Buchhändlerin Heike Strecker zu ihrer Bundestagskandidatur „Wir haben es in der Hand wenn wir nicht auf dem Sofa sitzen bleiben“

Heike Strecker (Foto: privat)

Heike Strecker ist Buchhändlerin und Bundestagskandidatin für die Grünen für die Landkreise Unstrut-Hainich-Kreis sowie Wartburgkreis/Stadt Eisenach in Thüringen bei der Wahl am 23. Februar 2025. „Wieso tut sie sich das an?“, wird sie oft gefragt. Wir haben mit ihr gesprochen.

Ihre Buchhandlung C. Strecker im thüringischen Mühlhausen (ca. 34.000 Einwohner:innen) hat Heike Strecker 2004 mit ihrem Mann gegründet, der vergangenes Jahr gestorben ist. Sie habe lange überlegt, ob sie weitermachen soll, erzählt sie, „aber man hat seine Kundschaft, den Warenbestand und ich hatte auch nicht die Kraft mich neu zu erfinden. Deswegen habe ich mich dann mit dem guten Zuspruch meines Mannes, der gesagt hat, du schaffst es auch alleine, dazu entschieden es anzugehen und meine Tochter ist aus den Niederlanden zurückgekehrt und unterstützt mich.“ Außerdem helfen ihr die Kulturkomplizen, ein loser Verbund von Ehrenamtlichen vor Ort, bei Veranstaltungen mit Weinausschenk, Buchverkauf, Stühlerücken oder Plakataushang usw. „Sie sind im Auftrag der Kultur froh, dass etwas stattfindet, und bringen sich gerne ein“, freut Strecker sich.

Die Buchhandlung liegt am Ende der Fußgängerzone an einem touristischen Hotspot, der zweitgrößten Kirche Thüringens. In der alten Hansestadt gibt es eine sehenswerte Altbausubstanz. Der Laden ist ca. 120 Quadratmeter groß mit einem Schwerpunkt auf Belletristik und Kinderbuch. Das Buch macht allerdings nur ein Drittel aus, ein weiteres Drittel geht auf die Papeterie und das letzte Drittel auf das integrierte Café. „Unser Bürgermeister sagt immer: Wir sind das Wohnzimmer der Stadt“, sagt Heike Strecker. Früher hat sie sogar einen kleinen Mittagstisch angeboten, aber das schafft sie alleine nicht mehr. Die Fläche könne sie bei Veranstaltungen gut umbauen, wobei sie diese meistens in der Stadtbibliothek macht, bei der sie Vorsitzende des Fördervereins ist. „Deswegen funktioniert die Zusammenarbeit gut und wir haben dort einen schönen, großen Veranstaltungsraum in einer ungenutzten Kirche.“

So könnte es weitergehen. Aber Heike Strecker kandidiert bei der Bundestagswahl 2025 für die Grünen.

BuchMarkt: Frau Strecker, seit wann sind Sie politisch aktiv und was waren Ihre Beweggründe?

Heike Strecker: Politisch aktiv bin ich unabhängig von einer Parteimitgliedschaft bereits sozusagen mein gesamtes Erwachsenenleben, also auch in der Wendezeit schon. Vor ein paar Jahren habe ich dann das erste Mal für den Stadtrat kandidiert aber noch als Parteilose für die Grünen und bin auch gewählt worden. Bei der vorletzten Landtagswahl gab es auf der Wahlparty dann nicht viel zu feiern und da habe ich gesagt, du liebe Zeit, wenn es hier so elend ist, dann will ich wenigstens heute meinen Parteieintritt machen. Voriges Jahr bin ich dann wieder in den Stadtrat gewählt worden als einziges Direktmandat. Als im Herbst dann die Ampelkoalition zerbrochen war, haben wir überlegt, wer für unseren Wahlkreis antritt, und ich wollte es eigentlich nicht machen, da ich genug zu tun habe, aber eine Bekannte aus der Partei hat mich überredet und gesagt: So bist du zumindest wählbar gerade für die Menschen in Thüringen. Bei der letzten Bundestagswahl hatte sich auch niemand gefunden und am Ende ist ein ziemlich junger Student aus Jena angetreten, der aber nicht aus der Gegend hier kam und damit quasi genau die Angriffsfläche für andere Parteien hier im ländlichen Raum geboten hat. Für demokratische Prozesse muss man den Leuten auch etwas anbieten und Demokratie funktioniert von unten. Wenn es keiner macht, dann muss ich’s machen. Ich bin ein relativ bekanntes Gesicht hier in der Gegend, komme auch in den Medien vor und sage immer flapsig, ich bringe das mit, das die Menschen hier wollen: Ich bin eine weiße Frau, selbständig, habe immer gearbeitet und fahre einen Diesel. Damit kann man zu seinen Gegner:innen immer sagen: Was wollt ihr denn jetzt noch?

