Der Frankfurter Buchhändler und Verleger Dinu Popa ist gestern nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 72 Jahren gestorben. Literaturagent Markus Michalek erinnert sich:
„Popa“ – so meldet sich Dinu Popa für gewöhnlich, wenn ich ihn anrufe. Immer in Bewegung, immer am Tun, das Timbre eines Machers.
Doch diesen September klingt alles anders. Die feste Stimme, die ich so viele Jahre kenne, bricht. Die Sätze, die von einem hellwachen und schnellen Verstand zeugen, fügen sich nicht mehr gut zusammen. Da ist eine Lücke, etwas Unverständliches, das auch im nachfolgenden Gespräch mit seiner Frau nicht weniger dräut. Das Urgestein der Buchbranche, wie ich Dinu Popa gern nenne, ist unvermittelt ins Wanken geraten.
Die Geschichte des Urgesteins beginnt nicht 2007, als in der Münchner Barer Straße das Pop-Up-Antiquariat „100 Tage“ von Dorin und Dinu Popa eröffnet und ich dort als lesender (und manchmal auch schreibender) Student hineinstolpere. Die beiden Brüder sind in der Medien- und Verlagsbranche keine Unbekannten und ihr 100-Tage-Laden für „Absurdes, Komisches und Vergessenes“ (Buchmarkt) wird mein Leben ebenso nachhaltig wie positiv verändern. Hier treffe ich also zum ersten Mal Dinu Popa: Stil, Bildung, Ästhetik, Savoir-Vivre, das alles schreibt Dinu groß. Er trägt Holzbrille und Holzuhren, lange bevor das in den Werbeagenturen dieser Welt als schick und cool gilt, scheut keine noch so ausgefallene Farbkombination und ich lerne im Lauf der Jahre – in der bunten internationalen Verlagslandschaft ist Dinu Popa ein etwas noch bunteres und liebenswertes Urgestein.
Das war wahrscheinlich schon immer so. Und seine Geschichte beginnt hier:
Dinu Popa wird 1953 in Paris als erster von drei Söhnen (Dinu, Dan, Dorin) rumänischer displaced persons geboren. Sein Vater, der im Exil lebende Journalist Ion Popa, arbeitet später in München für das legendäre Radio Free Europe. Politik, Bildung, die Welt des Geistes, der Sprachen, früh entdeckt Dinu das alles, denn »Bücher gehörten in der Familie Popa zu den schönen Dingen des Lebens, und so war auch der ältere Bruder des Jungverlegers Dorin Popa, Dinu Popa mit dabei, als man 1984 erstmals mit einem einzigen Buch auf die Frankfurter Buchmesse zog.« (Börsenblatt, 1991).
Aber zurück in die Geschichte, von Paris nach München. Da Dinu nach den Jahren in Frankreich kein Deutsch spricht, schicken ihn seine Eltern auf die französische Grundschule in Schwabing. Das Abitur macht er später im Katholischen Familienwerk, er wird Mitglied in einer Band (Drummer – das passt, werden alle bestätigen, die ihn kannten) und ist selbstverständlich Hippie mit langen Haaren und Vollbart. Die langen Haare behält er bis zuletzt. An der Ludwig-Maximilians-Universität schreibt er sich mindestens für Germanistik sowie Sinologie ein. Und, für heutige Studierende schier undenkbar, Dinu Popa wird mit Begeisterung Langzeitstudent. Ob er je einen Abschluss erwirbt, geht im Dunkel der Zeit verloren. Leider wohl auch seine große Arbeit über Walter Mehring. Es folgen verschiedenste Jobs, u.a. Oktoberfestschankkellner sowie Vertreter für den Goldmann-Verlag, parallel beginnt der Legende nach dort zeitgleich ein junger Verlagsmitarbeiter namens Georg Reuchlein seine Karriere.
1986 schließlich übernimmt Dinu Popa von seinem Bruder Dorin den Popa-Verlag, der mit großen Erfolgen wie der ersten deutsch-englischen Ausgabe der gesammelten Gedichte von Emily Brontë sowie dem Bestseller Quintessenz – Die schönen Dinge des Lebens und nicht zuletzt dem Roman Weißer Wahn von Valérie Valére bereits auf sich aufmerksam gemacht hat. Und es geht weiter, mit Barbie – Ihr Leben & ihre Welt folgte eine in der Presse gefeierte Publikation von BillyBoy, Schmuckdesigner, Warhol-Freund und Sammler mit über 11.000 Barbiepuppen. Ein Auszug aus dem Verlagsprogramm: Serge Gainsbourgs Die Kunst des Furzens. Erlaucht ist, was gefällt erscheint im Popa-Verlag erstmals auf Deutsch ebenso wie Eugène Ionesco (Das groteske und tragische Leben des Victor Hugo), die Werke von Enrique Vila-Matas (u.a. Dada aus dem Koffer. Die verkürzte Geschichte der tragbaren Literatur), Cecilie Løveid (Dame mit Hermelin), uvm.
Nach der Verlegerzeit wendet sich Dinu erfolgreich dem Buchhandel zu, seine Heimatstadt ist Frankfurt. Mit Buch&Billig führt er in der Berger Straße 122 eine Buchhandlung, die vielen Frankfurtern ein Begriff ist – dient sie zeitweise doch auch als Librairie Française. Während meines Studiums jobbe ich schließlich in einem der Münchner 100-Tage Pop-up-Stores für Dinu. Ich bestaune eine seltene mit Goldschnitt geprägte georgische Bibel im XXL-Format, die nur behandschuht geöffnet werden darf.
Dinu Popas Bücher, sie gehen in die Welt – Dinu Popa handelt neben seinen Ladengeschäften schon früh auch sehr erfolgreich online mit Büchern, er verkauft u.a. nach Japan, UK, USA. Die Frankfurter Rundschau, die ihn 2010 anlässlich der Eröffnung seines letzten Buchladens CAMP (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Titel des Popa-Verlages, den der Hanser-Verlag verbieten ließ) interviewt, lässt er mit blitzenden Augen und dem typisch schelmischen Dinu-Popa-Lächeln wissen, „ich bin schneller als Amazon!“
Lange könnte ich so weitererzählen, denn Dinus Leben ist eine einzige Ansammlung von Geschichten. Die irrsinnig lustigen Abende im Frankfurter Lokal 12 Apostel mit Großbuchhändlern aus Osteuropa. Wilde, aber friedliche Feiern in Messehallen bis in die Nacht hinein mit Wodka & Kaviar, französischem Käse & Champagner, Bier & Brezn, ein illustres internationales Verlagspublikum, ein wunderbares Fremdsprachengewirr und Dinu mittendrin. Ich denke an Dinus engen und 2020 verstorbenen Freund „Cajo“ Carl-Joachim Liesenberg, an die Lesungen mit Alban Nikolai Herbst und Sven Heuchert, an die vielen guten Gespräche, die Dinu und ich führten und die oft damit begannen, dass er sagte „(…) habe ich kennengelernt, als …“
Kaum jemand, so möchte ich fast glauben, den Dinu nicht kannte.
Und ich denke an die besten Treffen, die wir nie planten, weil sie sich spontan ergaben.
Ein guter Freund, ein Urgestein aus der schönen Welt der Bücher und Geschichten, ist nach kurzer, schwerer Krankheit gegangen. Zu früh, wie immer. In diesem Fall besonders schmerzhaft zu früh. Farewell my friend.