Der Schock sitzt tief: Als am 15. August 2024 verkündet wurde, dass der BuchMarkt zum Ende des Jahres eingestellt wird, konnte ich es zuerst nicht glauben und musste es mehrmals lesen. Seit drei Jahrzehnten arbeite ich in der Buchbranche und kann sie mir ohne dieses Magazin nicht vorstellen – aber wir werden uns wohl an den Gedanken gewöhnen müssen. Was das für diese Kolumne bedeutet, kann ich momentan noch nicht sagen; ich möchte sie gerne weiterführen und überlege, wie und wo. Denn es ist für mich in den letzten acht Jahren zu einem Ritual geworden, gegen Ende des Monats die Fundstücke aus den Literaturblogs zusammenzustellen und zu einer Entdeckungsreise einzuladen.
Im August wurde wie jedes Jahr die Longlist für den Deutschen Buchpreis verkündet. Im Blog intellectures nimmt Thomas Hummitzsch die Zusammensetzung der diesjährigen Longlist unter die Lupe.
Einer der zwanzig Longlisttitel ist »Reichskanzlerplatz« von Nora Bossong, ein Roman über Magda Goebbels, der in den letzten Wochen häufig besprochen wurde. Das Fazit der Rezensionen fiel dabei unterschiedlich aus; zwei Blogs seien hier beispielhaft genannt. Auf der Seite Buch-Haltung schreibt Marius Müller: »Am Ende bleiben über das Ende von ›Reichskanzlerplatz‹ hinaus noch Fragen – die Nora Bossong durch ihre Erzählweise klug erzeugt. Wie man sich der ›ikonischen‹ Frau im Dritten Reich zwischen Muttermythos und Täterliteratur komplex und angemessen annähert, das macht Bossongs Buch gelungen vor.« Im Blog Kulturgeschwätz sieht es Katharina Herrmann etwas anders: »Ein herkömmlich erzählter, routiniert-elegant geschriebener Roman, aus dem ich aber weder inhaltlich noch gedanklich oder erzählerisch etwas mitgenommen hätte. Das ist ein gut geschriebener Roman, allerdings wüsste ich einfach nicht, warum man ihn gelesen haben müsste, was von ihm bleiben sollte oder warum das einer der besten Romane des Jahres sein sollte.«
Jetzt bin ich umso neugieriger auf das Buch.
Im Blog Kulturgeschwätz habe ich zudem eine Buchbesprechung gefunden, auf die ich hier aufmerksam machen möchte. Es geht um den Roman »Zeit der Geister« von Fatin Abbas, der von Gewalt und Krieg im Sudan erzählt, die das unglückliche Land bis heute prägen.
»Die Entwicklung des deutschen Buchmarks und wieso er vor massiven Herausforderungen steht« – das ist der Titel eines Beitrags im Blog Lesestunden, dessen Lektüre ich sehr empfehle. Es geht darin nicht nur im Wirtschaftliches, sonder auch um die Veränderung des Lesenniveaus – und wie beides miteinander zusammenhängt.
Durch den Blog Bücherbriefe bin ich auf die Buchreihe »Legende vom Tränenvogel« des südkoreanischen Autors Lee Young-Do aufmerksam geworden, deren zweiter Band dort bespreochen wird. Ich bin zwar kein großer Fantasyleser, aber zu gut geschriebener Phantastik sage ich nie nein. Und allein schon von der Ausstattung ist das vorgestellte Buch ein echter Hingucker.
Unter der Überschrift »Blöd, blöder, irre« schreibt Norbert Kraas im Blog Reklamekasper: »Während große Teile Deutschlands und Europas unter einer teils unerträglichen Hitzewelle leiden, und die Meere so warm sind wie noch nie, kommt die Autoklientelpartei FDP mitten im journalistischen Sommerloch mit einem ›Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto‹ um die Ecke.« Im Beitrag wird auf das Buch »Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird« von Nick Reimer und Toralf Staud hingewiesen, das dort an anderer Stelle bereits vorgestellt wurde. Vielleicht sollte man dem FDP-Vorstand mal ein paar Exemplare zuschicken.
»Marseille 1940« von Uwe Wittstock wird im Blog Zeichen & Zeiten von Constanze Matthes besprochen. Ich habe die Lektüre noch vor mir und bin schon sehr gespannt darauf.
»Vor mehr als 15 Jahren habe ich einige Zeit direkt neben dem chilenischen Präsidentenpalast ›La Moneda‹ in Santiago de Chile gelebt.« Klingt wie ein Romananfang – ist aber der Beginn einer sehr lesenswerten Besprechung des Buches »Twilight Zone« von Nona Fernández im Blog glasperlenspiel13.
Sören Heim beschäftigt sich in seinem Blog ausführlich mit Jane Austens berühmten Roman »Sense and Sensibility«. Leseempfehlung. Und Marina Büttner schreibt ihn ihrem Blog literaturleuchtet über den Roman »Aus ihrer Sicht« der Autorin Alba de Céspedes, der 1949 in Italien veröffentlicht wurde, aber erst seit 2023 in der deutschen Übersetzung von Karin Krieger vorliegt.
Wie definiert man ein echtes »Sommerbuch«? Unter der Überschrift »Der Sommer ist noch nicht vorbei: Bücher für den Seetag« gibt es im Blog Litafin vier Empfehlungen.
In meinem eigenen Blog Kaffeehaussitzer berichte ich über den Roman »Milchmann« von Anna Burns, den ich gemeinsam mit der Bookstagramerin Linda König gelesen habe – es war ein wunderbarer Austausch über ein komplex erzähltes Buch.
Das war es für dieses Mal. Ich wünsche einen schönen Spätsommer und freue mich auf ein Wiederlesen.
Uwe Kalkowski ist seit über 30 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag in Köln. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. »Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben«, wie er sagt.