Es ist immer noch etwas komisch, die Wahlplakate von mir hier hängen zu sehen, aber auf denen steht „Mitmachen“ und das ist wirklich das Credo. Hinterher können wir alle jammern, das haben wir so nicht gewollt. Mir geht es auch darum, den Nazis etwas entgegensetzen.

Was wären vorrangig Ihre Themen in Berlin wenn Sie gewählt werden würden?

Also ein großer Antrieb ist natürlich der momentanen Zurückgewandtheit der AFD aber auch der CDU etwas entgegenzusetzen. Sie scheinen zu denken, um mal Joachim Meyerhoff zu zitieren „wann wird es wieder so wie es nie war“? Sie tun so, als wäre in den Neunzigern alles schick gewesen. Wir haben aber nicht endlos fossile Brennstoffe, wir können unseren Nachkommen nicht einfach eine kaputte Umwelt hinterlassen. Außerdem ist Kultur für mich ein Lebensmittel. Deshalb braucht es auch die Preisbindung und eine Kulturlobbyarbeit. Außerdem müssen wir uns um die Bildung kümmern. Da bin ich nicht unbedingt eine Fachfrau, aber Leseförderung ist mir beispielsweise eine Herzensangelegenheit, in der ich auch ganz viel mache. Wir sehen, wo es hinführt, wenn bei der Kultur eingespart wird und deshalb ist sie eines meiner Kernthemen.

Welche Chancen rechnen Sie sich aus und würden Sie im Zweifel dann nach Berlin ziehen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in einem Wahlgebiet, das inzwischen fast 50:50 von CDU und AFD bestimmt wird, gewählt werde, ist überschaubar. Man darf gespannt sein. Wenn es dazu käme, dann würde ich natürlich das Mandat annehmen, nach Berlin gehen und meine Tochter würde hier vor Ort weitermachen. Wir müssten uns völlig neu sortieren, aber ich würde das, „auf meine alten Tage“ – ich werde dieses Jahr 60 – nochmal wagen, ja. Aber für die Grünen geht es hier auf dem Land tatsächlich um jede Stimme.

Wie wird Ihre Kandidatur von Ihren Kundinnen und Kunden aufgenommen?

Prinzipiell gibt es erstmal verblüffend wenig Gegenwind. Ich hatte gedacht, dass es in den sozialen Netzwerken sofort losgeht, aber bis auf ein paar blöde Kommentare, die sich aber im Verhältnis noch in Grenzen hielten, und wo ich gar nicht mal reagieren musste, weil das sozusagen meine Community erledigt hat, war es das bisher.

Und hier im Laden sind es nur ganz wenige, die ein bisschen die Augen rollen oder sagen, die Grünen würde ich niemals wählen, die gibt es ja immer. Die meisten sind voller Hochachtung, dass ich mir das, wobei ich den Begriff nicht mag, dass ich mir das antue. Ich wurde schon gefragt, ob ich die Glasversicherung fürs Fenster erhöht habe, wobei ich da nicht wirklich Sorge habe, weil ich immer politische Schaufenster gemacht habe, egal ob das zum Ukraine-Krieg oder zu Antisemitismus.

Da bin ich schon immer klar und es ist auch in der ganzen Stadt bekannt, dass ich eine Meinung habe, die ich vertrete. Wir machen regelmäßig Veranstaltungen, zum Beispiel zum Ende des Zweiten Weltkrieges, zum 9. November und jetzt am 27. Januar und zeigen Haltung. Deswegen ist es nicht wirklich eine Überraschung. Viele sind nur wie gesagt völlig verblüfft, dass ich mir das „antue“. Sie können mir glauben: Mein Kalender war noch nie so voll wie jetzt. Mit den acht Stunden Ladenöffnung hat das nichts zu tun. Aber es macht auch Spaß und ist einfach interessant.

Und im Ganzen gibt es schon wirklich großen Zuspruch. Dadurch, dass wir an einem touristischen Hotspot sind, kommen natürlich auch viele Tourist:innen her, die uns dann manchmal in den sozialen Netzwerken folgen, weil ihnen das Konzept hier gefallen hat. Ich bin wirklich überrascht, dass ich regelmäßig Zuschriften bekomme und Menschen sich hinsetzen und eine Mail schreiben, aus Leipzig, Dresden oder aus Hamburg, dass sie voller Hochachtung sind, dass ich das mache und Farbe bekenne. Eine sagte, sie sei CDU-Stammwählerin und werde deswegen jetzt auch nicht die Grünen wählen, aber sie fände es toll, dass ich mich für die Demokratie einsetze. Genau darum geht es hier am Ende wirklich, um die Substanz, nicht ums Tempolimit oder Ähnliches.

Vielen ist nicht klar, dass unsere Demokratie nicht in Stein gemeißelt ist, dass sie nie so gewackelt hat wie jetzt, wenn man sich die derzeitigen Autokraten anschaut. Wir haben es alle in der Hand, aber eben nicht, wenn man auf dem Sofa sitzen bleibt. Und irgendwer muss auch das Gesicht hinhalten und eine Vorbildfunktion einnehmen.

Die Fragen stellte Hanna Schönberg