In ihrem Roman Goldene Träume – Die Münchner Ärztinnen (Goldmann, € 17,–) erzählt Ina Bach die Geschichte dreier sehr unterschiedlicher junger Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert, die den gleichen Traum hegen: Sie wollen Ärztinnen werden. Doch Frauen sind an der Universität offiziell nicht erwünscht, und von Gleichberechtigung ist die bayerische Hauptstadt nicht nur in der Wissenschaft weit entfernt.
Frau Bach, in Ihrem Roman erzählen Sie von drei Frauen, die einen zu dieser Zeit nahezu unmöglichen Traum haben: Sie wollen Ärztinnen werden, 1898 in München. Kann das ein „Goldener Traum“ sein? Wie wahrscheinlich ist es denn, dass ein solcher Traum in Erfüllung gegangen wäre?
Es war definitiv nicht einfach, das als Frau durchzuziehen. Die jungen Damen hatten nicht nur mit institutionellen Hürden zu kämpfen, sondern mussten sich auch gegen teils haarsträubende Vorurteile behaupten. Dennoch gelang es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einigen mutigen Frauen, Ärztinnen zu werden – wenn auch nur über Sondergenehmigungen, Auslandsaufenthalte und andere Umwege. Ein schweres Stück Arbeit war es auch, überhaupt an die nötige Zugangsberechtigung für die Universität zu kommen, denn höhere Bildung war für Mädchen schlichtweg nicht vorgesehen. Wollte, sollte oder durfte ein Mädchen Abitur machen, mussten die Eltern aus eigener Tasche für Privatunterricht zahlen und hoffen, dass man ihren Töchtern erlaubte, als Externe an einem Jungengymnasium die Reifeprüfung abzulegen. König- und Kaiserreich haben es den wissbegierigen jungen Damen also schwergemacht, aber um die Jahrhundertwende bröckelten die Fronten allmählich. Das Großherzogtum Baden öffnete als erstes Land im Kaiserreich seine Universitäten für Frauen. Das Königreich Bayern zog 1903 gleich, als Prinzregent Luitpold per Erlass die Immatrikulation von Frauen zum Wintersemester erlaubte. Insofern wurde es für meine Protagonistinnen Lulu, Elsa und Fanny ab 1898 jeden Tag wahrscheinlicher, dass sich ihr Traum erfüllte.
Sie schildern die medizinischen Aspekte ihrer Geschichte sehr detailliert, oft auch drastisch. Wie darf man sich die Recherche für ein solches Werk vorstellen?
Alte Lehrbücher für Medizinstudenten aus der Zeit sind eine sehr ergiebige Quelle. Da findet man mit etwas Glück manchmal fast so etwas wie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Das war für die ersten Szenen im Kinderspital wahnsinnig hilfreich. Alles zu Diphtherie, Intubation und Tracheotomie stammt beispielsweise aus einem Lehrwerk von Meinhard von Pfaundler, der ab 1906 Direktor des Haunerschen Kinderspitals war. Videos sind ebenfalls sehr hilfreich, um Details anschaulich und präzise in Worte zu fassen. Für die Szene mit Fanny im Präparierkurs habe ich mir manche Ausschnitte der Sezierkurse auf dem YouTube-Kanal des Instituts für klinisch-funktionelle Anatomie in Innsbruck so oft angesehen, dass ich die Stimme von Hannes Stofferin wohl zu jeder Zeit und überall auf der Welt wiedererkennen würde. Schon vor der Arbeit zu den Münchner Ärztinnen war ich für meine Krimis mal bei einer Leichenöffnung in vorderster Reihe dabei, trotzdem wird man natürlich nicht über Nacht zur Expertin. Deshalb hat eine junge Ärztin, die an der LMU promoviert hat, alle medizinische Szenen gegengelesen. Manchmal hat sie gar nicht glauben können, wie radikal und rau die Medizin damals noch war.
Ihre drei Heldinnen, Lulu, Fanny und Elsa, könnten nicht unterschiedlicher sein. Wie haben Sie sich in diese ganz unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten und Charaktere hineingearbeitet?
Es gibt historische Vorbilder für meine Heldinnen. Susanne Ebert hat in ihrem Buch Zwischen Anerkennung und Ächtung die Lebensläufe der ersten fünfzehn echten Medizinstudentinnen der Ludwig-Maximilians-Universität zusammengetragen. Viele Fragen werden darin beantwortet. Wie war der familiäre Background dieser Frauen? Über welche Umwege gelangten sie an die Universität usw. Eine dieser ersten immatrikulierten Medizinstudentinnen war Balbine Kaltenbach, die wie Elsa aus Baden stammte und deren Vater, ein Medizinalrat, viel zu früh starb. Babette Steininger war wie Fanny die Tochter eines Postbeamten aus Ortenburg in Niederbayern und nur Hedwig Burckart war wie Lulu ein echtes Münchner Kindl. Über die dazu passenden Lebenswirklichkeiten fand ich viel Material in der Bayerischen Staatsbibliothek oder anderen Münchner Archiven. Und natürlich brauchen Romanfiguren eine Vergangenheit, spezifische Charaktereigenschaften und äußere Merkmale, damit sie lebendig werden können. Deshalb nehme ich mir immer viel Zeit, um jede meiner Figuren zu charakterisieren.
