Die Möglichkeit, als Amazon-Leser Bücher zu rezensieren und mit Sternchen von 1 bis 5 zu benoten, wird viel genutzt. Da die Besprechungen immer direkt auf der jeweiligen Angebotsseite zum Titel veröffentlicht werden und da die Durchschnitts-Note direkt unter den Titelangaben steht, entscheiden Rezensionen mittlerweile mit über den Verkaufserfolg eines Buchs.
Soweit so gut. Was aber macht man, wenn Rezensionen bewusst unsachlich gehalten sind und den Anschein erwecken, lediglich dazu zu dienen, einen Meinungskrieg auszutragen? Ein eindrucksvolles Beispiel dieser Art der „Besprechung“ ist gerade bei dem Titel Freiwild von Tilman Jens zu beobachten (Es ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen und von mir in meiner Funktion als Justitiar juristisch lektoriert worden).
Jens hat mit Freiwild ein Buch über die durch Missbrauchsfälle namhafter Pädagogen in die Schlagzeilen gekommene, früher bundesweit angesehene reformpädagogische Odenwaldschule vorgelegt. Als einer ihrer ehemaligen Schüler unternimmt er darin den Versuch, die in zahlreichen Feuilletons der Republik ausgetragene, zum Teil sehr emotionale Debatte um die damaligen Vorgänge zu versachlichen, indem er versucht, Opfer- und Täterperspektive sorgsam abzuwägen. Damit hat er nun ins Wespennest gestochen: Ihm wird von zahlreichen Kritikern, die allesamt aus dem „Opferlager“ stammen und meist sogar einem eigens gegründeten Odenwaldschule-Opferverein angehören, vorgeworfen, es mit dem Verständnis für die Täter übertrieben zu haben, während die Opfer aus seinem Blick geraten.
Dabei haben diese Kritiker, die sich offenbar gut kennen und abstimmen, vorgenommen, das Jens-Buch medial auf jede denkbare Weise zu attackieren, insbesondere durch die eigentlich nicht privaten Kampagnen dienende Möglichkeit, fleißig vernichtende Amazon-Rezensionen zu schreiben.
Stand 21.6.2011 kann man so beispielsweise Folgendes (nur auszugsweise Wiedergegebenes) über Tilman Jens und sein Buch lesen, in Klammer die Namen oder Pseudonyme der „Rezensenten“:
„Sein Buch ist niemandem zumutbar, weil es die humanen und daher die elementarsten Grundwerte unserer Kultur verletzt.“ (Salman Ansari)
„Er benutzt höchst problematische Zeugen, zeigt nur Herablassung gegenüber den Opfern, benutzt alle simplen Methoden der Diffamierung, und jeder jeglicher Rest ist unglaubwürdiges, pseudogesichertes Palaver.“ (adrian@mondstudio.de/Adrian Koerfer)
„Eine Katastrophe und peinlich! …Pfui, pfui, pfui.“ (Osoaner)
„Kein Mensch würde dieses Buch vermissen, wenn es nicht geschrieben worden wäre. ….Das Buch ist überflüssig und beleidigt nach meiner Ansicht die Opfer.“ (Michael Frenzel)
„… erschöpft sich sein journalistischer Ehrgeiz weitgehend darin, Opfer in Misskredit zu bringen. Dabei schreckt er auch nicht vor Strategien zurück, die sonst hauptsächlich von Holocaustleugnern verwendet werden.“ (grauemaus)
„Er gibt vor objektiv sein zu wollen, doch er hetzt auf, verhöhnt, beschimpft und polemisiert.“ (S. M. K. Bergmann)
„Kein schlechtes Buch also – für alle aktuellen und potentiellen Täter.“( Roese, Mitra)
Mittlerweile ist eine Mitarbeiterin des Verlages hauptberuflich damit beschäftigt, Amazon diesen grassierenden Rezensions-Missbrauch zu melden. Geraume Zeit nach der Meldung bei Amazon werden besonders polemisch-beleidigende „Rezensionen“ dann durch Amazon vom Netz genommen, um dann in Kürze von den „Rezensenten“ wieder neu eingestellt werden.
Ganz offen gibt „Rezensent Ansari“ Verlag und Autor gegenüber zu: „Ich habe noch drei Rezensionen vorrätig. Falls es Ihnen doch gelingen sollte, noch einmal die Wiederhergestellte löschen zu lassen, folgen andere. Ich lasse mich nicht Mundtot (sic!) machen. Viel Spaß bei weiteren Löschversuchen.“
Gegen derartige Kampagnen ist also offenbar kein Kraut gewachsen. Für Verlage und Autoren ein Ärgernis und für Leser, die nicht alle Hintergründe kennen, zumindest irreführend.
Rainer Dresen, Dresen-Kolumne@freenet.de, 46, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustiziar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. In seiner Freizeit schreibt er gerne selbst Juristen- und Yogabücher (Kein Alkohol für Fische unter 16; Beim ersten Om wird alles anders). Zur letzten Kolumne: „Das gibt es doch auf keinem Schiff!“ geht gehts hier lang: [mehr…].