"Er war aus einem Stoff gemacht, der heute gar nicht mehr verwendet wird" Jörg Wallenstein

Am 29, Juli ist Jörg Wallenstein im Alter von 83 Jahren gestorben. An den „idealen Vermittler seiner drei geliebten Verlage Hanser, Wagenbach und Kiwi“ erinnern hier Reinhold Joppich, Nina Wagenbach und Felicitas Feilhauer:

Jörg Wallenstein war nicht nur ein großartiger Vertreter, sondern auch ein besonderer Mensch, offen für andere Meinungen, nie dogmatisch, unbekümmert, unverwüstlich, aus einem Stoff gemacht, der heute gar nicht mehr verwendet wird“

Anfangs war er mir gegenüber eher distanziert, dass Du bot er mir erst nach einem halben Jahr an, aber dann entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft. Zehn Jahre war er mein Untermieter, wenn er während seiner Reisezeit bei mir in Köln wohnte. Dann arteten unsere Abende sehr oft in emotionale, lukullische und weinselige Begegnungen aus.

Nicht nur die Buchhändlerinnen verehrten und liebten ihn, nein auch viele Herren der Branche schätzten seine Überzeugungskunst. Jörg war auch ein wunderbarer und großzügiger Gastgeber, kochte phantastisch und war ein vorzüglicher Unterhalter bis tief in die Nacht.

Er war der ideale Vermittler seiner drei geliebten Verlage Hanser, Wagenbach und Kiwi. Er wird uns sehr fehlen.

Reinhold Joppich

Jörg war ein großer Mann. Wenn er einen Raum betrat, war er unübersehbar
und vor allem unüberhörbar. Er hatte eine laute, tiefe und angenehme
Stimme. In vielen unterschiedlichen nachgeahmten Dialekten unterhielt er
die Leute und erzählte ihnen Geschichten. Manchmal so gut, dass ich mich
des Öfteren fragte: Über welche Bücher spricht er wohl gerade?

Jörg Wallenstein war neben Dorothee von dem Knesebeck der erste Vertreter des Wagenbach Verlages. Von 1965 – 2001 hat er ihn auf das wunderbarste repräsentiert. Während der Vertretersitzungen saß er Pfeife rauchend im blauen Sessel und hörte sich ruhig die Titelvorstellungen an, um dann um so eindringlicher von seinen Leseerlebnissen zu berichten. Oft hat er uns vor Fehlern bewahrt und zu neuen Projekten angestiftet.  Umschlagsdiskussionen mit ihm waren meist erquicklich. Er hatte, eigentlich war er ja Künstler, oft eine genaue Vorstellung von  Abbildungen, Farben und Schrift.

Obwohl ich ihn schon mein ganzes Leben kannte, hatte ich als junge
Vertriebsfrau einen Heiden Respekt vor ihm. Jedoch war es ihm stets ein
großes Bedürfnis den Nachwuchs und viele Lehrlinge unter seine Fittiche
zu nehmen und ihnen so viel wie möglich über seine Kunden, die
Buchhandlungen, nahe zu bringen. Es war ihm wichtig, dass seine Verlage
wissen, was da draußen bei den Buchhändlern vor sich geht. Und dieses
Wissen vermittelte er gerne.

Die Buchhändler und Verlagsleute liebten ihn und seine stets freundliche
zugewandte Art, seine genauesten Kenntnisse seiner Kunden und der
Inhalten der von ihm vertretenen Bücher.

Ich glaube, er wurde nach seinem Aufhören von vielen sehr vermisst. Am Telefon plaudernd konnte man sich in den letzten Jahren trefflich mit  ihm über Gelesenes, guten Rotwein (obwohl er den schon lange nicht mehr trank) oder schöne Musik austauschen. Dabei wurde viel gelacht.

So trinke ich nun auf Jörg ein Glas Rotwein und schließe mit dem
russischen Sprichwort:
Die Erde möge ihm so leicht sein wie eine Feder.
Nina Wagenbach

 

Als Jörg Wallenstein sechzig wurde, schrieb Michael Krüger ihm Die Vertretersitzung. Ein Drama in zwei Akten mit einem Epilog. Dem Leben abgehorcht. Man muss nicht zum Glorifizieren der Vergangenheit neigen, um sich zu erinnern, was das für chaotische, laute, wilde Veranstaltungen waren. Es wurde durcheinander diskutiert (oft politisch völlig inkorrekt, wie man heute beanstanden würde), lustvoll provoziert, nicht immer ein Konsens zur Verkaufsstrategie gefunden (hat man das Wort damals eigentlich zum Verkaufen von Literatur schon benutzt?), aber immer mit Leidenschaft fürs Buch. Mittendrin Jörg Wallenstein, der große Erzähler, ein so phantasievoller Fabulierer, dass man später oft nicht wusste, von welchem Buch er sprach, oder ob er sich nicht auch manchmal eine Geschichte über ein Buch zurechtgelegt hatte, deren wochenlanges, sich täglich mehrfach wiederholendes Erzählen auf der Reise ihm und den Buchhändlern Spaß machen würde.

Abends flossen Rotwein und Grappa in Strömen und es wurde wild geraucht. Man brauchte morgens eine lange kalte Dusche, um dem nächsten Tag der Vertretersitzung einigermaßen gewachsen zu sein. Von Jörg Wallenstein konnte man lernen, dass man ruhig auch mal seinem Bauchgefühl vertrauen sollte, dass Schutzumschläge sich nicht immer an sogenannten Zielgruppen orientieren sollten, sondern auch zum Buch passen müssen, dass das Feuer persönlicher Begeisterung weit mehr erreicht, als eine Phalanx von ‚Verkaufsargumenten‘.

Einige Jahre habe ich Jörg Wallenstein immer wieder mal für eine Woche auf seiner Reise begleitet. Im schnellen Auto, das nachlässig geparkt wurde. Mit verschwörerischem Grinsen wurde ich vor der Türe in Details über die Buchhandlung eingeweiht. Jörg Wallenstein kannte seine Kunden aus dem Efef. Abends wurden der Tag und das Leben gefeiert, nicht so gute Tage in einem Glas Rotwein versenkt. Er war nicht nur ein großartiger Vertreter, sondern auch ein besonderer Mensch, offen für andere Meinungen, nie dogmatisch, unbekümmert, unverwüstlich, aus einem Stoff gemacht, der heute gar nicht mehr verwendet wird. 

Bis zum Schluss verschickte er zu Weihnachten an seine Freunde CDs mit Musik, die er immer neu zusammenstellte und mit einem Druck eines seiner schönen, farbenfrohen und wilden Gemälde versah. Ich glaube, ich habe von ihm vor allem ‚leben‘ gelernt, neben vielen Dingen über den Buchhandel. Ich würde mir gerne vorstellen, wie Jörg Wallenstein jetzt irgendwo sitzt, mit viel Muße für die schönen Dinge und mit seinem Drang ‚den Leuten das Ohr abzuschwätzen‘ wie er selbst immer sagte, um immer neue Leser und Kunstbegeisterte zu finden.

Adieu Jörg!

Felicitas Feilhauer

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