DREI FRAGEN AN Thomas Keul zum „Volltext“-Abdruck von „Meere“

Thomas Keul

In der nächsten Ausgabe der Literaturzeitschrift „Volltext“ wird Alban Nikolai Herbsts Roman „Meere“ komplett abgedruckt – ein im Literaturbetrieb ziemlich einzigartiger Vorgang. Das Buch in seiner „Urfassung“ wurde 2003 kurz nach Erscheinen verboten [mehr…] – jetzt kann es erstmals in einer geringfügig veränderten, sog. „Persischen Fassung“, gelesen werden. [mehr…] buchmarkt.de sprach mit dem Chefredakteur der Zeitschrift, Thomas Keul:

buchmarkt.de: Wieso trauen Sie sich den Abdruck eines ganzen Romans in der Normalausgabe von „Volltext“? Hat es so etwas in der Zeit nach 1945 überhaupt schon mal gegeben?
Thomas Keul: Alban Nikolai Herbst hat mit „Meere“ einen bemerkenswerten, vieldeutigen Roman geschrieben, der es verdient, ein möglichst breites Publikum zu erreichen und der in Buchform aus diversen Gründen gegenwärtig nicht verfügbar ist. Ob es Vergleichbares nach 1945 gegeben hat, kann ich leider nicht beurteilen, da fehlt mir der Überblick.

Worin sehen Sie die besondere Qualität des bis vor kurzem verbotenen Textes, den Sie ja im April in einer Auflage veröffentlichen, von der mittlerweile Bestsellerautoren träumen?
Herbst verfolgt ein eigenwilliges ästhetisches Konzept, das in „Meere“ nicht nur umgesetzt, sondern auch reflektiert wird.
Der Roman um den Maler Fichte ist vieles in einem: Geschichte einer amour fou, Analyse sexueller Obsession und Perversion, Künstlerroman und Familiengeschichte, in der die große Geschichte sedimentiert ist. Interessant ist für mich nun, wie das alles so ineinander geht, dass noch die privatesten Idiosynkrasien Fichtes, seine Perversionen, seine Wutanfälle, sein Musikgeschmack, sein kultivierter Außenseiter-Gestus, von historischen Prozessen geprägt erscheinen, die lange vor seiner Geburt begonnen haben, und mit seinem Tod kaum zu Ende sein werden. An welchen Stellen Fichte heute empfindlich oder überempfindlich ist, das hat sich zu einem großen Teil schon entschieden, bevor er noch zur Welt gekommen ist.

Können Sie sich vorstellen, einen solchen Komplettabdruck jetzt öfter zu machen, oder bleibt „Meere“ die Ausnahme?
Das hängt vom Angebot ab. Bei einem Text, der an das Format von „Meere“ heranreicht, kann ich mir das gut vorstellen. Wir werden aber sicher nicht anfangen, Buchverlagen Konkurrenz zu machen. Das zentrale Medium der Literatur ist das Buch, die Zeitung kann nur eine Ergänzung dazu sein.

Die Fragen stellte Ulrich Faure

Im Rahmen einer Vertriebsoffensive im deutschen Buchhandel bietet „Volltext“ gegenwärtig eine kostenlose und Frei-Haus-Lieferung (ab 50 Stück aufwärts) an. Das betrifft auch die kommende Ausgabe mit dem Herbst-Text. Bestellungen wären über die Mail-Adresse office@volltext.net an den Verlag zu richten.

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