Wie sind Sie eigentlich auf diese Geschichte gekommen? Gab es da eine besondere Inspiration?
Tatsächlich wurde meine Tochter 2012 in der Haunerschen Kinderklinik wegen einer sehr seltenen Tumorart operiert. Ich war damals unheimlich froh, dass man uns an die Universitätskinderklinik in München überwiesen hat. Die Zeit dort und auch die jahrelange engmaschige Überwachung waren sehr einprägsam für mich. Kein Wunder also, dass mir das Klinikviertel im Gedächtnis geblieben ist. Als mir zehn Jahre später bei einer Recherche die Jahresberichte des Dr. von Haunerschen Kinderspitals aus der Zeit um die Jahrhundertwende in die Hände gekommen sind, war ich wie elektrisiert. Erst recht, als im März 1906 erstmals von einer Volontärassistentin die Rede war: Dr. Martha Engelhard. Die Kombination aus erste Medizinstudentinnen der LMU und Haunersches Kinderspital hat was, fand ich.
Es ist kurz vor Weihnachten. In einer sehr ergreifenden Szene schildern Sie eine Bescherung im Kinderspital. Gab es so etwas wirklich? Und wie darf man sich das vorstellen?
Ja, das war in der Tat eine rührige Sache damals. In den alten Jahresberichten tauchen die Weihnachtsbescherungen in den Krankensälen immer wieder auf. Für das Jahr 1898 stand wortwörtlich geschrieben: „Unter den Klängen eines Weihnachtsliedes erglänzte wieder in jedem einzelnen Krankensaal ein schön geschmückter Christbaum und jedes Kind wurde, je nach Bedürfnis, beschenkt. […] Die Freude so vieler kranker, oft todtkranker Kinder, die leuchtenden Auges sich an Baum und Gaben nicht satt sehen können, das ist ein Bild, das man nicht so leicht wieder vergessen wird.«
Das war natürlich eine Steilvorlage, und genau so, nämlich im Krankensaal des Kinderspitals in der Lindwurmstraße, beginnt nun mit der Bescherung um 10 Uhr vormittags des Heiligabends im Jahr 1898 der Roman.
Es ist anzunehmen, dass die eine oder andere Person aus der Hauner’schen Ärzteschaft sich den Roman schon vorgenommen hat. Gab es Rückmeldungen?
Ja, die finden es sehr spannend, dass ihr Krankenhaus Schauplatz eines Romans geworden ist. Prof. Dr. Oliver Muensterer, jetziger Direktor der Kinderchirurgischen Klinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, hat schon ein Buch bekommen und wird zu allen drei Bänden eine Rezension für das Hauner-Journal verfassen. Mit Guggy Borgolte vom Hauner-Verein bin ich auch in Kontakt. Auf dem diesjährigen Christkindlmarkt des Vereins am 19. Dezember werden signierte Exemplare für den guten Zweck verkauft. Den Verein zur Unterstützung des Dr. von Haunerschen Kinderspitals – auch das habe ich bei der Recherche gelernt – gab es im Übrigen schon bevor August Hauner das erste Münchner Kinderspital in einer angemieteten Wohnung in der Sonnenstraße 27 gegründet hat. Ich finde es fast kitschig schön, dass es den Verein immer noch gibt.
Und jetzt haben Sie noch die Gelegenheit, Ihren eigenen „Goldenen Traum“ zu verraten. Gibt es einen Weihnachtswunsch, der in Erfüllung gehen soll?
Der Goldene Traum ist schon in Erfüllung gegangen: Ich darf Büchern schreiben. Das ist toll. Ansonsten sind’s die ganz normalen, aber viel wichtigeren Wünsche: Dass meine Familie gesund und glücklich ist – alles andere ergibt sich von selbst.
Ina Bach wurde in Niederbayern geboren. Nach einem Au-pair-Aufenthalt in England, BWL-Studium, Auslandssemester in Nordirland, Diplom und dem ersten Job als Redakteurin der Mitarbeiterzeitschrift eines großen Konzerns verschlug es sie zurück in die niederbayerische Heimat, wo sie ihren ersten Roman schrieb. Heute lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern als freie Autorin auf dem elterlichen Hof, nicht weit von Passau entfernt.