Julia Friese über ihr Buch "MTTR" (Wallstein) „Ich finde es interessant, wie etwas, das eigentlich verkürzend ist, gleichzeitig so sperrig, so hässlich sein kann“

Julia Friese: „MTTR wird von den meisten automatisch als ‚Mutter‘ gelesen, meint aber ‚Mean Time To Repair‘. Es ist eine Bezeichnung aus dem Ingenieurswesen, die für die Zeit steht, die es im Mittel braucht, um ein System wieder zu reparieren …

„Kann man geben, was einem selber fehlt?“ U.a dieser Frage geht Julia Friese in MTTR (Wallstein) nach. Ein Buch, das von den Auswirkungen deutscher Nachkriegserziehung erzählt und von der Unfähigkeit der Babyboomer, Gefühle zu zeigen. Anlass für Fragen:

BuchMarkt: Diese Frage stellen wir  immer zuerst: Worum geht es in dem Buch?

Julia Friese: Vordergründig erzählt der Roman die Geschichte einer Mutterwerdung, eigentlich aber setzt er sich  mit Fragen deutscher Herkunft, Erziehung und Sprache auseinander. MTTR entstand durch meine Beschäftigung mit Familie als Formalie, also mit Bindungslosigkeit innerhalb deutscher Familien.  Erziehung zur Bindungslosigkeit war das Kernmerkmal der nationalsozialistischen Erziehung, deren Überreste noch in uns wirken. Der Text ist eine Suche nach der Brutalität, wie man sie aus klassischen Elternsätzen kennt:  Wer nicht hören will, muss fühlen. Nimm dir ein Beispiel. Sonst sperr ich dich in dein Zimmer. Da kannst du schreien, bis du schwarz wirst. Mir rutscht gleich die Hand aus. Dann prügle ich dich windelweich. Völlig verzogen. Das bildest du dir alles ein. Du hast doch alles gehabt. Keine Widerworte.

Der Titel wirft Fragen auf: MTTR – was bedeutet das?

Der Philologe Victor Klemperer schrieb in seiner LTI, also der Lingua Tertii Imperii, dass die nazistische Sprache besonders viele abkürzende Bezeichnungen enthalte: HJ, KdF, BdM. Eine Eigenart, die das Deutsche beibehalten hat. Ich finde es interessant, wie etwas, das eigentlich verkürzend ist, gleichzeitig so sperrig, so hässlich sein kann. Unnatürlich. Technisiert. „MTTR“ wird von den meisten automatisch als „Mutter“ gelesen, meint aber „Mean Time To Repair“. Es ist eine Bezeichnung aus dem Ingenieurswesen, die für die Zeit steht, die es im Mittel braucht, um ein System wieder zu reparieren …

Ist es bei solch „heiklen“ Themen eigentlich schwierig, den richtigen Ton zu treffen? Oder denken Sie, dass gerade hier ein besonders scharfer Ton wichtig ist?

Interessant, dass Sie sagen, der Ton des Romans sei scharf. Wenn Sätze kürzer sind, wird die Bedeutung der in ihnen enthaltenen Worte deutlicher. Lauter. Man hört wieder was und wer aus einem spricht.  Und wenn das auf Sie nun „scharf“ klingt, Ihnen ihre eigene Sprache also derart auf den Wesenskern reduziert „scharf“ erscheint, dann ja – was bedeutet das dann?

MTTR ist Ihr literarisches Debüt. War es Ihnen wichtig, ein vor allem gesellschaftskritisches Buch zu schreiben?

Niemand – hoffe ich – setzt sich an einen Schreibtisch oder Küchentisch, oder auch nur in sein Bett, klappt das Notebook auf, und denkt: „Nun schreibe ich einen gesellschaftskritischen Roman. Dieses Attribut ist mir wichtig! Heißa, jetzt geht es los!“

Es gibt Themen, die einen interessieren, Sätze, Wörter. Gefühle. Mit seinem Schreibgerät sucht man nach diesen Themen, erst bewusst, dann gerät man idealerweise in eine Art Rausch.  Den man später zusammenkehrt, kürzt. Dabei lernt man den Text, sein Eigenleben erst kennen. Vielleicht fällt einem dann auch mal ein Marketingattribut wie „gesellschaftskritisch“ dazu ein.

Jeder hat mal einen schlechten Tag.

Worin bestand beim Schreiben für Sie die besondere Herausforderung?

Währenddessen nicht völlig pleite zu gehen.

Wie ist Ihre persönliche Einstellung zum Thema „Systemrelevanz“?

Ich persönlich möchte mich möglichst wenig Unsinn in der Öffentlichkeit sagen hören, nur um damit „ein Buch zu verkaufen.“ Zweifelsohne kann ich schreiben. Aber kann ich auch reden? Über das sehr interessant geladene Wort „Systemrelevanz“ schreibe ich Ihnen aber gerne einen Essay. Der würde allerdings etwas kosten. Von Applaus allein lebt es sich so schlecht …

An wen richtet sich das Buch?

Ich habe den Text für niemanden geschrieben, würde es deswegen auch niemanden verbieten ihn zu lesen.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler ihr Buch ideal verkaufen?

Das ist nun wirklich eine Frage für eine*n Buchhändler*in. Im Ernst, der Anteil an Werbung, also an Influencer*innentum, der auf einen zukommt nach dem Schreiben, den habe ich unterschätzt. Es ist ja bestimmt auch richtig, das alles zu machen. Interviews, Instagram. Posen und Posten. Der Text soll ja leben dürfen. Es fühlt sich nur nicht gut an, ihn so zu beschreien. Es fühlt sich dreckig an. Als schade ich ihm immerfort. Ich bringe ihn um. Er wird zum rosa Diät-Shake, für den ich nicht mal einen Rabattcode anbieten kann …

Fallen Ihnen drei Wörter ein, die das Buch ideal beschreiben?

Das Buch? Zwölfkommavier, Dreikommacht, Zwanzigkommavier

Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie sich an dieser Stelle gestellt?

Debüt beginnt mit D, wie auch das Wort Demut, Frau Friese. Meinen Sie, etwas mehr Demut stünde Ihnen gut zu Gesicht?

 

 

 

Kommentare (1)
  1. Toll! Julia Friese spricht mir aus dem Herzen. Mir geht es genau gleich mit meinen Büchern. Schade, dass der Interviewer – wer hat eigentlich das Gespräch geführt? – ihr intellektuell so unterlegen ist. Nur, weil sie nicht auf seine überwiegend dummen Fragen nach Zielpublikum und Verkäuflichkeit eingeht, wirft er ihr Arroganz vor. Kommt das lausige Layout dazu, bei dem man erst beim Gehalt erkennt, wer gerade spricht. Wie auch immer: ich werde das Buch lesen und hoffe, dass sich Julia Fries nicht kleinhacken lässt von Erbsenzählern :-)

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