Raphael Thelen, Jahrgang 1985 und bis zum letzten Jahr noch Journalist u.a. für den „Spiegel“ und die „Zeit“, engagiert sich seit Januar bei der Letzten Generation und hat seinen Beruf aufgegeben. Als Journalist hatte er bereits das Buch Zwei am Puls der Erde – Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise und warum es trotz allem Hoffnung gibt veröffentlicht. Gestern ist ganz frisch sein erster Roman bei Arche erschienen: Wut stellt drei junge Menschen ins Zentrum, die auf glühend heißem Asphalt für eine andere Klimapolitik demonstrieren, sich zugleich aber fragen, ob diese Art von Protest überhaupt etwas bringt. Anlass für Fragen:
BuchMarkt: Worum geht es in dem Buch?
Raphael Thelen: Es handelt von einer Klimademo, die eskaliert; es folgen Besetzungen und Konfrontationen mit der Polizei – doch das ist nur die Rahmenhandlung, im Inneren geht es um die Frage: Wie viel Wut ist notwendig, um politischen Wandel herbeizuführen? Was ist gesunde Wut und wann schlägt sie um in Aggression? Und: Ist die Klimabewegung eigentlich wütend genug? Ich habe da eine eindeutige Antwort für mich gefunden, wir müssen definitiv wütender werden. Wut muss nämlich nicht in Zerstörung münden – mein Roman endet hoffnungsvoll.
Wie entstand die Idee, über dieses Thema überhaupt ein Buch zu schreiben?
Als Reporter für den SPIEGEL und die ZEIT habe ich 2011 über die Arabischen Rebellionen geschrieben, über die Ausschreitungen in Heiligendamm und Hamburg, über Pegida in Sachsen – überall habe ich Wut erlebt.
Später habe ich dann an den Orten recherchiert, an denen schon heute Menschen wegen der Klimakrise sterben, habe begriffen, wie wenig Zeit uns noch bleibt und vor allem: dass es Konzerne gibt, die das Klima vorsätzlich zerstören, um ihre Profite zu sichern. Angesichts dessen habe ich mich gefragt, wo meine eigene Wut eigentlich ist und warum die Klimabewegung so freundlich und stets beherrscht ist.
Letztlich habe ich mich im Prozess des Buchschreibens dann auch aus dem Journalismus raus und in die Klimabewegung reingeschrieben – seit Anfang des Jahres bin ich Mitglied der Letzten Generation.
Welche Wörter schreiben sich leichter: Die ersten oder die letzten?
Definitiv die letzten. Ich brauche immer erst ein paar Seiten, bis ich so richtig in meinen Rhythmus reinfinde.
An wen richtet sich das Buch?
Es ist ein Plädoyer für mehr Wut, das sich an die Generation Klima richtet – es ist Zeit, dass wir zu uns selbst stehen, uns nicht mehr verstecken. Und es richtet sich an alle, die verstehen möchten, wie diese Generation tickt: Es ist ein Generationenporträt, eine Innenschau, die zeigt, wie die Klimakrise unser Inneres verheert, aber auch, wie wir kämpfen und dass wir Hoffnung haben.
Mit welchem Argument kann der Buchhandel das Buch ideal verkaufen?
Es ist der erste Roman, der von einem Mitglied der Klimabewegung über die Klimabewegung geschrieben wurde. Es ist ein intimer Blick in unsere Seelen: Die Angst, die Verzweiflung, der Mut und die Wut. Es ist das Porträt einer Generation, die sich gerade daran macht, an den Grundfesten unserer Gesellschaften zu rütteln, ein neues 68er-Moment herbeiführt. Und eine der großen Stärken dieses Buchs ist, dass es Hoffnung vermittelt, einen Weg nach vorne aufzeigt und dieser Weg lautet: friedlicher, ziviler Widerstand.
Welche drei Wörter beschreiben es aus Ihrer Sicht perfekt?
Rasant, emotional, politisch.
Wie sähe ein Schaufenster zum Buch aus?
Wut ist natürlich eine feurige Emotion. Mir kommen da gleich Assoziationen zur Farbe Rot, zu lodernden Formen, aber natürlich auch zu Straßenprotesten: Schilder, geballte Fäuste.
Wird es eine Fortsetzung geben?
Es gibt einen Protagonisten in dem Roman, der in meinem Kopf weiterlebt und verschiedene Handlungsstränge abläuft. Kürzlich habe ich mal den Einstieg zu einer Fortsetzung geschrieben.
Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie dennoch gerne beantwortet?
Glauben Sie, dass der bürgerliche Roman an sein Ende kommt?
Hier können Sie dies tun:
Ich glaube, die letzten Jahrzehnte waren Autor*innen sehr damit beschäftigt, die eigene Innenwelt auszuleuchten. Was ist in der Kindheit schiefgelaufen, was bedeutet es zu lieben, wie liebe ich mich selbst? Alles sehr aufs Individuum gemünzt. Kim Stanley Robinson hat das den bürgerlichen Roman genannt und geschrieben, dass dessen Zeit jetzt abgelaufen ist. Ich hoffe, dass er recht behält, dass unsere Literatur politischer wird.