Ein Offener Brief von Jan Weitendorf von Hacht: „Das Verlagswesen wird gerade einer politischen Flurbereinigung unterzogen“

Ein Offener Brief von Jan Weitendorf von Hacht:

Das Verlagswesen wird gerade einer politischen Flurbereinigung unterzogen

Wir haben Insolvenzen im Logistikbereich, Corona und Hackingangriffe überstanden.

Wir haben uns aufgerappelt und den Widrigkeiten zum Trotz immer wieder versucht, alles besser zu machen.  Wir sind beim Deutschen Buchpreis ausgeschlossen worden, da unsere Verlage in einem „Konzern“ verbunden sind, also einer Gesellschaft angehören, die die kleinen Beteiligungen verwaltet und versucht, Synergien zu nutzen.  Wir haben uns mit Fördermaßnahmen der EU beschäftigt und sind am bürokratischen Aufwand gescheitert.

Kurz:  Wir haben uns immer auf uns selbst verlassen müssen und wurden nie gefördert, da es keine strukturelle Förderung des Verlagswesens in diesem Land gibt.

Stattdessen werden wir vom Staat aufgefordert, zu leisten.  Wir zahlen Steuern und beackern ständig einen enormen bürokratischen Aufwand, der unsere Leistungsfähigkeit minimiert. Verschiedene Vorschriften oder Gesetze müssen vorbereitet und umgesetzt werden.  Der dahinterstehende bürokratische Aufwand kann hier nur ansatzweise beschrieben werden – exemplarisch einige aktuelle Anforderungen oder Ärgernisse, mit denen wir uns auseinander setzen müssen:

  1. Quellensteuer: Unsere Freistellungserklärungen werden vom Finanzamt monatelang nicht bearbeitet.  Die inzwischen erhöhten Freibeträge werden von Lizenznehmern des öffentlichen Rechts nicht angewendet, da die Systeme es nicht zulassen.
  2. Die GPSR (General Product Safety Regulations) wurde in diesem Jahr vom Deutschen Gesetzgeber beschlossen und gilt bereits ab 13. Dezember.
  3. Die EUDR (Entwaldungsverordnung) sollte für KMU am 30.06.2025 in Kraft treten und wurde erst vor wenigen Tagen um ein Jahr verschoben – der Aufwand bleibt.
  4. Die elektronische Rechnung ist ab dem 1.1.2025 Pflicht und muss von allen Unternehmen „installiert“ sein.
  5. Das Lieferkettengesetz wurde in 2024 eingeführt (Risiken in Lieferketten ermitteln und Maßnahmen ergreifen, um Verstöße gegen die Menschenrechte sowie Schädigungen der Umwelt zu vermeiden)
  6. Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ab Juni 2025 (soll einen gleichberechtigten Zugang zu digitalen Produkten gewährleisten)
  7. Statistischen Bundesamt – Verpflichtung zur Abgabe von statistischen Informationen
  8. Für uns: Statistik Nord (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein) – Verpflichtung zur Abgabe von Strukturerhebungen (Strukturerhebung im Handelsbereich je Berichtsjahr, Verpflichtung zur Abgabe von Meldungen zu Verpackungen ohne Systembeteiligungspflicht)
  9. LUDID + Entsorger (Zentrale Stelle Verpackungsregister) Abrechnung von Lizenzentgeltgen für Verpackungen (Karton / Kunststoff)
  10. Betriebsprüfungen (Sozialgesetzbuch, steuerliche Betriebsprüfung etc.)

Was mich ärgert, sind vor allem die gesetzlichen Beschlüsse, die ohne klare Vorgaben gemacht werden.  Die Gesetzesgeber informieren sich im Vorfeld nicht ausreichend über Umsetzbarkeitsmöglichkeiten und lassen die von der EU vorgegebenen Gesetze ohne ausreichende Regelungen passieren.

