"Über die Geschichte ihrer bzw. der Edition Nautilus ließe sich viel mehr schreiben" Hanna Mittelstädt (70)

Heute wird Hanna Mittelstädt siebzig Jahre alt. Der langjährigen Nautilus -Verlegerin gratuliert Konkursbuch -Verlegerin Claudia Gehrke:

Hanna Mittelstädt: „Nicht zu zögern, sondern einfach machen und gestalten“ (c) Anne Vaupel

Mit dreiundzwanzig wurde sie Verlegerin. Verlegerin zu werden war aber nicht geplant. Zusammen mit Lutz Schulenburg und Pierre Gallissaires ging es anfangs darum, politische Flugschriften und Manifeste herauszubringen. Darunter auch ein provokantes feministisches Manifest zum Thema Freiheit und Sex, eine Utopie, über die Hanna Mittelstädt im kommenden Jahrbuch (Mein heimliches Auge. Das Jahrbuch der Erotik XXXVI) schreibt. Als Verlag ins Handelsregister eingetragen wurde die Edition Nautilus am 1. April 1974, auf den Tag genau vier Jahre vor unserer Verlagsgründung.

Wir liefen uns ab und zu über den Weg, vor allem auf Buchmessen. Ich betrachtete Hanna Mittelstädt wie eine ferne, große Verlagsschwester, die ähnlich wie ich aus einem intensiven politischen Debattenzusammenhang heraus zum Verlegen gekommen war, und bewunderte ihre klare, revolutionäre Haltung, die ihr bis heute geblieben ist. (Oft ist die Aufbruchszeit der 60er, 70er Jahre nur noch in Anekdoten über eine „wilde Vergangenheit“ vorhanden).  Nicht still zu sein, kritisch und reflektiert Missstände zu benennen, Verbesserungen einzufordern, sich für andere einsetzen, ohne die eigene Lebenslust hintanzustellen. Nicht zu zögern, sondern einfach machen und gestalten, das ist Hanna.

Über die Geschichte ihrer bzw. der Edition Nautilus ließe sich viel schreiben. Hanna Mittelstädt selbst schreibt ein Buch über das Abenteuer Verlag. Lange Zeit gerieten sie immer wieder an den Rand des (ökonomischen) Abgrunds, wussten oft nicht, wie Druckereirechnungen oder die nächsten Mieten bezahlt werden können. Sie steigerten sich ohne jede Absicherung durch Förderung etc. in ein teures Liebhaber/innenprojekt hinein: die x-bändige Werkausgabe eines revolutionären, expressionistischen Autors, Franz Jung. (Sich in wahnsinnsteure Projekte zu stürzen, ohne jeden Gedanken an Absicherung, das kann ich gut nachvollziehen, der Inhalt erscheint einem so wichtig, dass alle ökonomische Vernunft über Bord geworfen wird).

Doch gleichzeitig holten sie von Anfang an auch ökonomisch erfolgreiche Projekte in den Verlag, unterhaltsame „Kleinigkeiten“ wie „Dinner for one“ in mehreren Ausgaben, dazu viele groteske, anarchistische, dadaistische Literatur, ein Leben ohne Herrschaft in sprachlicher Hochkunst. Sie verlegen auch Krimis –  und hier überrollte sie der überraschende Wahnsinnserfolg des Romans „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel. Mir scheint, auch mit diesem enormen Gewinn konnten Hanna und der Verlag gut umgehen (ich kenne auch andere Beispiele): Das Geld wurde sinnvoll umgesetzt in moderate Vergrößerung und neue Räumlichkeiten …  Die Tannödautorin verließ sie nach zwei Erfolgsbüchern, die beide lange auf Platz 1 und 2 der Bestsellerliste standen, wohl in der Hoffnung, in einem Großverlag noch mehr Erfolg haben zu können (ich habe seitdem nichts mehr von dieser Autorin gehört). Auch das verkrafteten sie, sie waren nicht abhängig von ihrer Bestsellerautorin. Es gab seitdem immer wieder gute, ökonomisch erfolgreiche Bücher.

Den Verlag einige Jahre nach dem Tod des Lebenspartners und Mitverlegers in ein junges Kollektiv zu begleiten und nach 44 Jahren in voller Freiheit aufzuhören, auch das finde ich bewundernswert. Eine Reihe von Nautilusbüchern wurde wichtig für mich (die feministischen Bücher über Sexualität natürlich, die Vagina-Monologe von Eve Ensler, Annie Sprinkle und viele mehr, aber auch andere Titel aus dem literarischen-politischen Programm der Edition Nautilus). Sie stehen in den vorderen Reihen meines Bücherregals. 

Hanna Mittelstädt Roman Blu: „Es liest sich echt klasse, dieses Rundumdesaster“

Vor Kurzem kam Hanna mit ihrem ersten Roman auf mich zu: Für Nautilus sei es ihr zu nah. Ich war überrascht, freute mich und las gleich. Hanna dachte an unsere Reihe „Liebesleben“. Darin wird von Liebe und Sex erzählt, „wie es wirklich ist“, mit Abgründen zwischen Wunschvorstellung und Alltagsdrama. Hannas Buch passt perfekt zu der Reihe, die zurzeit aber „ruht“, weil die anfänglich gut verkauften „Liebesleben“-Titel heute in der Flut oft selbstverlegter Happyend-Erotik-Frauenliteratur unsichtbarer wurden, und so erschien der Roman „Blu“ einfach als Buch ohne Reihe drum herum, steht ganz für sich und für Hanna Mittelstädt.

Joachim Scholl formulierte in einem Gespräch mit Hanna Mittelstädt im Deutschlandfunk: „Ich bin zwar innerlich die Wände hochgegangen, wenn es um den Blu ging, aber es liest sich alles so trocken, so lakonisch, ich habe oft laut losgelacht.  Es liest sich echt klasse, dieses Rundumdesaster.“

Wird wirklich ein „Rundumdesaster“ erzählt? Die Protagonistin (die nicht erfunden, aber in literarischer Freiheit gestaltet ist) weiß bald, auch wenn sie damit hadert, dass sich der männliche und trinkende Protagonist immer wieder entzieht, bzw. eine andere im Kopf, hat (was es nicht nur bei männlichen Figuren, sondern auch bei weiblichen und auch in lesbischen Verhältnissen gibt). Jeder Moment zählt, auch wenn die „schönen“ Momente selten wie Perlen in dem „Desaster“ auftauchen. Vielleicht sind sie besonders, weil das Ganze so fragil ist. Und das schildert der Roman genauso wie das „Desaster“ – „Beziehung“ ist nur eine Möglichkeit des Lebens.

Liebe Hanna, sprudele du weiter vor Lebenslust, mit vielen schönen, fragilen Momenten, alles Gute für die 70 und folgende wünscht dir deine Verlegerin

Claudia Gehrke

Kontakt: hannamittelstaedt@googlemail.com

Möchten auch Sie jemandem aus Ihrer Buchhandlung/Ihrem Verlag zum „Runden Geburtstag“ gratulieren? Dann mailen Sie uns einen kleinen Text und ein Foto des Jubilars/der Jubilarin: redaktion@buchmarkt.de, Stichwort: Runde Geburtstage

 

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert