die Zukunft …

… nicht mehr für die alleinige Lösung, zumindest müsste der Kunde in den Themen seine Buchhandlung wiedererkennen. Das erfordert dann allerdings auch eine Konkretisierung des Sortiments im Laden – weg vom allgemeinen Sortiment mit zwei Titeln aus jedem Thema hin zu einer echten Kompetenz in einem definierten Themenspektrum. Hier setzt auch mein Konzept an, dass diese inhaltliche Kompetenz in Sachthemen zur Verfügung stellt, die eine Buchhandlung sich allein aus zeitlichen Gründen gar nicht selbst erarbeiten kann. 

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

 

 

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