Diese Art des Durchwinkens von Gesetzen der EU in nationales Recht führt zu Verunsicherung, wirtschaftlichen Zwängen und zu einem unfassbaren Druck auf die Marktteilnehmer im „Deutschen Verlagswesen“.  Das strategische Arbeiten geht zulasten von Bürokratie und gesetzlichen Auflagen immer mehr verloren.  Wir hetzen den Notwendigkeiten hinterher und werden dabei von denen im Stich gelassen, denen wir vertrauen sollen.

Selbst unsere Verbände, die für uns als Lobby einschreiten können, kommen nicht mehr hinterher.  Unsere Branchenpresse informiert über Gesetzesänderungen gerade so, dass alles im Unklaren bleibt.

All das ist verkraftbar – irgendwie.  Aber warum müssen wir ständig das ausbaden, was die Politik verbaselt?  Wir alle wissen, dass es Veränderungen geben muss.  Und wir sind auch alle bereit, uns anzupassen und Veränderungen umzusetzen.

Was aber fehlt, sind die klaren Regelungen.  Es fehlt die klare Anweisung und die zentrale Stelle, bei der die Anforderungen abgeliefert oder abgerufen werden können.  Die Auswirkungen der Bürokratie sind enorm!  Wir werden aufgefordert, den Gesetzen nachzukommen, werden aber mit der Umsetzung allein gelassen.

Alle Marktteilnehmer wollen sicherstellen, dass sie den Gesetzen gerecht werden und schicken wie wild Formulare raus, um sich bei den Lieferanten abzusichern – und das gilt zurzeit zum Beispiel für das Lieferkettengesetzt und das GPSR.  Es fehlt die zentrale Stelle für die Pflege und Abrufbarkeit von Informationen.  Die Markteilnehmer (Abnehmer in der Lieferkette) nehmen keine Rücksicht auf die Größe eines Unternehmens und stellen Fragen, die von großen Konzernen beantwortet werden können, ja sogar müssen – aber von KMU keinesfalls.

Libri schreibt dazu in einer Kundeninformation 11/2024 zur GPSR wie folgt:
„Wir bitten Sie, Ihre Produktsicherheitsdokumentation (einschließlich Prüfberichte und Zertifikate) jederzeit auf Anforderung zwecks Dokumentation und Nachweise zur Verfügung zu stellen. Dies hilft uns, unseren Verpflichtungen gegenüber Verbrauchern und den zuständigen Behörden nachzukommen.

Im Rahmen unserer Tätigkeit als Fernabsatzbetreiber benötigen wir von Ihnen zur Identifizierung des Produkts bis spätestens zum 13.12.2024 die folgenden Daten in digitaler Form:

    1. Angabe des Herstellers inkl. Adresse und E-Mail-Adresse,
    2. Hochwertige Abbildungen des Produkts (Produktbilder),
    3. Detaillierte Angaben zur Art des Produkts,
  1. Typen-, Chargen- oder Seriennummer (z.B. EAN oder ISBN -13)

Produkte, für die diese Informationen nicht bereitgestellt werden können oder die die Anforderungen der GPSR sowie weiterer geltender spezifischer produktrechtlicher Vorgaben nicht erfüllen, können wir aufgrund gesetzlicher Bestimmungen leider nicht mehr beziehen.“

Es fehlt für unsere Branche ein klares Vorgehen.  Hier ist aus meiner Sicht das Hauptamt des Börsenvereins gefordert, Richtlinien aufzustellen, da es der Gesetzgeber versäumt hat.  Es fehlt an Zeit für die Umsetzung der Gesetze – und vor allem fehlt es an Klarheit, welches Gesetzt genau für was gilt – ich lese immer nur von Interpretationen oder Empfehlungen, aber kein Gremium kann klar benennen, was genau zu tun ist bzw. auf welche Produkte bzw. welche Auflagen die Gesetze Anwendung finden.  Die Unterscheidung zwischen Lagerware und Neuproduktionen wird nicht ausreichend berücksichtigt.

Ansonsten laufen wir Gefahr, dass es zu einer politischen Flurbereinigung im Bereich der KMU kommen wird.  Und das würde die Verlagslandschaft und den Verband grundlegend verändern, die Einnahmen beim Finanzamt deutlich reduzieren und damit auch den politischen Spielraum.